# taz.de -- Ry Cooder zum 65. Geburtstag: Der goldene Panther | |
> Zwischen Blutdruckmessen und Pilleneinnahme schreibt Ry Cooder | |
> Kurzgeschichten. Ansonsten gilt zum 65. Geburtstag: Einmal Gitarrengott, | |
> immer Gitarrengott. | |
Bild: Gitarrengott statt Eingang in die Literaturgeschichte. Ist auch in Ordnun… | |
Nur mal für die Akten: Joni Mitchell ist Göttin. Und Zimtzicke und Diva und | |
Rabenmutter, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Wenn hier gleich zu lesen | |
sein wird, dass Joni Mitchell Zeugs malt, das ausschaut wie Van Gogh für | |
Arme, dann nimmt das nichts weg von ihrem überirdischen Status, okay? Soll | |
sie doch wie Bob Dylan oder Ron Wood ihre alten Tage mit Malen nach Zahlen | |
verbringen, Herrgottzack, warum denn nicht? Auch Göttin kann nicht jeden | |
Tag über Wasser wandeln. Andererseits: Es muss eigentlich auch nicht sein. | |
Also: Während Joni Mitchell bunte Bilder malt, die „ausschauen wie Van Gogh | |
für Arme“, hat der nun ins Rentenalter wechselnde Gitarrist Ry Cooder ein | |
vergleichsweise vielversprechendes Hobby gefunden, um die Zeit zwischen | |
Blutdruckmessen und Pilleneinnahme rumzubringen. Er schreibt | |
Kurzgeschichten. Die schickt er dann an Deutschlands größten | |
Südstaaten-Outlaw-Dichter Franz Dobler, der sie durch sein | |
Hard-Boiled-Übersetzungsprogramm laufen lässt. | |
Und schneller als Lucky Lukes Schatten ziehen kann, erscheint dann ein | |
Bändchen namens „In den Straßen von Los Angeles“. Meine Englisch-Lehrerin | |
hätte zwar einzuwenden gehabt, dass es deutsch „Auf den Straßen von Los | |
Angeles“ heißen muss, aber dafür hätte sie keine Ahnung gehabt, wer Johnny | |
Ace war und wer John Lee Hooker, welche Frau jahrelang als männlicher | |
Jazzmusiker durchging und wie ein Zoot Suit auszusehen hat. | |
Nun weiß man, dass Ry Cooder sein Los Angeles liebt und kann akzeptieren, | |
dass selbst seine Nächte vom gleißenden kalifornischen Sonnenlicht | |
durchwabert sind: Mit seinen Short Stories hat er es vielleicht ein klein | |
wenig übertrieben. „Sheriff Fred Early kam angefahren, hielt, lies den | |
Motor laufen. ,Ich brauch nen doppelten Bourbon, sofort‘, sagte er. Er | |
musste das Glas mit beiden Händen halten. Die anderen Gäste sahen ihm zu, | |
wie er‘s austrank. Dann wandte er sich ihnen zu: ,Ihr wollt wissen, was das | |
für‘n Geruch ist?‘“ | |
Na, für mich ist es der hartgekochte Geruch von etwas zuviel Chandler und | |
Ellroy und Leonard. In die Literaturgeschichte wird Ry damit so wenig | |
eingehen wie Joni Mitchell in die Annalen der Bildenden Kunst, auch wenn | |
sich Elke Heidenreich als Fan des Buches outet, aber in den Südkurven der | |
Pop-Arenen wird weiterhin der Schrei ertönen: „Ryland Cooder, | |
Gitarrengott!“ | |
## Jubelfest auf einen ganz Großen | |
So, nachdem das mit den Storys geklärt wäre, ist es an der Zeit, sich Leben | |
und Werk Ry Cooders zu nähern, wie es sich an einem Jubelfest bei einem der | |
ganz Großen seines Instruments gehört: bescheiden, mit dem Hut in der Hand. | |
Als Kind bereits arbeitete sich Klein-Ry an seiner Versandhausgitarre und | |
den Country-Blues-Schellacks seines Vaters ab, der bald das Talent seines | |
Sohnes erkannte und mit einer Martin-Gitarre förderte. Als Teenager | |
verplemperte er seine Zeit nicht mit Schulbildung, sondern mit Besuchen in | |
Bluesbars downtown Los Angeles, wo er zuerst mit Jackie DeShannon ein | |
kurzlebiges Projekt am Laufen hatte, dann mit dem gleichaltrigen | |
Folk-Afficinado Taj Mahal die wunderbaren Rising Sons gründete, deren | |
halbwüchsige Rockmusik leider erst viele Jahre später veröffentlicht worden | |
ist. Wer an der Westküste um 1968 ein Gitarrenwunderkind brauchte, wandte | |
sich an Ry Cooder: von Paul Revere bis Randy Newman, von Captain Beefheart | |
bis Judy Collins bediente sich der Pop-Adel bei Rys Slide-Gitarrenspiel. | |
Für einige Monate verschlug es Cooder dann nach England; dort sollte er | |
Musik für einen Film einspielen. In London lernte er die Stones kennen, | |
denen er – wie nach ihm Gram Parsons – die Ohren öffnete für die subtiler… | |
Spielarten einer amerikanischen Musik, die laut Ry Cooder „so alt ist, dass | |
sie schon wieder neu klingt“. Tatsächliche Klangspuren hinterließ er auf | |
„Love in Vain“ und „Sister Morphine“, sowie dem Soundtrack zum Jagger-M… | |
„Performance“. | |
Die Jahre um 1970 waren in der amerikanischen Musikindustrie auch die Zeit, | |
als ein Generationswechsel stattfand und jungen Talenten allein der | |
schmutzigen Fingernägel und gewisser Drogenerfahrungen willen carte blanche | |
gegeben wurde für aus heutiger Sicht aberwitzige Studio-Eskapaden. | |
## Fremdeln im Pop-Geschäft | |
So durfte auch Ry Cooder mit einer einzigartigen Reihung von Alben | |
beweisen, dass sich die Musikstile, aus denen Pop sich speist, auf einen | |
gegenwärtigen Stand gebracht werden konnten: Er hauchte neben dem Blues der | |
hawaiianischen Musik, dem Gospel, dem New Orleans Jazz und der Musik der | |
texanischen Mexikaner neues Leben ein, um sich schließlich mit „Bop til You | |
Drop“ 1979 auch technologisch an die Spitze eines Feldes zu setzen, von dem | |
man seinerzeit noch nicht wissen konnte, dass es überhaupt existierte: | |
dieses kommerziell erfolgreichste aller Cooder-Alben gilt als erstes | |
Popalbum, das komplett digital eingespielt worden ist. | |
An dieser Stelle seiner Karriere vollzieht der gut 30-Jährige eine seltsame | |
Volte: Vielleicht lag es ja an den gleichzeitigen Triumphzügen von Disco | |
und New Wave, dass der sicherlich von einem Handwerksethos und starkem | |
Geschichtsbewusstsein geleitete Musiker im Pop-Geschäft zu fremdeln begann | |
und sich fast ein Jahrzehnt lang als Filmmusiker einen Namen machte. | |
In Deutschland verbinden wir den Namen Ry Cooder auf immer mit den Klängen | |
aus Wim Wenders‘ „Paris, Texas“, aber noch präsenter war Cooders Slide in | |
den Filmen des raubatzigen Regisseurs Walter Hill. Wohl ein halbes Dutzend | |
der intensiven Hill-Movies versah er mit Musik, darunter – in schöner | |
Zusammenarbeit mit dem 2009 verstorbenen Jim Dickinson – das Wildwest-Epos | |
„The Long Riders“. Die wenigen Alben unter eigenem Namen, die in den | |
Achtzigern erschienen – „The Slide Area“ oder „Get Rhythm“ – strahl… | |
seltsame Kühle aus, eine Distanz zum Material, die bei einem Musiker, der | |
so viele alte Songs mit größter Hingabe ins Hier und Jetzt transformiert | |
hat, merkwürdig aufstößt. | |
Vielleicht ist es da nur folgerichtig, dass Ry Cooder sich in den | |
Neunzigern noch weiter vom Pop entfernte. Es beginnt das Jahrzehnt, in dem | |
Cooder an fremden Gestaden sowohl nach Inspiration als auch nach | |
Verbündeten zu suchen scheint, die ihm den Glauben an die Macht der sechs | |
Saiten seiner Gitarre erhalten können: Er sucht und findet in Indien, auf | |
Okinawa, in Mali und schließlich auf Cuba, wo eine scheiternde | |
Kollaboration zwischen einheimischen und afrikanischen Musikern schließlich | |
zur Wiederentdeckung greiser Musiker führt, die anschließend und auch dank | |
eines Wenders-Films als Buena Vista Social Club zu Weltstars werden. | |
## Knarre für die Finanzjongleure | |
Und kann es nicht dieser unverhoffte Erfolg einer verloren geglaubten | |
Musikergeneration gewesen sein, diese Illusion von künstlerischer | |
Gerechtigkeit, die Ry Cooder zu dem Projekt ermutigt hat, in dem man ihn | |
grob geschätzt seit 2005 verorten kann – der Rückforderung der Geschichte | |
des 20. Jahrhunderts in den USA von ihren Fälschern und Mythologen? | |
Was Cooder in seinem Erzählbändchen nur ungelenk andeuten kann, gelingt auf | |
Alben wie „Chavez Ravine“, „My Name is Buddy“ oder zuletzt „Pull Up S… | |
Dust“ souverän: zu zeigen, dass es neben der kapitalistisch geprägten Sicht | |
der Dinge noch eine Parallel-Realität gibt, die wir in Europa vielleicht | |
„links“ nennen würden. In einem Land, das mehrheitlich eine solidarische | |
Krankenversicherung für Kommunismus hält, ist dieses Wort viel zu schwach. | |
Ry Cooder nimmt sich noch einmal die alten Musiken vor, spielt sie mit der | |
Crème seiner Musikerfreunde erneut ein und versieht sie mit Texten, die | |
neben dem starken Vergangenheitsbezug die Übertragung in die Gegenwart | |
erlauben. Er knüpft eher bei Woody Guthrie und Phil Ochs an als beim | |
Zeitgenossen Bob Dylan, der das Konkrete scheut, seit er als „Stimme einer | |
Generation“ herhalten musste. Nun, Ry Cooder ist heute die Stimme einer | |
Generation, die eben ins Rentenalter eingeht, aber noch weiß, dass | |
Sozialismus einst kein Schimpfwort war, dass man Gesellschaften auch anders | |
als nach dem Leistungsprinzip denken kann und dass es zu den vornehmsten | |
Pflichten eines Künstlers gehört, die Dinge beim Namen zu nennen. | |
Genau deshalb fordert der Bandit Jesse James im Himmel von Gott seine | |
Knarre zurück, weil er sie auf Erden noch einmal gebrauchen will, um die | |
Finanzjongleure zur Rückzahlung ihrer Boni zu überreden. Amen. | |
13 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Karl Bruckmaier | |
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