Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Prag um 1600
> ■ Bilder von Luxus und Liebe, Macht und Gemächte in einer Ausstellung in
> Villa Hügel
Arno Widmann
Fürchterlich viel Geschirr. Gold- und Silberschalen, draufgepeppt noch
prächtige Granatbänder. Drumrum jede Menge gutbetuchter Herrschaften, die
sich darüber unterhalten, was der Glimmerglanz wohl wert sein mag. Eine
Rauchquarzschale in Form einer Löwenhaut, Jade- und Muschelschalen,
Diamanten, Rubine und Perlen aus der Juwelenmonstranz des Prager
Domschatzes. Drei Räume voll mit des Handwerks goldenem Boden. Ottavio
Miseroni und Jan Vermeyen hießen die Meister, die die Pracht des Prager
Hofes sich in zierlichsten Gerätschaften entfalten ließen. Natürlich sind
das Kostbarkeiten nicht nur, was das das Material angeht, sondern vor allem
die Kunstfertigkeit der Verarbeitung macht die Stücke zu Zeugnissen eines
längst verlassenen Niveaus handwerklicher Arbeit.
Freilich fällt es mir schwer, diesen Aufwand schön zu finden. Edelstein und
Edelholz, Edelmetall noch drauf für ein Gefäß, um die Finger drin zu
waschen. Das ist mir zu viel Drumrum. Das Becken brüllt in die Welt: ich
bin aus Lapislazuli, Gold, Silber und Diamanten. Der Besitzer steht daneben
und grinst freundlich. Er muß niemandem sagen, wie reich er ist; er muß
niemandem mehr drohen mit seiner Macht: das nimmt jeder dieser Gegenstände
ihm ab. Der Behälter ist ein Behälter nur nebenbei. In erster Linie kündet
er von der gesellschaftlichen Stellung seines Besitzers. Es ist nicht das
Material, das mich stört, nicht der Preis, den ich nicht kenne: es ist die
Zurschaustellung der Kostbarkeit des Materials.
Auch die Kunstfertigkeit der Handwerker bekommt einen ganz anderen Sinn.
Sie ist so begehrt, weil sie selten, weil sie teuer ist. So bewunderswert
die Geschicklichkeit ist, aus hartem Stein eine dünne durchsichtige Schale
zu machen, so unangenehm wird die Angelegenheit, wenn das Produkt mit
nichts prunkt als mit seiner Kostbarkeit, wenn die dünne Schale von nichts
anderem zu erzählen scheint als vom Wert dessen, was an kostbarem Stein bei
der Produktion alles abgeschliffen und in den Abfall geworfen wurde. Wäre
das Produkt auf seine Gebrauchsfunktion zugeschnitten, so vergäße man bald
darüber die Gestehungskosten. Genau das soll aber verhindert werden. Darum
müssen die Krüge, Becken und Schalen möglichst unpraktisch sein. Ihr
Gebrauchswert muß versteckt, ja begraben werden unter ihrem Monstranzwert.
Wären sie praktisch, erfüllten sie ihren Zweck nicht: die Demonstration von
Herrschaft. Schon aus Geschmacksgründen sollte man Antiimperialist sein.
Haben oder Sein
Prag um 1600 - das ist natürlich nicht vor allem Rosenthal hoch drei. Ich
war nur verkehrt herum durch die Ausstellung gegangen. Vor Giovanni
Bolognas Bronzen stand eine Besuchergruppe und der Stadtplan von Prag
interessierte mich nicht, so landete ich im Hofschatz und kam erst danach
zu den Gemälden Arcimboldos, die den Ruhm des Hofes Rudolf des II.
ausmachen. Davor freilich noch Zirkel und Winkelmesser, Sextanten und ein
paar Bücher. Sie erinnern an Tycho Brahe und Johannes Kepler.
Tycho Brahe lebte zwar nur von 1599 bis zu seinem Tode 1601 in Prag, aber
Rudolf hatte den Wissenschaftler, nachdem ihm der dänische König die
Subventionen gestrichen hatte, nach Prag eingeladen. Wohl vor allem als
Hofastrologen, der Astronom interessierte ihn weniger. Aber das sind
Unterscheidungen, die damals erst anfingen, wichtig zu werden. Die wenigen
Monate, die Brahe in Prag war, arbeitete er eng mit Kepler zusammen. Eine
großartige Konstellation. Über die man in der Ausstellung freilich wenig
erfährt. Da hilft - ein wenig - der Katalog.
In ihm fand ich auch ein erheiterndes Detail. Wir erinnern uns daran, daß
Anders-Schüler als Fromms „Haben oder Sein“ erschien, auf einen frühen
Aufsatz ihres Meisters verwiesen, der schon in den 20er Jahren diesen
Konflikt unter diesem Titel thematisiert hatte. Tycho Brahe, der
jahrzehntelang vom dänischen König großzügig subventioniert worden war,
hatte - ein lange gepflegter Brauch - sich ein Lebensmotto gegeben. Es
klebt in seinem Exemplar seiner „Astronomiae instauratae mechanica“ und
lautet: „Esse potius quam haberi“. Wo mag Brahe die Maxime her haben?
Anders und Fromm haben sie möglicherweise nicht beide von Heidegger,
sondern alle miteinander aus dem Lateinunterricht.
Hat sich garnichts verändert seit 2000 Jahren? Gelten dieselben Sprüche?
Ja, aber sie verändern ihre Bedeutung. So sehr hat sich die Welt verändert.
Brahes Motto war sicher auch eine Spitze gegen die conspicuos consumption
des Rudolfinischen Hofes. Entstanden war die Formel vielleicht in Kreisen
der späten Stoa, die das kaiserliche Rom kritisierte. Fast zwei
Jahrtausende ein Spruch der Mitte. Die Moral derer, die nicht soviel
hatten, um alles verschwenden, aber doch genug, um das einfache Leben
predigen und vielleicht auch führen zu können. Klassenmoral.
Ganz anders die Situation heute. Das Haben, jahrtausendelang Modus vivendi
einiger weniger, ist heute Breitensport geworden. Das ruiniert alle und
alles. 10 000 Nerzmäntel mag das Ökosystem noch vertragen. Bei
hunderttausend kollabiert es. Wieviel Schnitzel verträgt der Mensch? So
lautete die Frage in den naiven Jahren der Freßwelle. Heute fragen wir:
wieviel Schnitzel verträgt das Ökosystem? Zu Rudolfs Zeiten gab es
Luxusverordnungen, die festlegten, wer was tragen und wieviel er essen
durfte. Ein Bürger durfte keinen Hermelin anziehen und hätte er zehnmal ihn
sich leisten können. Dabei ging es nur um die Festlegung einer
gesellschaftlichen Hierarchie und der Regeln ihrer Demonstration.
Wahrscheinlich dachte niemand an die Gefahr der Ausrottung der schlanken
Marder. Himmel und Hölle
Aber ich war nicht gekommen, um mir ein paar Buchtitel und eine
Juwelierauslage anzusehen. Was mich lockte, waren die sinnlichen Reize des
Prager Manierismus, die Gemälde vor allem von Spranger und Heintz. Davor
noch das Kabinett mit Arcimboldos „Winter“, „Wasser“ und dem wunderbaren
„Kaiser Rudolf II als Vertumnus“. Man kennt diese aus Früchten
zusammengesetzten Porträts. Jetzt, so nahe vor ihnen, verblüfft am meisten
ihr Ernst. Da ist nichts Parodistisches, kein augenzwinkerndes
Einverständnis zwischen Künstler und Betrachter, die sich zublinzeln, daß
das Stroh am Kopf des Kaisers das darin bedeuten könnte. Hirse und Trauben,
eine Melone bilden die Stirn, Apfel und Pfirsich die Wangen, Nüsse und
Kastanien den Bart. Auch die lachenden Lippen und Maulbeeraugen machen das
Bild nicht zur Karikatur.
Bei jeder Beschreibung denkt man an Bioladen, die Spottlust erwacht. Vor
den Bildern bleibt nichts davon übrig. Sie sind nur 70cm x 60cm groß, aber
sie schaffen Distanz. Wie alles, was ist, nichts als ein Teil der Person
Gottes sein soll, so bildet hier der Kaiser sich aus allen Früchten des
Jahres. Ein Gott auch er. Was sich so kalt allegorisch anhört, ist im Bild
beängstigend intensiv. Die antike Verkleidung Vertumnus, der Gott, der über
das ganze Jahr herrscht täuscht. Es geht um etwas anderes als um die
Wiedergeburt der Altphilologie. Worum freilich, weiß ich nicht und ich
fürchte, so bald wird es mir niemand erklären.
Ganz anders sind da die Bilder von Joseph Heintz dem Älteren. Sein
„Jüngstes Gericht“ (1606-1609) ist eine Parodie auf die gewaltigen Maße
Michelangelos. Die muskulösen Männerakte, die mit demonstrativem Genuß von
vorne und hinten vorgeführt werden, sind nicht höher als 50cm. Da werden
Beine auseinandergerissen, damit das Geschlecht gut zu sehen ist, ein
Verdammter fällt als ginge es nur darum, dem Betrachter seine
pastelltönigen Hinterbacken vorzuführen. Anders als Shaw, der der
Auffassung war, im Himmel warte zwar die bessere Luft auf die Erlösten, in
der Hölle auf die Verdammten dafür die bessere Gesellschaft, vermag das
nackte zart rosa Fleisch der dem Paradies zustrebenden üppig-frischen
Damenwelt bei Joseph Heintz auch den ärgsten Sünder noch mitzuziehen in die
Gefilde der ewigen Seeligkeit, die eine a tergo zu sein scheint.
Frontaler setzen sich mit den sexuellen Gegebenheiten die beiden Nymphen
auseinander. Auseinandersetzen. Nein, das tun sie natürlich nicht. Sie
wenden einander innig sich zu, fingern an einander und an den Pfeilen des
Liebesgottes. Die linke von ihnen betrachtet Amors demonstrativ geöffneten
Schenkel - von dessen selig-zartem Rosee man sich nur schwer eine
Vorstellung machen kann - , versenkt ihren unzüchtig gesenkten Blick darin
und erhebt, während der Penis des Gottes schrumpelig ruht, ihren
Zeigefinger, streckt ihn als wollte sie der Freundin und den Betrachtern
andeuten, was alles möglich ist. Daß sie ihn zu den Lippen führt, werden
nur Kunsthistoriker und Menschen unter acht Jahren als Schweigegebot
interpretieren.
Eine Sapientia lactans belehrt mich der Katalog über Sprangers Minerva.
Eine Milch spendende, nährende Weisheit also. Beim Betrachten des Bildes
fiel mir auf, was mir bei den Abbildungen bisher entgangen war. Minerva ist
sehr jung. Die starke, betonte Brust täuscht. Minerva ist eine gerade erst
erwachsene Domina, deren kräftige Oberschenkel, Hüften und Arme ihren Reiz
gerade gewinnen aus der Unentschiedenheit zwischen Muskulatur und
Babyspeck. Fast je nach Lichteinfall deuten sie einmal mehr in die eine,
einmal mehr in die andere Richtung. Daß die Frau, die die männliche
Unwissenheit besiegt, so jung ist, dafür mag es mythologische Begründungen
geben. Die Gründe dagegen sind wohl mehr in Fragen der Sexualpolitik, der
höfischen Triebökonomie der Künstler und Auftraggeber zu suchen. Das
Luxusbedürfnis, das ja immer auch eines nach Abwechslung und Verschwendung
ist, erstreckte sich nicht nur aufs Tafelgeschirr. In erster Linie ging und
geht es bei der conspicuos consumption um Macht und Sex. Desto auffälliger,
daß bei Spranger immer wieder dieselbe Frau aufzutreten scheint. Die
siegreiche Minerva hat die gleiche lange Nase, den gleichen kurzen Mund mit
der vorklappenden Unterlippe, die gleichen runden Augen und kräftigen
Wangen wie seine Ceres oder auch die Deianeira.
Natürlich wird es auch in dieser Ausstellung Fälschungen geben. Mein Tip
ist Sprangers 'Venus und Bacchus‘, angeblich von 1590. Dabei eindeutig nach
Wilhelm von Gloeden.
Prag um 1600, Villa Hügel (Essen), geöffnet täglich von 10 bis 19 Uhr,
dienstags bis 21 Uhr bis zum 30. Oktober. Eintritt: 10,-DM. Einzelführungen
bestellen bei 0201 42 25 59, Katalog 624 Seiten, 100 Farbtafeln und mehr
als 500 s/w Abbildungen, 50,-DM in der Ausstellung.
26 Aug 1988
## AUTOREN
arno widmann
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.