Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „Sag nie, du gehst den letzten Weg“
> ■ Ingrid Strobl schreibt im Gefängnis über Jüdinnen und Kommunistinnen…
> militanten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung / Wider die
> Überzeugung von der friedfertigen Natur der Frau
Ute Bertrand
Kommt, gebt mir einen Kuß, ich ziehe in den Krieg!“ Fifi, knapp 16 Jahre
alt, verabschiedet sich von ihren Eltern und nimmt ihr Gewehr, um im
spanischen Bürgerkrieg gegen die Faschisten zu kämpfen. Fifi, die mit
bürgerlichem Namen Fidela Fernandez de Velasca Perez heißt, gehört zu den
kommunistischen Milicianas, den bewaffneten Frauen in den republikanischen
Einheiten. Sie bastelt Bomben aus Kondensmilchdosen, die sie mit
Glassplittern, Steinen, Nägeln und Dynamit füllt, und schleudert sie in die
Reihen der gegnerischen Soldaten. Sie, die sich schon mit 12 Jahren
heimlich auf dem Hinterhof ihres Elternhauses das Autofahren beigebracht
hat, transportiert nun mit Lastwagen Leichen und Verwundete ins Hinterland.
Als Agentin für den kommunistischen Geheimdienst arbeitet sie hinter den
feindlichen Linien. Sie wird entdeckt, gefangengenommen und zum Tode
verurteilt. Acht Jahre bleibt sie in Haft, dann wird sie begnadigt. Im
Untergrund arbeitet sie bis zum Ende der Diktatur Francos weiter für die
Kommunisten. Heute lebt sie in einem selbstgebauten Haus in der Sierra von
Madrid. Hommage an die unbekannten
Heldinnen der Geschichte
Ingrid Strobl hat sie dort besucht und mit ihr gesprochen. Ihr und den
zahlreichen anderen Frauen des bewaffneten Widerstandes gegen Faschismus
und deutsche Besatzung in West - und Osteuropa hat sie ein Buch gewidmet,
ein Buch, das sie mit dem Anspruch verfaßt hat: „Es muß einer Fifi würdig
sein.“
Sag nie, du gehst den letzten Weg heißt der Band, den sie in
Untersuchungshaft geschrieben hat.
Im Juni dieses Jahres wurde die Autorin der „Hommage an die unbekannten
Heldinnen der Geschichte“ zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Das
Düsseldorfer Landgericht hielt es für erwiesen, daß sie sich wegen Beihilfe
an einem Sprengstoffanschlag, Zerstörung eines Gebäudes und Unterstützung
einer terroristischen Vereinigung schuldig gemacht hatte.
„Ich habe mein Leben damit verbracht, laut zu sagen, was ich denke. Ich
habe mein Leben damit verbracht, meine politische Haltung zu artikulieren
in Artikeln, Büchern, Diskussionsbeiträgen. Ich bin auch jetzt nicht
bereit, mir den Maulkorb umhängen zu lassen, der unsichtbar in diesem Raum
für mich ausliegt.“ Das sagte Ingrid Strobl am ersten Prozeßtag vor
Gericht. Das Buch zeugt von dieser Haltung. Es ist ernst und kämpferisch,
und es verlangt nach Auseinandersetzung - nicht, weil es effektvoll um
Aufmerksamkeit heischt oder auf Provokation setzt, sondern weil es voller
konkreter Informationen über kaum vorstellbare Grausamkeiten eines Regimes
und über eine verbissene, militante Gegenwehr steckt. Es sind Geschichten,
die packen und unter die Haut gehen, weil sie authentisch sind. Einfach zu
konsumieren sind sie nicht. Sie fordern dort zum genauen Hinsehen auf, wo
man am liebsten wegschauen möchte: beim kaltblütigen Massenmorden deutscher
Nazischergen und einem aussichtslos erscheinenden Widerstand. Als
„Top-Terroristin“ verfolgt
Jahrelang hat Ingrid Strobl recherchiert und Lebensgeschichten rebellischer
Frauen zusammengetragen: von Hannie Schaft, dem „Mädchen mit den roten
Haaren“ und Truus Menger, beide als „Topterroristinnen“ von der Gestapo
verfolgt, von Emilia Landau, die ein Attentat auf den stellvertretenden
Polizeichef des Warschauer Ghettos verübte, von Kämpferinnen in der
Partisanenarmee Titos und Jüdinnen in den bewaffneten Einheiten der
kommunistischen Arbeitsimmigranten Frankreichs.
Die Autorin berichtet über sie, ohne Details auszuschmücken oder
aufzubauschen. Sie selbst bleibt meist im Hintergrund, zeigt aber ihre
starke Verbundenheit mit den alten Kämpferinnen, die sie besucht und zum
Erzählen gebracht hat. Die Wirkung dieser Erzählungen liegt in der Auswahl
der Fakten. Ingrid Strobl bezieht eine eindeutige und radikale Position,
ohne ihren LeserInnen ihre Gesinnung mit ideologischen Vokabeln
aufzudrängen. Sie protokolliert die Geschichten dieser Frauen, deren
Widerstand oft vergessen und verschwiegen wird, um - wie sie es nennt - ein
„Dogma“ zu brechen: das „Dogma von der friedfertigen Natur der Frau“.
Anhand zahlreicher Biographien weist sie nach, daß Frauen mit der Waffe in
der Hand gegen ihre Unterdrücker kämpften. Sie gingen bei Straßenschlachten
auf die Barrikaden und kommandierten Bataillone, sie sprengten Lokale in
die Luft und brachten Züge zum Entgleisen. Sie schreckten nicht vor der
Gewalt zurück und brachen mit allen traditionellen Rollenklischees.
Die Frauen, die im bewaffneten Kampf „ihren Mann stehen wollten“, sind die
Hauptfiguren des Buches. Diejenigen, die für die Partisanen kochten und
wuschen, ihre Uniformen flickten und Verwundete pflegten, werden nur am
Rande erwähnt. Voller Haß und
flammender Rache
Voller Anerkennung beschreibt Ingrid Strobl die Disziplin, den Mut und die
Entschlossenheit dieser jungen Frauen. Ihren Widerstand interpretiert sie
nicht als Kampf, der „allein aus Abscheu vor dem Faschismus gespeist war,
sondern auf einer fundamentalen Gegnerschaft zu den herrschenden
Verhältnissen an sich basiert“. Ihre Motive erkennt sie im Willen, aus der
„verhaßten Normalität“ auzubrechen und eine neue Gesellschaft aufzubauen.
Haß und Rache erscheinen ihr als legitime Motive der Partisaninnen, gegen
die Faschisten zu kämpfen.
Das Frauenbild, das Ingrid Strobl mit diesen Geschichten transportiert,
beeindruckt und erschreckt. Diese Frauen waren geradlinig und konsequent.
Sie hatten sich im Griff, in der Gewalt. Frau zu sein, bedeutete für sie
kein Programm, sondern war nur ein Aspekt in ihrem Kampf gegen die
Unterdrückung aller unterprivilegierten Menschen. In den Partisanenlagern
der Bergwälder wurden sie zu Kameraden und Genossen. Tagelang lagen sie
verdreckt in den Schützengräben, steckten sich Watte zwischen die Beine,
wenn sie ihre Menstruation bekamen und vergruben sie in der Erde, wenn
gerade niemand hinschaute. Ihr Körper wurde ihnen zur Plage. Sie banden
sich die Brüste ab und verleugneten ihre Sexualität.
Ingrid Strobl versucht, sich in die Lage dieser Frauen zu versetzen. Sie
kritisiert sie nicht, sondern beschreibt und verehrt sie als integre
Menschen. Die Entfremdung der Kämpferinnen von ihrem eigenen Körper
erscheint ihr unter den gegebenen Bedingungen notwendig. Sie wertet es als
Schritt der Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen, so zu kämpfen wie die
Männer. Daß die Frauen dabei auch einen Teil ihrer Identität aufgeben und
sich den von Männern bestimmten Lebenszusammenhängen vollkommen
unterordnen, daran denkt sie nur soweit, wie es die Partisaninnen selber
taten - so gut wie gar nicht. Auch die militärische Organisation der
Kampfeinheiten, die auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam beruhten,
stellt sie kaum in Frage. Der Sinn der Widerstandsaktionen wird nicht
hinterfragt. Strobl setzt voraus, daß es damals für Frauen und Männer
legitim und geboten war, Menschen zu töten, wenn sie Faschisten waren. Die
Notwehrsituation rechtfertigte in ihren Augen die Gegengewalt. Mit nur
wenigen Sätzen problematisiert die Autorin den Kampf der Frauen, nicht so
zu werden wie ihre Feinde. Sie schaut mit den Augen der Partisaninnen auf
den Widerstand, alles übrige blendet sie aus.
Ingrid Strobl fordert gesellschaftliche Anerkennung für diese
Kommunistinnen und Jüdinnen, die nicht „wie die Lämmer zur Schlachtbank“
gehen wollten. Sie fordert, daß sie von der offiziellen
Geschichtsschreibung nicht weiterhin übergangen werden. Die meisten der
überlebenden Widerstandskämpferinnen meldeten sich nach dem Zweiten
Weltkrieg nicht mehr zu Wort. Sie zogen sich resigniert zurück, paßten sich
an und „versanken im Schweigen“.
Ingrid Strobl schweigt nicht. Sie will ihren eigenen Weg gehen.
Ingrid Strobl: nie, du gehst den letzten Weg. Frauen im bewaffneten
Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung. 16,80
20 Oct 1989
## AUTOREN
ute bertrand
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.