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# taz.de -- Reformpädagoge Peter Petersen: Der bessere Nazi
> In Jena gibt es Streit um den Reformpädagogen Peter Petersen. Der
> Erziehungswissenschaftler hat das NS-Regime propagandistisch unterstützt
> - nach ihm wurde 1991 ein Platz benannt.
Bild: Berührungsängste gibt es keine: In der Gemeinschaftsgrundschule Peter-P…
In Jena gab es einen Adolf-Hitler-Platz, der nach 1945 in Karl-Marx-Platz
umbenannt wurde. Marx hatte in Jena seine Dissertation über Epikur und
Demokrat eingereicht. 1991 schließlich wurde der Karl-Marx-Platz in
Peter-Petersen-Platz umbenannt. Das löst nun eine Kontroverse aus.
Petersen hatte 1927 seinen "Kleinen Jena-Plan" vorgelegt, erhielt in Jena
auch einen Lehrstuhl und leitete dort eine "Universitätsschule". Auch nach
1933 publizierte er bis 1944 fleißig weiter als strammer protestantischer
Deutschnationaler. Seine Veröffentlichungen aus jener Zeit strotzen vor
oberflächlicher Anbiederei an Adolf Hitler, "Erzieher des Volkes" und Lob
auf die SS und die SA. Er unterstützte zudem die Eugenik-Gesetze des
NS-Regimes, die militaristisch-nationalistische Opferideologie und den
biologisch begründeten Rassismus. Petersen feierte den "Tod fürs
Vaterland", beschwor die Landesfahne als das "heiligste Leichentuch" und
lobte die "Instinktsicherheit des Nationalsozialismus". Nun, nachdem dazu
erneut Material aus der NS-Zeit veröffentlicht wurde, diskutieren die
offiziellen Gremien der Stadt, ob der Peter-Petersen-Platz nicht doch
wieder umbenannt werden sollte.
Hinter der lokalpolitischen Peinlichkeit solcher nicht enden wollenden
Namensveränderungen und den üblichen Verkürzungen auf die Frage: "War Peter
Petersen ein Nazi? - Ja oder Nein?!" stehen insgesamt gewichtige Fragen
nach der Rolle der führenden Erziehungswissenschaftler der Weimarer
Republik in der NS-Zeit und deren Kontinuität nach 1945. Die führenden
Köpfe der Erziehungswissenschaft in der Weimarer Republik sind als
sogenannte Geisteswissenschaftler bekannt. Drei von ihnen, Eduard Spranger,
Herman Nohl und Erich Weniger prägten nach 1949 sehr nachhaltig die
Erziehungswissenschaften in der Bundesrepublik, während Petersen im Westen
zunächst in Ungnade fiel.
Unter den Reformpädagogen befürwortete Peter Petersen eine mindestens
sechsjährige Grundschule, die akademische Lehrerbildung und die Übernahme
einzelner Elemente der internationalen Reformpädagogik (schriftliche
Berichte statt Noten, Wochenplan, jahrgangsübergreifende Gruppen). Darüber
hinaus ist er der Schöpfer des "Kleinen Jena-Plans" von 1927. Nach 1933 im
NSLB (Nationalsozialistischem Lehrerbund), nach 1945 dann in der SPD und
dadurch auch in der SED, dann Bruch mit der SED, konnte er in der BRD
allerdings zu seinen Lebzeiten nicht mehr richtig Fuß fassen. Denn Fritz
Karsen, von 1946 bis 1948 Chief in der Hauptabteilung Education and
Cultural Relations beim Office of Military Government der U. S. Army,
kannte Petersens pronazistische Artikel offensichtlich ganz gut. Er
intervenierte erfolgreich gegen eine Berufung Petersens an die Universität
Bremen.
Doch im Rahmen der sozialdemokratischen Bildungsreform Ende der Sechziger-
und in den Siebzigerjahren wurde Peter Petersen im Westen nach seinem Tod
wiederentdeckt. Dutzende Schulen wurden nach ihm oder dem Jena-Plan
benannt. Bis heute gilt er weitgehend als Vater der Reformpädagogik in
Deutschland. Seine NS-Publikationen wurden als Bagatelle abgetan. Ein
Hauptargument war und ist: Die Kritik an den NS-Publikationen würde
instrumentalisiert, um für das dreigliedrige Schulsystem und gegen die
Gesamtschule Stimmung zu machen, für die auch Petersen stand.
Doch Forschungen belegen, dass Petersen und seine Kollegen die Politik des
NS-Regimes aktiv unterstützten und auch Elemente des Antisemitismus
beisteuerten. Nicht im Stil des "Stürmers", aber im Ton des platonischen
Gelehrten, davon beseelt, das Niveau der nationalsozialistischen Bewegung
anzuheben.
Das Gesetz der Rasse
Noch 1944 hielt Peter Petersen aus diesem Grunde Vorträge im KZ Buchenwald
vor kahl geschorenen norwegischen Studenten. Sie waren wegen ihrer Proteste
gegen die NS-Besatzungsmacht inhaftiert worden. Ziel der Vorträge war, die
norwegischen Studenten zum Eintritt in die Waffen-SS zu bewegen. Petersen
hat 1944 insgesamt drei Vorträge im KZ Buchenwald zu den Themen "Pädagogik
(Allgemeine Erziehungswissenschaft)", "Über Jesuitenerziehung, ein
historisches Moment" und "Wissenschaft im Dienste des Lebens" gehalten.
Zwei der überlebenden Zuhörer, Jan Bendix Lien und Arnt Friisk, erinnern
sich, dass die Vorträge "mit Rassentheorie und Nazipropaganda vermischt"
gewesen seien. In Petersens Schriften ist die Naziideologie leicht zu
finden. "Das Gesetz der Rasse ist ungeheuer streng und rächt sich an jedem,
der es missachtet. Umso höher die Pflicht hochwertiger Völker und Rassen,
ihr Erbgut und seine Kräfte heilig, und das ist dann rein, zu halten!",
schrieb er zum Beispiel 1941.
Petersens letztes großes Werk nach 1945 wurde erst nach seinem Tod im Jahr
1954 veröffentlicht und heißt "Der Mensch in der Erziehungswirklichkeit".
Dort schreibt er: "Leben, Wirken und Ausgang jener Gruppe satanischer
Menschen, die sich im Führerkorps des Nationalsozialismus zusammenfanden,
könnten der Welt ein belehrendes Exempel sein." Und weiter: " Unter ihnen
wandelte sich der Nationalsozialismus zum teuflischen Nazismus und bewirkte
in jeder Hinsicht durchaus das Gegenteil von dem, was sein kompiliertes
Programm verhieß und was er daraus als Lockmittel und Aushängeschild
hervorholte, um auch die besser Gesinnten und feinere Gemüter zu betören."
Also die Nazis hätten den Nationalsozialismus nicht richtig verstanden und
so "das Entgegengesetzte der so laut verkündeten Forderungen erreicht: die
Zeugen einer Kultur von tausend Jahren für immer vernichtet, das Volksleben
in seinen Grundlagen erschüttert und verwildert, das deutsche Volk rassisch
verunreinigt und aufgelöst und politisch gegeneinander, alle gegen alle,
aufgebracht, der letzte Rest einer Volksgemeinschaft durch Organisationen
bedroht und fast in ihnen erstickt - überall eine bis zur völligen
Substanzvernichtung vorgetriebene Auflösung des Volkes."
So spricht ein Nazi, der der bessere Nazi sein wollte. Petersen beklagt,
dass als Ergebnis der NS-Herrschaft "das deutsche Volk rassisch
verunreinigt" worden sei. Aber, spricht so ein Vorbild, nach dem heute
Schulen oder Plätze in ganz Deutschland benannt sind?
Eine nach Peter Petersen benannte Schule in Darmstadt-Weiterstadt hat nun
angekündigt, ihren Namen ändern zu wollen. Weitere Diskussionen in
Mannheim, Hannover und Köln an Petersen-Schulen lassen hoffen. In Jena
selbst soll nach öffentlichen Diskussionen in den nächsten Wochen und
Monaten über die Umbenennung des "Petersenplatzes" entschieden werden.
5 Oct 2009
## AUTOREN
Benjamin Ortmeyer
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