| # taz.de -- Politisches Testspiel Deutschland - Ungarn: Tragischer Kreislauf | |
| > Mit dem Spiel gegen Ungarn will der DFB auch ein Zeichen gegen den | |
| > Antiziganismus setzen. | |
| Bild: "Die wollten mich fertigmachen": Ex-Profi István Pisont. | |
| BUDAPEST taz | István Pisont erinnert sich kaum an seine ersten Szenen als | |
| Profifußballer. Doch eines wird er nie vergessen: Bei den gegnerischen Fans | |
| hatte er keinen Namen - sie nannten ihn nur Cigány, den Zigeuner. Immer | |
| wieder Cigány, laut und verletzend. Pisont war volljährig geworden, als er | |
| 1988 für Honved Budapest seine ersten Partien bestritt. Auswärts zitterte | |
| er am ganzen Körper, Gegenspieler lachten ihm ins Gesicht. "Die wollten | |
| mich fertigmachen", sagt er. Pisont war der letzte Profi, der sich in | |
| Ungarn zu den Roma bekannte. | |
| Doch István Pisont, 40, ist kein Exot, er gehört der größten Minderheit | |
| seines Landes an. Niemand weiß, wie viele Roma in Ungarn leben, Schätzungen | |
| reichen von 500.000 bis zu 1 Million, 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung. | |
| "Viele verbergen ihre Wurzeln, sie wollen sich nicht wie Aussätzige fühlen. | |
| Auch im Fußball." Pisont drängte die Abneigung der Anhänger mit Fleiß | |
| zurück, stieg zum Nationalspieler auf, bestritt 31 Länderspiele. Er kickte | |
| im Ausland, Ende der Neunziger auch bei Eintracht Frankfurt. | |
| Der Antiziganismus hat eine ungekannte Dimension erreicht: Elf Roma wurden | |
| seit 2008 in Ungarn ermordet. Laut einer Umfrage in allen 27 EU-Staaten aus | |
| dem Frühjahr 2008 würden sich die mit Abstand meisten Europäer mit dem | |
| Gedanken unwohl fühlen, Nachbarn von Roma zu sein. Seit Jahrhunderten | |
| kämpfen sie mit Vorurteilen, die sie als faule und kriminelle Vagabunden | |
| beschreiben. Über keine andere Volksgruppe wissen die | |
| Mehrheitsgesellschaften so wenig und glauben so viel Negatives zu kennen. | |
| Hassgesänge wie "Zick, zack, Zigeunerpack" hallen Woche für Woche auch | |
| durch deutsche Stadien. Deshalb wollen der Zentralrat Deutscher Sinti und | |
| Roma und der DFB das Spiel der Nationalmannschaft am Samstag in Ungarn zur | |
| Bewusstseinsbildung nutzen. Seit 2006 pflegen Romani Rose, Vorsitzender des | |
| Zentralrats, und DFB-Präsident Theo Zwanziger intensiven Schriftverkehr, | |
| Rose wurde Mitglied der Kulturstiftung des Verbandes. In Budapest soll eine | |
| Podiumsdiskussion stattfinden, ein Benefizspiel, ein Besuch bei Opfern | |
| eines Mordanschlags. Der DFB bemüht sich um die Aufarbeitung einer | |
| historischen Schande: Felix Linnemann, von 1925 bis 1945 DFB-Präsident, war | |
| als Regierungs- und Kriminaldirektor in Hannover für die Deportation von | |
| Sinti und Roma verantwortlich. | |
| In Ungarn spielt die politische Bedeutung des Spiels kaum eine Rolle. "Wir | |
| unterstützen alle Minderheiten", sagt Gesa Roka, der Generalsekretär des | |
| Nationalen Verbandes. "Aber wir dürfen keine Minderheit herausheben." Im | |
| Hauptquartier der ungarischen Malteser, im Nordwesten Budapests, kann Pater | |
| Imre Kozma über solche Aussagen nur lachen: "Der Verband hilft uns | |
| überhaupt nicht." Der Priester begleitet seit fünfzehn Jahren eine | |
| Roma-Auswahl als Seelsorger, hilft ihr bei der Suche nach Sponsoren. | |
| Sechzig Roma gehören zum Kader und treten zu Freundschaftsspielen an. | |
| Kozma, 69, nutzt den Fußball als psychologisches Hilfsmittel. Die meisten | |
| Spieler haben Probleme, das Team gleicht einem gesellschaftlichen | |
| Querschnitt. Rund 80 Prozent der ungarischen Roma sind arbeitslos. | |
| Jugendliche werden in Sonderschulen abgeschoben, mehr als die Hälfte bleibt | |
| ohne Abschluss. Viele, die keine Sozialhilfe oder Kindergeld beziehen, | |
| flüchten in Kriminalität. Es sind Strukturen, die an die Apartheid | |
| erinnern. "Ein tragischer Kreislauf", sagt Kozma. "Unsere Spieler wollen | |
| arbeiten, aber kaum jemand will ihnen eine Chance gewähren." | |
| Wie es weitergeht? Im April erreichte Fidesz, der rechtskonservative | |
| Ungarische Bürgerbund, bei den Parlamentswahlen eine Zweidrittelmehrheit. | |
| Drittstärkste Kraft wurde die rechtsextreme Jobbik. Deren Führer Gábor Vona | |
| kündigte einen Kreuzzug gegen Zigeuner an. Der ehemalige Nationalspieler | |
| István Pisont schüttelt den Kopf. Er ist Trainer der ungarischen Auswahl | |
| der 15- und 16-Jährigen, ihm geht es um Aufklärung. Ob er an die | |
| Gleichberechtigung der Roma glaubt? "Egal, was wir leisten und wie | |
| erfolgreich wir sind - am Ende bleiben wir immer die Zigeuner." | |
| 28 May 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Ronny Blaschke | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
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