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# taz.de -- Der Beifall der Massen
> INSZENIERUNG Totalitäre Regime leisten sich gerne ein Parlament: Am
> Donnerstag tagt die Volksversammlung in Nordkorea
VON ARNO FRANK
Wie sieht aus, worin regiert wird? Moderne Parlamentsgebäude nähern sich
modernen Kunsthallen an. Manchmal, wie etwa bei dem hübschen
Liechtensteiner Landtag in Vaduz, wird das Repräsentative zugunsten einer
ästhetischen Idee sogar ganz aufgegeben. Ein Beispiel von bemerkenswerter
Scheußlichkeit wiederum ist die Knesset in Jerusalem, wo die Transparenz
einer Neuen Nationalgalerie mit der Sinnlichkeit eines Hochbunkers
verbunden wurde. Je neuer, desto Glas: Das vollverglaste Europäische
Parlament in Straßburg ist theoretisch total transparent, widerspiegelt
aber praktisch nichts als die stadtplanerische Ödnis ringsum. Im neuen
Berlin wurde dem Reichstag eine Kuppel spendiert. Sie vermittelt die
Illusion des Einblicks in die Vorgänge darunter, wo Abgeordnete in fair
ausgezirkelten Tortendiagrammen beisammensitzen, womöglich auf Augenhöhe.
Dabei wird auch hierzulande simuliert und Wesentliches anderswo
entschieden. Vielleicht ist es diese Parallele, die uns eine
nordkoreanische Parlamentssitzung mit Ekel, Beileid oder Scham betrachten
lässt. Wir wissen, was es darstellen soll, und erkennen den Betrug. Als
wär’s ein Pappkarton mit aufgekritzeltem Bildschirm und aufgeklebten
Knöpfen – und alle tun, als würden sie fernsehen.
## Frontaler Unterricht
In Pjöngjang ist alles inszeniert und kein Platz für Eventualitäten. Es
herrscht gleichsam Frontalunterricht. Auf der einen Seite sitzen die 687
Abgeordneten, auf der anderen die eigentlichen Machthaber. Die thronen
hinter edelhölzernen Schreibtischen mit viel Beinfreiheit und unter einem
erleuchteten Porträt des Staatsgründers und „ewigen Präsidenten“ Kim Il
Sung, des Begründers der Dynastie und Schöpfers der Juche-Ideologie, eines
Sozialismus im eigenen Land abzüglich der im Marxismus-Leninismus
ursprünglich angepeilten Weltrevolution.
Wie im Katholizismus ist hier der eigentliche Chef transzendiert, liegen
seine Geschäfte einstweilen in den Händen seines Stellvertreters. In Kuba
mit dem in die Hinfälligkeit entrückten Fidel und seinem Bruder Raúl
herrschen ähnlich seltsame Verhältnisse. Im Parlament präsentiert die
erweiterte Familie sich „dem Volk“ wie auf einer praktisch und symbolisch
erhöhten Bühne. Dieses funktionale Gefälle zwischen den Entscheidern und
ihren Claqeuren findet sich von Havanna über Minsk bis Riad überall, wo ein
totalitäres Regime sich noch das altmodische Deckmäntelchen eines
Parlaments leistet.
Drei Parteien gibt es in Nordkorea: Kommunisten, Sozialdemokraten und
Nationalreligiöse (also quasi die CDU) sind in einer Einheitsfront
gebündelt, eine echte Wahl hat das Volk nicht – es kann die Kandidaten nur
bestätigen oder ablehnen. Die Zustimmungsrate beträgt, wie könnte es anders
sein, regelmäßig 100 Prozent. Wie auch das Parlament nur dafür da ist, zu
100 Prozent abzusegnen und durchzuwinken, was ihm vorgelegt wird. Der
Dresscode ist dem Anlass angemessen streng, man trägt seriöses Schwarz und
applaudiert viel, eigentlich dauernd, sowohl im Stehen als auch im Sitzen.
Es ist ein prasselndes, gelegentlich rhythmisches Geräusch von aufreizender
Länge, die absolute Hingabe signalisieren soll. So soll es sein, das
Scheinparlament agiert als Kollektiv und hat mit sich selbst keine
Meinungsverschiedenheiten. Es ist ein lähmend harmonischer Ort
gegenseitiger Bestätigung.
## Der Diktator resigniert
Eine aus dem Jahr 2007 stammende Aufnahme dieses ameisenhaft in Szene
gesetzten Beglaubigungsorgans zeigt eine Masse, die sich durch ihre
Choreografie selbst beglaubigt – gegenüber einen mehr als gelangweilten Kim
Jong Il, der den stehend applaudierenden Abgeordneten mit zunehmend
unwirschen Handbewegungen bedeutet, sie mögen sich wieder setzen – bevor
er, wie resigniert, mit leerem Blick dann auch einfach weiterklatscht, was
soll’s. Spaß scheint ihm das nicht zu machen. Ob nicht überhaupt alle
Beteiligten wissen müssten, zu welchem Schauspiel sie da beitragen? Sind
das Gläubige oder Zyniker? Bei der Machtfülle der Herrschenden ist es fast
rührend zu sehen, dass sie an der Simulation demokratischer Teilhabe und
von Massenszenen festhalten, dass sie es durchaus nötig haben, hin und
wieder mit Marionetten zu spielen vor einem Publikum, das die Fäden kennt.
Wie sieht aus, worin regiert wird? Das Parlament in Pjöngjang ist ein
durchschnittlich deprimierendes Exempel für sozialistischen Klassizismus,
überzuckert mit patriotischen Sinnsprüchen, Transparenten der Partei, der
Landesflagge und dem Porträt des ubiquitären Übervaters. Eine Abnickbude,
aber ein ehrliches Gebäude. Exakt das, was man von einer militaristischen
Erbmonarchie mittelalterlicher Prägung erwarten darf, die sich als
Stalinismus ausgibt.
7 Apr 2012
## AUTOREN
ARNO FRANK
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