| # taz.de -- Roter Adler, grüner Wieland | |
| > Die Brandenburger Grünen gehen mit ihrem importierten Spitzenkandidaten | |
| > selbstbewusst auf die Landtagswahl zu: „Wenn uns nicht noch irgendwas auf | |
| > die Füße fällt, haben wir gute Aussichten“ | |
| VON STEFAN ALBERTI | |
| Der Lautsprecher krächzt ein bisschen, aber es reicht zum Verstehen: | |
| „Steige hoch, du roter Adler, hoch über Sumpf und Sand, heil dir, mein | |
| Brandenburger Land“. Es sind keine obskuren märkischen Patrioten, die in | |
| einem Kulturzentrum am Rande Potsdams die brandenburgische Hymne spielen. | |
| Es sind die Grünen des Landes. Der Mann, der für sie bei der Landtagswahl | |
| den Adler steigen lassen soll, den sie aus Berlin holten, hat an diesem | |
| Abend dazu seinen ersten größeren Auftritt. Wolfgang Wieland, der | |
| Exjustizsenator, soll zwar erst Ende März offiziell Spitzenkandidat werden. | |
| De facto ist er es spätestens seit diesem Politischen Aschermittwoch. | |
| Allzu weit hat sich Wieland an diesem Abend nicht aus Berlin rausbewegen | |
| müssen. Die Veranstaltung geht in der „Fabrik“ über die Bühne, keine zwei | |
| Kilometer von der Landesgrenze an der Glienicker Brücke. Gut hundert | |
| Menschen drängen sich zwischen Theke, Stehtischen und Bühne. Wieland | |
| kokettiert mit seinem bisherigen Städterdasein. Mehrfach hatte er betont, | |
| dass er nie aufs Land wollte. „Ob ihr es glaubt oder nicht, ich war ja | |
| schon das eine oder andere Mal in Brandenburg.“ | |
| Neu im Amt, aber nicht neu im Land ist Joachim Gessinger, 58, seit November | |
| einer der beiden Landesvorsitzenden. Er ist ein Rückkehrer: in Brandenburg | |
| geboren, später in den Westen, seit 1993 Professor in Potsdam. Er lächelt | |
| bei der Frage, wie viel Vertrauen die Wähler einer Partei schenken können, | |
| die sich ihren Spitzenmann importieren muss. Seit 1994 sind die Grünen | |
| nicht mehr im Landtag, vegetieren als außerparlamentarische Opposition. | |
| Wieland soll wieder die Öffentlichkeit auf sie lenken. Das klappt, auch an | |
| diesem Abend berichtet das Fernsehen. | |
| „Wir werden wahrgenommen, wir werden angefragt.“ Aus Gessingers Sätzen | |
| spricht der Jubel des jahrelang Ignorierten. Die CDU habe jüngst gesagt, | |
| die Grünen könnten ihr nicht gefährlich werden, erzählt er. „Allein dass | |
| die von ,gefährlich werden‘ reden – wir können denen doch eigentlich nur | |
| ans Bein pinkeln.“ | |
| Sie haben diese Aufbruchstimmung in ihren Slogan gepackt. „Wir ziehen in | |
| den Landtag um!“ steht groß und grün hinter der Bühne, von der Wieland den | |
| Saal unterhält. Er tut es mit dem Wortwitz, der ihn in Berlin ausgezeichnet | |
| hat, bevor er auf dem Weg zur Politpension schien. Er habe nicht mehr genug | |
| inneres Feuer, meinte er, als er vor einem Jahr nicht mehr Fraktionschef | |
| sein wollte. 2006 sollte Schluss im Abgeordnetenhaus sein. „Ich habe | |
| aktuell keine Angebote“, sagte er damals auf die Frage, ob es mit ihm als | |
| Politiker bald ganz vorbei sei. Gessinger sagt, man habe ihn schon nach den | |
| gescheiterten Verhandlungen zur Ampelkoalition 2001 gefragt. | |
| Berliner Parteifreunde erleben ihn, der bald 56 wird, verändert. Er wirke | |
| „wie aufgeblüht, seit die Sache mit Brandenburg auf dem Weg ist“. Auch an | |
| diesem Abend ist Wieland in Form, er höhnt über die Pleiten von SPD und | |
| CDU: „Verglichen mit der Cargolifterhalle ist das Rathaus in Schilda ein | |
| genialer Multifunktionsbau gewesen.“ Den Lausitzring nennt er „eine | |
| Carrera-Bahn für spätpubertierende Ministerpräsidenten“. Um zu kandidieren, | |
| muss er sein Berliner Mandat aufgeben. Scheitern die Grünen, ist er weder | |
| im einen noch im anderen Parlament. | |
| 7 Prozent will Wieland, im Spitzenduo mit der brandenburgischen | |
| Bundestagsabgeordneten Cornelia Behm, bei der Wahl am 21. September holen. | |
| Es ist eine erweiterte Variante des Projekts 18 der FDP. Denn die Liberalen | |
| hatten bei der vorangegangenen Wahl schon über ein Drittel jener 18 Prozent | |
| erzielt. Bei den Grünen hingegen stehen den angestrebten 7 Prozent mickrige | |
| 1,9 bei der vergangenen Landtagswahl entgegen. Man habe doch bei der | |
| Bundestagswahl 4,5 Prozent geholt, heißt es. | |
| Im Wahlkampf wollen die Grünen das komplette Land abdecken. „Wir gewinnen | |
| die Wahl im Speckgürtel, aber wir können sie an der Peripherie verlieren“, | |
| sagt Gessinger. 29.477 Quadratkilometer ist das Land groß, 32-mal größer | |
| als Berlin. Das sind gut 50 Quadratkilometer für jeden der 580 | |
| Brandenburger Grünen. Allein der Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg hat | |
| mehr Mitglieder. Gessinger will Verstärkung ins Boot holen, etwa mit Bauern | |
| gentechnikfreie Zonen ausweisen. Zudem baut er auf den gemeinsamen | |
| Europawahlkampf mit den Berliner Grünen. | |
| „Wenn uns nicht noch irgendwas auf die Füße fällt, haben wir gute | |
| Aussichten“, sagt Gessinger. Den roten Adler will er aber nur mit den Roten | |
| steigen lassen: „Schwarz-Grün in Brandenburg ist völlig absurd.“ | |
| 27 Feb 2004 | |
| ## AUTOREN | |
| STEFAN ALBERTI | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |