# taz.de -- Puzzle vor dem geistigen Auge | |
> Am Anfang wollte sie einfach nur schreiben. Ohne zu wissen, wie. Zwei | |
> Jahrzehnte und etliche Bella-Block-Romane später darf die gelernte | |
> Juristin Doris Gercke wohl als Grande Dame des deutschen Frauen-Krimis | |
> gelten. Unlängst wurde sie 70 Jahre alt | |
von BIRGIT GÄRTNER | |
Frauen kommen ja bekanntlich spät, aber gewaltig. Die Schriftstellerin | |
Doris Gercke ist das beste Beispiel dafür: Als sie ihren ersten Roman | |
schrieb, hatte sie eine Ausbildung zur Verwaltungsbeamtin absolviert, zwei | |
Kinder groß gezogen, ein Jura-Studium nachgeholt – und ihren 50. Geburtstag | |
bereits hinter sich. Zwei Jahre später wurde sie als Erfolgsautorin | |
gefeiert. Heute, fast 20 Jahre danach, ist die literarische Spätzünderin | |
nach wie vor die erfolgreichste, wenn auch schon lange nicht mehr die | |
einzige deutsche Krimiautorin. | |
Ihr Arbeitsplatz ist völlig unspektakulär: ein schöner großer alter | |
Holztisch, wie er in vielen Häusern steht, in denen Gäste gern gesehen | |
sind. Darauf stapeln sich Papiere, Zeitungen und Bücher – Recherchematerial | |
für den neuen Bella-Block-Krimi. Etwa ein halbes Jahr lang braucht Doris | |
Gercke für die Vorarbeiten für jeden neuen Roman: Sie besucht die Plätze, | |
an denen die Handlung spielen soll, prägt sich die Gegend ein, beobachtet | |
Land und Leute und stöbert in der Literatur. Dabei setzt sich vor ihrem | |
geistigen Auge der neue Roman wie ein Puzzle zusammen. Dann braucht sie | |
noch mal etwa drei Monate, um die Geschichte niederzuschreiben. „Mit dem | |
Füller“, wie sie betont. | |
Fachliches Know-How bringt die gelernte Juristin teils selbst ein, bei | |
manchen Sachfragen lässt sie sich gern beraten. „Alles muss glaubhaft | |
klingen“, erläutert die Schriftstellerin. „Deshalb ziehe ich bei | |
medizinischen Angelegenheiten eine Pathologin aus München zu Rate und bei | |
ermittlungstechnischen Problemen frage ich bei den ‚Freunden und Helfern‘ | |
nach, die sind im allgemeinen sehr hilfsbereit. Seit neuestem gibt es bei | |
der Hamburger Polizei sogar eine Drehbuchberatungsstelle.“ | |
Diese Routine hatte Doris Gercke nicht immer: „Als ich den ersten | |
Bella-Block-Roman ‚Weinschröter, du musst hängen‘ geschrieben habe, saß … | |
erst einmal ratlos vor einem leeren Blatt. Ich wollte unbedingt schreiben, | |
ich wusste nur nicht wie – und ehrlich gesagt, auch nicht was“, erzählt sie | |
lachend. „Damals hatte ich von einer Vergewaltigung gehört, eine | |
schreckliche Geschichte. Darüber wollte ich schreiben, doch ich zweifelte: | |
‚Darf ich das überhaupt?‘ fragte ich mich.“ Diese Frage beantwortete die | |
Krimi-Debütantin für sich mit ja, so war das Thema gefunden. Nun fehlte | |
noch der Schauplatz: „Ich habe einfach aus dem Fenster geguckt und | |
aufgeschrieben, was ich dort sah.“ Da sie sich zu dem Zeitpunkt in einem | |
Ferienhaus in einem niedersächsischen Dorf aufhielt, spielt die Story dort. | |
Außerdem musste die Geschichte in eine Rahmenhandlung eingebettet werden, | |
und so wurde Bella Block geboren: eine Antiheldin mit einer Vorliebe für | |
Wodka-Orangensaft, die in den TV-Verfilmungen in Hannelore Hoger ihre | |
geniale Entsprechung fand. | |
In „Weinschröter“ gerät Bella in das scheinbare Idyll einer | |
niedersächsischen Dorfgemeinschaft. Um den Schweinegestank, die derben | |
Männerwitze und die Mauer der Verschwiegenheit zu ertragen, braucht sie | |
mehr als eine Flasche Wodka. „Weinschröter“ ist für die Hamburger | |
Kommissarin eine echte Herausforderung, eine Nervenprobe, die schließlich | |
in ihr das Bedürfnis weckt, ihren Beruf an den Nagel zu hängen. Doris | |
Gercke lässt sie in ihren späteren Romanen als Privatdetektivin weiter | |
ermitteln. | |
„Weinschröter“ war ein Sensationserfolg und die norddeutsche Autorin wurde | |
als „Shooting-Star“ der deutschen Krimi-Szene gefeiert. Angespornt durch | |
die Frauenbewegung der 70er Jahre, kreierte sie ein völlig neues Genre: den | |
Frauenkrimi. „Das gab es bis dahin noch nicht“, sagt Gercke. Dass ihre | |
Literatur nicht nur ganz etwas anderes, sondern „unbedingt politisch“ sein | |
sollte, stand für sie von vornherein fest: „Bei all meinen Büchern bin ich | |
von der gesellschaftlichen Realität inspiriert worden. Schreiben ist eine | |
brauchbare Form, mit gesellschaftlichen Entwicklungen umzugehen, um für | |
mich persönlich Klarheit zu gewinnen und öffentlich Stellung zu beziehen.“ | |
20 Jahre, 13 Bella-Block-Romane und mehrere Auszeichnungen später, denkt | |
die Grande Dame des deutschen Frauen-Krimis, die kürzlich 70 wurde, | |
keineswegs ans Aufhören. Auch Bella darf noch lange nicht in den | |
wohlverdienten Ruhestand, demnächst wird die Schnüfflerin einen Ausflug | |
nach Sizilien machen. Mehr will Doris Gercke nicht verraten: „Wir werden | |
sehen“, sagt sie schulterzuckend. | |
24 Feb 2007 | |
## AUTOREN | |
BIRGIT GÄRTNER | |
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