# taz.de -- Robert Habeck in Israel und Jordanien: Kanzler der Reserve | |
> Im Nahen Osten unterstreicht Habeck seinen Anspruch, Akzente jenseits | |
> seines Ressorts zu setzen. Sein Pensum ist hoch, die Themenvielfalt groß. | |
Bild: Robert Habeck besucht das syrischen Flüchtlinglager Asrak in Jordanien | |
JERUSALEM/RAMALLAH/AL-AZRAQ taz | Der letzte Tag ist noch einmal besonders | |
anstrengend, sowohl körperlich als auch psychisch: Bis zum Horizont | |
erstrecken sich die Wellblechhütten mitten in der jordanischen Wüste. Die | |
Sonne brennt vom Himmel, der Wind treibt Staubwolken in die Augen. Etwa | |
40.000 Flüchtlinge leben hier im Lager al-Azraq, etwa 50 Kilometer südlich | |
der Grenze zu Syrien, von wo die meisten der Geflüchteten stammen. | |
Auch Robert Habeck ist sichtlich bewegt, als er am Donnerstag durch das | |
Camp wandert, dort einen Markt besucht und versucht mit Kindern zu | |
sprechen, die in der Mittagshitze auf dem Fußballplatz spielen und in einer | |
Containersiedlung am Computer arbeiten. | |
Kinder machen mehr als die Hälfte der Campbewohner:innen aus. Viele | |
wirken fröhlich, es gibt Schulunterricht und Freizeitangebote. Aber eine | |
Perspektive gibt es für sie nicht: Die meisten Jungen und Mädchen, die sich | |
um die Delegation des Ministers drängen, wurden im Camp geboren und haben | |
es noch nie verlassen. Arbeitsmöglichkeiten für Ältere existieren kaum. | |
Um der Hilflosigkeit, die einen als Besucher an diesem trostlosen Ort | |
überkommt, wenigstens etwas entgegenzusetzen, kündigt Habeck spontan eine | |
Initiative an: Er werde sich dafür einsetzen, dass Flüchtlinge aus | |
Jordanien leichter zum Arbeiten nach Deutschland kommen können. Es sei | |
offensichtlich, „dass wir einen ungeheuren Bedarf an Fachkräften haben“, | |
sagt der Wirtschaftsminister. Darum wolle er nach Möglichkeiten für die | |
Flüchtlinge suchen, „einen Beruf in Deutschland zu finden“. | |
Mit dem Arbeits- und dem Innenministerium, die für Jobs und Einwanderung | |
primär zuständig sind, ist diese Initiative nicht abgesprochen. Und | |
besonders realistisch scheint sie nicht: Selbst die Absolvent*innen der | |
[1][deutsch-jordanischen Hochschule bei Amman], die in Zusammenarbeit mit | |
deutschen Fachhochschulen vor allem in technischen Studiengängen | |
ausgebildet werden, hatten sich am Vortag bei Habeck beklagt, wie schwierig | |
es sei, eine Arbeitserlaubnis in Deutschland zu bekommen. | |
Noch ein kurzer Abstecher zum Recyclingzentrum des Camps, das mit | |
deutscher Hilfe aufgebaut wurde, dann geht es zurück in die Wagen und | |
wieder in hohem Tempo über holprige Straßen durch die Wüste. Auch der | |
letzte Termin auf Habecks Nahost-Reise hat wenig mit seinem Job als | |
Wirtschafts-, Energie- und Klimaminister zu tun: ein Besuch der deutschen | |
Soldaten, die von einem jordanischen Militärflughafen aus mit einem Airbus | |
der Luftwaffe vor allem amerikanische Kampfjets bei Aufklärungsflügen über | |
dem Irak betanken. | |
Der Minister sucht auch hier das Gespräch, stellt wie bei allen seinen | |
Terminen ernsthafte Fragen – und bringt jene Wertschätzung für die Arbeit | |
der Soldaten zum Ausdruck, den diese von Verteidigungsministerin Christine | |
Lambrecht (SPD) oft vermissen. „Ich war hier in der Region“, sagt er zu den | |
jungen Männern, nachdem diese über ihre Aufgaben berichtet haben. „Es wäre | |
absurd gewesen, hier vorbeizufahren, ohne Danke zu sagen für das, was Sie | |
für Deutschland tun, was Sie für den Frieden in der Region tun.“ | |
Eigentlich könnte man meinen, dass der ehemalige Grünen-Chef mit seinem Job | |
als Wirtschaftsminister derzeit genug zu tun hat. Mit der Energiewende, | |
deren Tempo in kurzer Zeit vervielfacht werden soll, verantwortet er ein | |
zentrales Projekt der Regierung; mit der drohenden Gaskrise durch den | |
Ukrainekrieg ist ein weiteres dringendes Problem dazugekommen, dem Habeck | |
sich mit großem Einsatz widmet. | |
Doch das Programm seiner viertägigen Nahost-Reise lässt auch während der | |
ersten Tage keinen Zweifel aufkommen: Hier will einer zeigen, dass er auch | |
vor noch größeren Aufgaben keine Angst hat. Für jemanden, dessen Partei in | |
aktuellen Umfragen die des Kanzlers überholt hat und der mit seiner | |
Parteifreundin, der Außenministerin Annalena Baerbock um den Spitzenplatz | |
als beliebtester Politiker konkurriert, kein unwichtiges Statement. | |
Obwohl er selbst nur stellvertretender Regierungschef ist, wird Habeck von | |
Israels Premierminister Naftali Bennett ebenso empfangen wie vom | |
Ministerpräsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mohammed | |
Schtajjeh und dem jordanischen König Abdullah II. Auch dazwischen ist das | |
Programm dicht gepackt – und von großen Gegensätzen geprägt. | |
In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zitiert Habeck nach | |
der Kranzniederlegung beim Eintrag ins [2][Gästebuch] sichtlich bewegt ein | |
Gedicht von Paul Celan, des deutschsprachigen jüdischen Dichters, dessen | |
Eltern im Holocaust ums Leben kamen: „Kann keine der Espen mehr, keine der | |
Weiden den Kummer dir nehmen, den Trost dir bereiten.“ Celans Gedichte | |
hätten für seine eigene Annäherung an den Holocaust eine wichtige Rolle | |
gespielt, sagte der studierte Literaturwissenschaftler Habeck. | |
## Habeck wirbt für eine verstärkte Zusammenarbeit | |
Von Yad Vashem geht es direkt weiter nach Ramallah, wo der palästinensische | |
Ministerpräsident Schtajjeh schwere Vorwürfe gegen Israel erhebt. Als | |
dieser versucht, seinen „lieben Freund“ Habeck in seiner Israel-Kritik zu | |
sehr zu vereinnahmen, widerspricht der Vizekanzler auf offener Bühne. Er | |
sehe im Nahostkonflikt Verantwortung auf beiden Seiten, sagt er – und | |
appelliert an Schtajjeh, ebenfalls den Blick zu weiten: „Versuchen Sie zu | |
verstehen, dass es auch auf der anderen Seite Verlust und Emotionen gibt“, | |
sagt er. Die Dolmetscherinnen haben dabei wenig zu tun; Habeck führt die | |
meisten Gespräche in fließendem Englisch. | |
Zwischen den Ausflügen in die Außen-, Flüchtlings- und Verteidigungspolitik | |
gibt es auch reichlich energiepolitische Termine: Habeck trifft zahlreiche | |
Fachminister*innen, Vertreter*innen von Wirtschaft und | |
Zivilgesellschaft, er eröffnet eine internationale Energiekonferenz am | |
Roten Meer und wirbt dabei für eine verstärkte Zusammenarbeit auf dem Feld | |
der erneuerbaren Energien. | |
Schon als mitreisender Journalist, der nur bei einem Teil der Termine dabei | |
ist und dort vor allem zuhören muss, ist das Tempo der Reise, die Dichte | |
der Eindrücke und Informationen anstrengend. Habeck dagegen, der dabei auch | |
noch stets im Mittelpunkt steht und zu jedem Thema kluge Dinge sagen soll, | |
scheint das übervolle Programm nicht das Geringste auszumachen. Er ist | |
abends unter den Letzten an der Bar und geht trotzdem am nächsten Morgen | |
vor dem ersten Termin joggen oder schwimmen. | |
Und auch bei der Fahrt zwischen den einzelnen Programmpunkten, so berichten | |
es Mitarbeiter, gönnt sich der Minister kaum mal eine Pause. Stattdessen | |
liest er die Dossiers, die sein Stab vorbereitet hat, und sammelt im | |
Gespräch Informationen und Ideen für den nächsten Termin. | |
Mit einem ähnlichen Tempo ist Habeck auch im Wirtschaftsministerium | |
gestartet. Während CDU-Vorgänger Peter Altmaier zehn Monate brauchte, um | |
überhaupt die zentrale Stelle des Energie-Staatssekretärs zu besetzen, | |
brachte Habeck gleich am ersten Tag ein großes Team von Fachleuten mit ins | |
Haus und hat im ersten halben Jahr bereits mehrere große Gesetzespakete | |
durchs Parlament und weitere auf den Weg gebracht. | |
Die Mitarbeiter*innen, so ist zu hören, werden dabei extrem gefordert. | |
Habeck will Informationen, drängt die Fachebene auf konkrete Antworten und | |
Lösungen – und zwar immer so schnell wie möglich. Schließlich ist von den | |
drei Jahren, die effektiv zum Regieren zur Verfügung stehen, schon ein | |
halbes um. | |
Der Kontrast zu Olaf Scholz, der in der Öffentlichkeit als abwartend und | |
zögerlich wahrgenommen wird, könnte nicht größer sein. Und auch in der | |
Kommunikation liegen Welten zwischen dem Kanzler und seinem Vertreter. Zwar | |
hat Habeck auf der Nahost-Reise keine Zeit, eins seiner mittlerweile | |
berühmten Instagram-Videos aufzunehmen, in denen er in verständlicher | |
Sprache seine Entscheidungen begründet. Aber dass die Botschaften ankommen, | |
dafür wird trotzdem gesorgt. | |
Ein Fotograf des Ministeriums begleitet Habeck fast rund um die Uhr, ein | |
Mitarbeiter, der sich um Habecks [3][Social-Media-Auftritt] kümmert, ist | |
stets in seiner Nähe und sorgt dafür, dass die besten Motive und Gedanken | |
schnell auf Instagram landen. Übertreiben will er aber auch dabei nicht: | |
Sich beim Fußballspiel mit einer Gruppe Jungs im Flüchtlingscamp ablichten | |
zu lassen, erscheint ihm offensichtlich zu inszeniert, das Angebot der | |
Bundeswehrsoldaten, eine Schutzweste anzuprobieren, lehnt er ebenfalls ab. | |
Gefragt, warum er sich über die eigenen Themen hinaus noch weiteren Stress | |
auflade, verweist Habeck darauf, dass er ja auch Vizekanzler sei. Als | |
Kritik am eigentlichen Kanzler will er seine Aktivitäten keinesfalls | |
verstanden wissen, über Bundeskanzler Olaf Scholz ist von ihm kein | |
schlechtes Wort zu hören. | |
Aber bis über mögliche neue Aufgaben entschieden wird, ist ja auch noch | |
Zeit. Damit die für Robert Habeck arbeitet, muss er allerdings bei seinem | |
Kernthema weiter vorankommen. Die Gasversorgung ist noch nicht gesichert, | |
beim wichtigen Windgesetz droht eine Verzögerung, beim Aus für neue | |
Verbrennungsmotoren stellt sich die FDP quer: Schon auf dem Rückflug nach | |
Berlin lässt die deutsche Energiepolitik die Krisen im Nahen Osten schon | |
wieder weit weg erscheinen. | |
10 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.german-jordanian.org/de/ | |
[2] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/robert-habeck-traegt-sich-mit-c… | |
[3] https://www.instagram.com/robert.habeck/?hl=de | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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