| # taz.de -- Psychoanalytikerin Mitscherlich: „Retten Sie Ihre Seele bei mir“ | |
| > Sie hatte schon die ganze Nation auf der Couch – weil diese unfähig war, | |
| > zu trauern. Ein Gespräch mit Margerete Mitscherlich über Schuld, Merkel, | |
| > Kachelmann und den Islam. | |
| Bild: „Das kann ich nicht entschuldigen“: Margarete Mitscherlich in ihrer F… | |
| Margarete Mitscherlichs Wohnung liegt genau gegenüber der Synagoge im | |
| Frankfurter Westend. Ihr in hellen Farben gehaltenes Wohnzimmer verströmt | |
| eine Atmosphäre aufgeräumter Moderne und ist lichtdurchflutet - allerdings | |
| hat neulich ein Fotograf einen Brandfleck auf dem hellgrauen Teppich | |
| hinterlassen. "Das waren Ihre Kollegen!", sagt Mitscherlich vorwurfsvoll - | |
| und grinst. Auf dem Sofa liegt: eine niedliche kleine Freud-Puppe. | |
| sonntaz: Frau Mitscherlich, entschuldigen Sie bitte, dass wir zu spät sind. | |
| Die Bahn … | |
| Margarete Mitscherlich: Ja, das kann ich nicht entschuldigen. | |
| Gott, stimmt. Das ist ja Widerstand, wenn man zu spät zur Sitzung kommt. | |
| Das ist auch so, wenn Patienten zu spät zur Sitzung kommen. Hat Freud schon | |
| rausgekriegt. Natürlich, Sie sind verhindert durch äußere Dinge, | |
| selbstverständlich. Andere sind immer schuld, sowieso. Der Staat ist | |
| schuld. Die Bahn. Aber da gibt es dann immer ein Problem, das Sie | |
| eigentlich nicht angehen wollen. | |
| Wir fühlen uns schuldig. | |
| Sie sind ja nicht bei mir in Analyse. Und selbst im Krieg war die Bahn ja | |
| pünktlicher als heute. Insofern ist wohl tatsächlich die Bahn schuld. | |
| Ist Schuld eigentlich eine relevante Kategorie? | |
| Kann man wohl sagen, ja. Schuldgefühle allerdings sind keine relevante | |
| Kategorie. Aber Schuld? Ist es nicht eine wirkliche Schuld, Millionen von | |
| Menschen umzubringen, nur weil sie jüdisch sind? | |
| Doch. | |
| Es gibt eindeutig Schuld. Und es gibt auch boshafte Handlungen. Ich sah | |
| neulich die Verfilmung von Heinrich dem Achten. Der bekanntlich seine sechs | |
| Frauen … wie heißt noch dieser englische Reim? Geschieden, geköpft, | |
| gestorben, geschieden, geköpft. Die sechste überlebte ihn. Er muss sehr | |
| gelitten haben, wenn er jetzt schon wieder seine Frau umbringen musste. Es | |
| gibt Schuld - aber es gibt auch absolut falsche Schuldgefühle. | |
| Wie kann man das unterscheiden? | |
| Man muss die Motive seines Handelns und seines Verhaltens hinterfragen. Es | |
| gibt wirklich Motive, die von reinem Neid, Eifersucht oder was weiß ich | |
| bestimmt sind. Und wenn man nach denen gehandelt hat, dann ist man | |
| natürlich wirklich böse. Dann sollte man mit Recht Schuldgefühle haben. Und | |
| dann gibt es Schuldgefühle, weil man sich - sagen wir mal - um eine Mutter | |
| nicht genügend gekümmert hat. Aber es gab vielleicht gar nicht die | |
| Möglichkeit dazu. Oder die Mutter war eine besonders fordernde Mutter oder | |
| eine überfürsorgliche Mutter, von der man sich lösen musste. Und dann hat | |
| man Schuldgefühle, wenn man erwachsen wird, weil man sich gelöst hat. Das | |
| sind falsche Schuldgefühle. | |
| Und Angst? Angststörungen werden ja langsam zu einem Massenphänomen. | |
| Da habe ich viel drüber nachgedacht, auch geschrieben. Ich hatte als Kind | |
| eindeutig Klaustrophobie. Wenn man mich einsperrte, hab ich geschrien wie | |
| am Spieß. Und da würde ich sagen: Ich war sehr an meine Mutter gebunden. | |
| Und die allzu große Nähe zu meiner Mutter hat mich aggressiv gemacht. Aber | |
| die Nähe brauchte ich, vielleicht mehr als sie, und gleichzeitig hasste ich | |
| sie, wenn sie mich daran hinderte mich auszuleben, wo ich mich ausleben | |
| wollte. Solche Konflikte lösen Angst aus, Schuldgefühle. Gerade Platzangst | |
| hat sehr viel mit einer Ambivalenz, mit einer Mischung aus Liebe und | |
| Aggressionen zu tun. Und es gibt wirklich keinen Menschen, den man | |
| ambivalenzfrei liebt. | |
| Menschen können Widersprüche nicht gut aushalten. | |
| Vor allem, wenn es um Gefühlsbeziehungen geht. Aber Angst hat immer sehr | |
| viel mit Ambivalenz zu tun, die nicht sein darf. Wenn man zum Beispiel | |
| innerhalb einer liebenden Gemeinschaft, und die Familie soll ja eine | |
| liebende Gemeinschaft sein, doch eine gewisse Enge spürt, dann muss man | |
| endlich was erleben. Und dann macht man beispielsweise Krieg - sehr | |
| vereinfacht gesagt. Dem Feind gegenüber darf man ja endlich Aggressionen | |
| haben. Die meisten Menschen lösen Konflikte, die sie gerade in engen | |
| Beziehungen haben, dadurch, dass sie draußen einen Feind haben, den sie so | |
| richtig von Herzen hassen können und dem sie Böses wünschen können. | |
| Den Islam zum Beispiel. | |
| Ja, offenbar braucht man immer einen Feind. Nun muss ich sagen: Auch in | |
| meiner Seele rührt sich vieles, was keine Lust hat, mit dem Islam dasselbe | |
| Weltbild zu teilen. Wie die Frauen im Islam behandelt werden, das ist auch | |
| nicht genau das, was ich mir wünsche. | |
| Funktioniert die Psychoanalyse eigentlich im Islam? | |
| Ich glaube, traditioneller Islam und Psychoanalyse, das ist wie Feuer und | |
| Wasser. Soviel ich weiß - es macht vielleicht der ein oder andere eine | |
| Analyse. Aber eine Psychoanalyse, wo Sie alles in Frage stellen, Ihre | |
| Motive untersuchen - das ist ohne Aufklärung nicht möglich. | |
| Der Islam und die Psychoanalyse schließen sich also aus? | |
| Ja. Das geht nicht. Wenn man gläubig im Sinne des traditionellen Islam ist, | |
| der seine Kinder entsprechend erzieht. Und nun nicht unbedingt dazu, ihren | |
| Glauben in Frage zu stellen. Also, ich kann nicht zurückfallen vor die | |
| Aufklärung. Und vor den Wunsch nach Gleichberechtigung. Die Aufklärung | |
| führte ja auch dazu, dass man eigentlich nicht mehr in diesem kindlichen | |
| Sinne religiös sein konnte. Es sind aber ja auch nicht alle Muslime streng | |
| gläubig, es gibt ja auch moderne Leute, die weiter sind als 620 nach | |
| Christus. | |
| Sie preisen die Aufklärung - die Menschen scheinen aber lieber an etwas | |
| glauben zu wollen. | |
| Ja, das Bedürfnis nach Religion scheint etwas zu sein, was immer wieder | |
| kommt. Das soll man ihnen auch lassen. Und wenn jemand religiös ist und an | |
| das Oben und Unten glaubt, bitte! Zur Aufklärung gehört auch die Toleranz! | |
| Das andere ist ja, dass wir irgendwann sterben, ob wir wollen oder nicht. | |
| Aber wir Menschen sind die einzigen Lebewesen, die wissen, dass sie | |
| sterben. Und Religion ist ja nur Fantasie - denn mit Sicherheit weiß | |
| niemand, was nach seinem Tod geschieht. | |
| Nein … | |
| Es ist natürlich viel schöner, jung, gesund und reich zu sein als alt, | |
| krank und arm, oder? Es gibt nur eine Sicherheit, wenn du geboren wirst: | |
| dass du irgendwann mal stirbst. Das ist die einzige Sicherheit, die wir | |
| haben. In Ihrem Alter hatte ich auch noch keine Angst. Aber wenn das morgen | |
| passieren könnte, dann fangen Sie an, darüber nachzudenken. Ob Sie wollen | |
| oder nicht. Und an so einem Punkt müssen Sie leider sagen, dass Sie Ihr | |
| Leben lang für die Aufklärung gesprochen haben - und jetzt nicht einfach | |
| anfangen können, Ihre Fantasien für real zu nehmen und zu glauben, dass der | |
| liebe Gott mit Glück und besonderer Freundlichkeit an der Himmelstür auf | |
| Sie wartet. | |
| So eine Fantasie tut doch niemandem weh, oder? | |
| Wenn ich Lust dazu hätte, würde ich das tun. Aber ich hab gar keine Lust. | |
| Ich kann ja nicht gezwungen werden, Lust zu empfinden. Ich muss gestehen, | |
| solange ich lebe, habe ich so viele andere Dinge kennen gelernt, die die | |
| Fantasie anregen - Bücher zum Beispiel. | |
| "Lady Chatterleys Lover", D. H. Lawrence, das haben Sie gern gelesen. | |
| Über Lawrence habe ich meine Abiturarbeit geschrieben. Ich hab den von | |
| Anfang bis Ende gelesen. | |
| War das damals ein Befreiungsschlag, das zu lesen? | |
| Sie hatte ja diesen gelähmten Mann. Der deswegen natürlich impotent war. | |
| Und den sie aber sehr schätzte und liebte. Und dann hat sie ihren | |
| Holzfäller oder Gärtner … oder was war das? | |
| Den Wildhüter. | |
| Ja. Genau, und der hat ihre sexuellen Wünsche befriedigt, okay. Und er war | |
| ein liebender und kluger Mensch. War ja alright, wenn man so will. Sie hat | |
| ihn noch nicht mal betrogen, den Mann. Unser Englischlehrer hatte uns | |
| damals, auch noch in der Nazidiktatur, die ganzen englischen Autoren | |
| gegeben, die modernen. Lawrence, Huxley, wie sie alle heißen. Und unsere | |
| Deutschlehrerin hat uns die später dann verbotene Literatur beigebracht. | |
| Sehr gute Lehrerin. Gerade was Literatur und Philosophie betraf. | |
| Sie haben mal geschrieben, dass solche Frauen, die sich vorwagen, nicht mit | |
| der Solidarität von anderen Frauen rechnen dürfen. Warum? | |
| Es ist absurd zu glauben, dass alle Frauen miteinander solidarisch sind. | |
| Solidarität funktioniert immer nur innerhalb einer Gruppe. Eine in | |
| Anatolien aufgewachsene Frau, die als Mädchen nicht in die Schule gehen | |
| durfte, kann ja nicht plötzlich solidarisch mit Alice Schwarzer sein - oder | |
| vielleicht gerade. Sie ist ja auch eine wirkliche Self-made-Frau. | |
| Sie sind mit Alice Schwarzer befreundet. | |
| Ja, wir kennen uns schon lange. Über dreißig Jahre. | |
| Jetzt begleitet sie den Kachelmann-Prozess, für die Bild-Zeitung. | |
| Darüber möchte ich mich lieber nicht äußern. Das ist zu schwierig. | |
| Uns interessiert der Kachelmann-Prozess. Die ganze Nation diskutiert sein | |
| Sexualleben. | |
| Ja, aber so sind die Menschen doch. Dass die Sexualität immer eine Rolle | |
| spielt, bei jedem Individuum, ist doch klar. Und wir leben in einer Welt, | |
| in der tatsächlich viele Frauen vergewaltigt werden, auch in der Ehe. Also | |
| ich würde ja so einer Frau, die in der Öffentlichkeit steht - auch wenn sie | |
| vergewaltigt wurde, selbst in unserer aufgeklärten Welt -, nicht raten, das | |
| anzuzeigen. So ein Prozess ist doch entsetzlich. | |
| Würden Sie Herrn Kachelmann analysieren? | |
| Wenn er wollte, würde ich sagen, ach, lieber Herr Kachelmann, retten Sie | |
| doch Ihre Seele bei mir! Vielleicht haben wir noch eine Chance! | |
| Ist eine Analyse nicht für jemanden, der eine allzu große Lebenslüge | |
| aufgebaut hat, auch gefährlich? Aber mittlerweile ist doch bei Kachelmann | |
| schon alles zusammengebrochen. Er ist zerstört? Er sollte es sein. Aber | |
| solange er nicht in Analyse ist, wird er sich immer wieder seine Welt | |
| aufbauen. | |
| Was ist mit der dunklen Seite von, sagen wir, Angela Merkel? | |
| Oh, Angela Merkel hat nur helle Seiten. Sie ist so rational. Sie ist | |
| Naturwissenschaftlerin, sie ist Protestantin, sie ist in einem | |
| sozialistischen Staat aufgewachsen, der alle Ideale, auch irgendwie die des | |
| Christentums, vereint hat. Und die ist nun bei der CDU gelandet, | |
| ausgerechnet. Das ist ja auch nicht ganz ohne Komik. Da passt sie gar nicht | |
| hin. Sie ist sehr nüchtern, ich glaube, Fantasie ist nicht gerade ihre | |
| Stärke. Zumindest erlaubt sie sich nicht, sich ihr hinzugeben. | |
| Macht sie ihren Job gut? | |
| Sie hat die Neigung, Konflikte beiseiteschaffen zu wollen. Um zu sehen, | |
| woher genau diese Konflikte kommen, will sie sie zu schnell mit | |
| praktischer, ruhiger, vielleicht sogar temperamentloser Art bereinigen. | |
| Teflon-Merkel. Was treibt diese Frau an? | |
| Puh. Ich gebe ehrlich zu: Ich habe keinen Draht zur Macht. Weil Macht auch | |
| so viel Kraft abverlangt. Allein diese Tagesabläufe, man kann nicht mal | |
| einen Roman lesen. Aber gut: Angela Merkel ist eine kühle, rational | |
| denkende und sehr intelligente Frau. Sie bleibt immer kühl. Deshalb kann | |
| sie auch bestimmte emotionale Konflikte, die hinter den rationalen stecken, | |
| nicht genug wahrnehmen. Kohl, zum Beispiel, blieb doch nicht kühl. Er war | |
| weniger intelligent, um ehrlich zu sein. Darin haben die anderen sie | |
| unterschätzt: in ihrem kühlen, rationalen, intelligenten Umgang mit den | |
| Dingen. Und da Männer viel rivalitätssüchtiger sind, von Natur aus oder so | |
| erzogen worden sind - es sind nicht nur die Gene! -, haben die sich nicht | |
| vorstellen können, dass sie damit viel länger durchhält. Bei den meisten | |
| Männern kommt viel zu viel Affekt mit rein. Eine Eigenschaft, die bisher | |
| immer den Frauen zugeschrieben wurde - man sieht, wie falsch solche | |
| Zuschreibungen waren. | |
| Männer … Sie waren ja auch verheiratet, mit Alexander Mitscherlich. | |
| Ich war sehr lange nicht verheiratet. Ich hatte erst sieben Jahre einen | |
| Freund, dem ich auch treu war, idiotischerweise, denn er war mir nicht | |
| treu, wie ich später hörte. Er hielt sehr fest an mir, es war eine | |
| Katastrophe, als ich ihn verlassen habe. Ich hatte Schuldgefühle, da haben | |
| wir's wieder. Falsche Schuldgefühle. Und als ich meinen Mann kennen lernte, | |
| von dem ich wusste, dass er verheiratet war … da wollte ich nur eine | |
| Affäre. Und das war es dann auch erst mal: eine Affäre, die mit wirklichem | |
| Vergnügen verbunden war. Unbewusst, wenn ich mich jetzt analysiere, war ich | |
| ganz froh, dass ich ihn nicht heiraten konnte. Aber dann gibt es immer den | |
| Konflikt, wenn Kinder geboren werden. Ich habe das Kind dann zu meiner | |
| Mutter für einige Jahre gegeben, und das war dann auch sehr schmerzlich. | |
| Und schließlich habe ich ihn dann doch geheiratet. Ich hatte nie das | |
| Gefühl, dass er mir meine Freiheit nimmt. | |
| Wie kann man sich das vorstellen, diese Hochzeit? Ein Riesenfest mit | |
| tausend Gästen? | |
| Um Gottes willen, nein! Wir gingen zum Standesamt, brav, es war alles | |
| schwierig, mein Mann hat sich sehr schwer von seiner Frau getrennt. Wir | |
| sind dann mit unseren besten Freunden, die auch unsere Trauzeugen waren - | |
| der Künstler Georg Meistermann, da hängt ein Porträt von ihm -, zum | |
| Standesamt. Und dann sind wir zum Essen in ein sehr gutes Restaurant | |
| gegangen. Die Beamtin im Standesamt hat sich die Papiere angeschaut, guckte | |
| mich an und sagte: "Einmal geschieden, zweimal geschieden … und den Mann | |
| wollen Sie heiraten?" Und den Mann habe ich dann geheiratet. | |
| Und wie war das dann zu Hause? Wer hat denn zum Beispiel den Müll | |
| runtergebracht? | |
| Ich bin da sehr geschickt gewesen. Wir hatten schon vor der Hochzeit | |
| zusammengelebt, in einer kleinen Wohnung, unterm Dach, kostete 90 Mark. Ich | |
| war berufstätig, er war berufstätig. Da hab ich mir schnell eine Hilfe | |
| geholt, das Fräulein Weber. Ob sie dann den Müll runterbrachte oder mein | |
| Mann - das weiß ich gar nicht. Nachmittags, wenn wir allein waren, hat mein | |
| Mann immer geholfen, beim Abspülen zum Beispiel. Er war sehr ordentlich, | |
| und ich hatte Mühe, ordentlich zu sein. Er wollte nicht, dass das Geschirr | |
| bis zum nächsten Morgen da stand. Das wollte ich aber. | |
| Also ein gleichberechtigter Haushalt. | |
| Wir hatten den gleichen Beruf, die gleichen Interessen, die gleichen | |
| Freunde, die gleichen Feinde. Die Psychoanalyse war bei den meisten ganz | |
| neu, im Nachkriegsdeutschland. Wir fühlten uns als Avantgarde. Wir hatten | |
| viel zu kämpfen an der Universität. Das schweißt zusammen. Und dann das | |
| bisschen Haushalt … Wir hatten das Gefühl, wir machen was ganz Neues, was | |
| sehr wichtig ist für dieses Land und für uns selber. | |
| Haben Sie denn nun tatsächlich die deutsche Seele gerettet? | |
| Ich glaube schon, dass ein Zulassen von Trauer um die schuldbeladene | |
| Vergangenheit half, die Verdrängung aufzugeben. | |
| Ein Lebenswerk. Genießen alte Menschen in diesem Land Wertschätzung? | |
| Weiß der Deubel. Allgemein zu sprechen ist immer schwer. Aber viele Alte, | |
| wie ich, schreiben ja auch noch Bücher. Und dann ist in den Medien dauernd | |
| die Rede von der alternden Gesellschaft. Und jeder denkt, oh Gott, ich | |
| werde auch so alt. Da muss ich ja wenigstens mal sehen, was diese Alten so | |
| schreiben. Wie man altern kann, ohne nur im Elend zu verkommen. | |
| Es soll ja eine Verschwörung geben unter den alten Menschen: Die jungen | |
| sollen niemals erfahren, wie schlimm das Alter wirklich ist. | |
| Das wahnsinnig Schwierige ist, dass die einem immer wegsterben, die | |
| Verschwörer. Ich bin die Älteste, rundum. Mit wem sollte ich mich | |
| verschwören? Ich wüsste es im Moment nicht. | |
| Also kein Methusalem-Komplott? | |
| Wie sollte das gehen? Die Alten sind viel zu schwach. Die können nicht mehr | |
| laufen, so wie ich. Sie sitzen meistens zu Hause oder im Altersheim. Ich | |
| glaube, das kann sich nur ein jugendlicher Kopf vorstellen, dass die Alten | |
| sich verschwören. | |
| Sie sitzen ja nicht bloß zu Hause, arbeiten trotz Ihres hohen Alters noch | |
| als Analytikerin. | |
| Na, ein paar Patienten, die ich lange gehabt habe, die sehe ich ab und zu. | |
| Sind Ihnen die Menschen denn nicht langweilig geworden? | |
| Menschen, die sich selbst verstehen wollen, wirkliches Interesse haben: Das | |
| wird nicht langweilig. Es kommt auch immer was Neues. Der Mensch ist - ich | |
| glaube, da würde jeder zustimmen - ein soziales Wesen. Und nur durch das | |
| Zuzweitsein kommt auch was Neues ins Leben herein. Auch mit Patienten. | |
| 14 Dec 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| J. Petersen | |
| M. Reichert | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |