| # taz.de -- Rumänien entdeckt Holocaust | |
| > Staatschef Ion Iliescu gedenkt erstmals der Judenvernichtung unter | |
| > Militärdiktator Ion Antonescu. Doch rechte Gruppen leugnen weiter die | |
| > historischen Tatsachen | |
| BERLIN taz ■ Rumänien hat am Dienstag erstmals offiziell der | |
| Judenverfolgung und -vernichtung während der Diktatur des Hitlerverbündeten | |
| Ion Antonescu gedacht. Präsident Ion Iliescu erinnerte in einer Ansprache | |
| vor dem Bukarester Parlament daran, dass während der faschistischen | |
| Militärdiktatur Antonescus von 1940 bis 1944 ungefähr 250.000 Juden in | |
| Rumänien und den von Rumänien besetzten Gebieten getötet worden waren. | |
| Der zum Sozialdemokraten gewendete Exkommunist Iliescu forderte die Bürger | |
| Rumäniens auf, sich der Geschichte zu stellen und die volle Verantwortung | |
| für dieses dunkle Kapitel zu übernehmen. Der Holocaust sei ein Thema, das | |
| lange vermieden worden sei, deswegen dürfe er weder verharmlost noch | |
| vergessen werden, sagte Iliescu. | |
| Die rumänische Presse kommentierte die Ansprache ironisch-verhalten und | |
| vergaß nicht, auf die zahlreichen widersprüchlichen Aussagen Iliescus | |
| hinzuweisen, die immer wieder für aufgebrachte Reaktionen im In- und | |
| Ausland gesorgt hatten. In einem heftig umstrittenen Interview mit der | |
| israelischen Zeitung Ha’aretz hatte Iliescu noch im Sommer 2003 den von den | |
| Antonescu-Behörden verschuldeten Holocaust relativiert. | |
| Ion Antonescu hatte die rumänischen Juden nicht an Hitlerdeutschland | |
| ausgeliefert, sondern eine eigene Vernichtungsmaschinerie ins Leben | |
| gerufen. Zehntausende Juden aus den östlichen Gebieten Rumäniens wurden in | |
| die Todeslager nach Transnistrien deportiert, einem zwischen dem Bug und | |
| Dnjestr liegenden Gebiet, das im Zweiten Weltkrieg unter rumänischer | |
| Verwaltung stand. Den offiziellen Befehl zur Deportation erließ Antonescu | |
| am 9. Oktober 1941. | |
| In Transnistrien, „dem gigantischen Grab der rumänischen und ukrainischen | |
| Juden“, wie es ein Historiker nannte, wurden die Juden und deportierten | |
| Roma einer blindwütigen rumänischen Soldateska überlassen. Zu den blutigen | |
| Gräueltaten der rumänischen Militär- und Polizeibehörden gesellten sich | |
| Seuchen, Hunger und unmenschliche hygienische Bedingungen, die zehntausende | |
| dahinrafften. | |
| Trotz einschlägiger historischer Beweise leugnen bestimmte Kreisen, | |
| extremistische Gruppierungen und Parteien den rumänischen Holocaust. | |
| Nachdem sich die antisemitische Großrumänienpartei aus wahltaktischen | |
| Gründen von ihrer antijüdischen Haltung öffentlich distanzierte, haben | |
| kleine rechtsradikale Gruppierungen das Flaggschiff des Revisionismus | |
| übernommen. Im Namen der „Liga zur Bekämpfung des Antirumänismus,“ der | |
| neofaschistischen Organisation Vatra Româneasca (Rumänische Heimstätte) und | |
| der Vereinigung der Kriegsveteranen und deren Nachkommen organisierte der | |
| Universitätsprofessor Ion Coja in Bukarest eine Gegenveranstaltung zum | |
| Holocaustgedenktag, um die „unhaltbaren Beschuldigungen“, auf rumänischem | |
| Boden habe es einen Holocaust gegeben, zu entkräften. „Der so genannte | |
| Holocaust“, sagte Coja am Dienstag der BBC, „ist für uns Rumänen nicht | |
| repräsentativ.“ | |
| Obwohl die rumänische Regierung per Dringlichkeitsverordnung die | |
| Holocaustleugnung bereits im Frühjahr 2002 unter Strafe gestellt hatte, | |
| wurden bislang weder Coja noch andere Leugner zur Verantwortung gezogen. | |
| WILLIAM TOTOK | |
| 14 Oct 2004 | |
| ## AUTOREN | |
| WILLIAM TOTOK | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |