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# taz.de -- Salzburger Festspiele: Frische "Hasen" aus dem Osten
> Es steht nicht gut um die bürgerliche Moral: Die Performancegruppe Signa
> lädt in "Das ehemalige Haus" ein, Thomas Ostermeier inszeniert
> Shakespeares "Maß für Maß".
Bild: Lars Eidinger als Angelo und Jenny Koenig als Isabella in Salzburg in "Ma…
Kann Salzburg hässlich und langweilig sein? Der Stadtteil Maxglan ist eine
Antwort, aber keineswegs die dringlichste auf diese Frage. Auf dem Friedhof
liegt der Großvater von Thomas Bernhard. Das war's dann schon. Denkt man
die Berge weg, könnten die nicht mehr ganz neuen Einfamilienhäuser
verkehrsberuhigt am Rande jeder Stadt stehen.
Doch etwas stimmt nicht, in einem der Vorgärten ist eine ganze
Altkleidersammlung ausgebreitet. In der Nachmittagshitze patrouillieren
Männer mit schwarzen Krawatten davor. Security? Bestattung? Es sind nur
Logenschließer vom Landestheater. Ja, die Festspiele sind hier. Ein
Häuflein von kaum mehr als einem Dutzend Zivilisten formiert sich zur
Expedition in "Das ehemalige Haus".
In der Programmschiene "Young Directors Project" dürfen auch exponiertere
künstlerische Positionen am Salzburger Großen Welttheater teilhaben. Eine
stumme Person mit Stahlhelm und Pistole im Halfter bugsiert das Publikum in
Reih und Glied, ein feistes halbnacktes Teufelchen (Steven Reinert)
empfängt mit Apfelstrudel, Milch und anzüglichen Freundlichkeiten. Mal eben
angespuckt möchte er werden und bekommt das auch.
Die Zivilgesellschaft läuft wie am Schnürchen. Das kurze Intro enthält im
Kern schon, was die Theaterinstallationen von Signa, Arthur Köstler und
Thomas Bo Nilsson ausmachen: Wenn das, was man sieht, real wäre, wäre es
Gewalt und unerträglich. Je mehr man aber davon sieht, um so weniger
beruhigt der Umstand, dass es "nur Theater" ist.
Der Stahlhelm schubst die Zuschauer nun in Kleingruppen zusammen und
übergibt sie von Tauen umwickelten Erinnyen. In Dreier- bis
Viererseilschaften geleiten sie durch ein Totenhaus, abgebrannt sei es, um
in kurzen Episoden wachzurufen, was der Brand getilgt hat. Der Mief und die
Stockbetten im Keller lassen an die Berichterstattung zum Fall Fritzl
denken und werfen die Frage auf, ob man, solange Menschen in Kleinfamilien
und in solchen Häusern leben, vor Wiederholungen je sicher sein kann.
## Der Rotlichtpate
Die Fährte ist gut gelegt. Eine Mutter und drei Söhne. Die Erinnyen nehmen
ihnen für ein paar Atemzüge die Totenmasken ab. Sie (Helga Sieler)
durchlebt die Vergewaltigung im Zweiten Weltkrieg täglich neu, zwei jüngere
Söhne sind vom Vater blöd geschlagen, der älteste, das
Vergewaltigungsresultat, dagegen ist Rotlichtpate von Salzburg (Klaus
Unterrieder) geworden. Tatjana (Signa Köstler) hat er nur geheiratet, damit
er jemand für Mutters Bettpfanne hat. Der ölige Zuhälter, der von den
glorreichen Vorzeiten des Wiener Milieus schwärmt, erzählt Geschichten vom
"Leben" mit Schmäh und rollendem L, die in deutschen Ohren so charmant
klingen. Zwei Trucker (Michael Behrendt und Dominik Klingberg) bringen ihm
frische "Hasen" aus dem Osten und richten sie im Keller gleich ab. Es setzt
Koks, Wodka, Schläge und sexuelle Demütigungen, dazwischen ein
Entspannungszigarette mit dem Publikum.
Auf Fotos werden Frauen zum Kauf angeboten, sexuelle Vorlieben des
Publikums inquisitorisch erfragt. Signa verzichten auf jegliche
Zeige-Distanz, sie betreiben im Grunde Einfühltheater alter Schule. Was für
ein 1.000-Plätze-Auditorium reichen würde, springt auf eineinhalb Metern
die Zuschauer an und raubt die Muße zum Romantischglotzen. Wo wäre der
Punkt zum Eingreifen gewesen, und hätte man es tatsächlich getan? "Das
ehemalige Haus" ist kathartisch und didaktisch zugleich, ein Thesenstück im
besten Sinn. Es weiß jeden Moment, warum es die Welt adressiert.
Letzteres lässt sich von Thomas Ostermeiers "Maß für Maß"-Inszenierung im
Salzburger Landestheater nicht behaupten. Für zweieinhalb Stunden hält sie
nur vorübergehend vom Socializing in den benachbarten Terrassenlokalen an
der Salzach ab. Auch der Herzog Vincentio von Gert Voss würde wohl lieber
wie sonst ins Maxim gehen, Shakespeare schickt ihn aber als Mönch unters
Volk. Shakespeare spottete der neuen Moral des zur Macht drängenden
Bürgertums, das noch seine Lüste auf die Sparkasse trägt, der Zinsen wegen.
Der tugendhafte Stellvertreter im imaginierten Wien, Lord Angelo (Lars
Eidinger), frevelt selbst. Dann wird abgerechnet, Gleiches mit Gleichem
vergolten.
## "Bitte" gereimt auf "Titte"
Marius von Mayenburgs Fassung reimt "Bitte" auf "Titte" und erzählt die
Fabel als papiernes Gedankenexperiment, ohne Gesellschaft, ohne Belang.
Fleischlose Kost, auch wenn von Jan Pappelbaums Kronleuchter eine echte
halbe Sau herabhängt. Nur Lars Eidingers Tugendeiferer ätzt bis in tiefere
Hautschichten. Er lässt eine Ahnung aufkommen, welchen Preis das
bürgerliche Subjekt einst für sich selbst bezahlt hat.
22 Aug 2011
## AUTOREN
Uwe Mattheiss
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