| # taz.de -- Philosoph Ernst Bloch: Zur Gelegenheit Denken | |
| > Journalismus und Weltgeist: Heute vor dreißig Jahren starb Ernst Bloch. | |
| > Frühe Texte aus der Weimarer Republik präsentieren den Denker als | |
| > Feuilletonisten. | |
| Bild: Eine seltsam messianischen Marxismus-Mixtur mit Pfeofe: Ernst Bloch | |
| Die Trauerfeier für Ernst Bloch in Tübingen hätte Uwe Johnson am liebsten | |
| vorzeitig im Zorn verlassen. Stattdessen hörte er im August 1977 empört mit | |
| an, wie Rudi Dutschke in seiner Rede den Geist des verstorbenen Philosophen | |
| zur tagespolitischen Waffe umschmiedete. Den kurz zuvor von der RAF | |
| ermordeten Jürgen Ponto nannte Dutschke einen "hohen Bankspekulanten, eine | |
| gesellschaftliche Charaktermaske des Kapitals" und verwies auf dessen mit | |
| "ungeheuren Kosten und hochtechnologisiertem Polizeischutz versehenes | |
| ,Staatsbegräbnis'". Wenn hingegen ein "persönlich und gesellschaftlich | |
| unaustauschbarer, subversiv schreibender Philosoph" verstirbt, so Dutschke, | |
| "geht die BRD so schnell wie nur möglich darüber hinweg". Ernst Bloch, der | |
| heute vor dreißig Jahren starb, inspirierte in seiner seltsam messianischen | |
| Marxismus-Mixtur zeitlebens die unterschiedlichsten Köpfe. Johnson hatte | |
| ihn bereits als Student in Leipzig 1954/55 gehört. | |
| "Glueckwunsch Komma Chef mit herzlichen Gruessen" lautete das Telegramm, | |
| mit dem der Schriftsteller dem Philosophen 1974 zum Geburtstag gratulierte. | |
| Revolutionär Rudi, ebenfalls DDR-Flüchtling wie Johnson und Bloch, schlug | |
| stets andere Töne an ("Lieber Genosse Bloch!", "In wirklicher Verehrung, | |
| Rot Front - Rudi Dutschke"). Legendär sind die Fotos vom Besuch des | |
| 86-jährigen Philosophen im August 1971 beim attentatsgeschwächten Dutschke | |
| in dessen dänischem Refugium: Weisheit und jugendliche Tat schienen sich | |
| hier zu begegnen. "Diskussion am Meer, primär in einem politischen Sinne | |
| über die objektiven Möglichkeiten", notierte Dutschke über die | |
| Strandspaziergänge in sein Tagebuch. | |
| Der späte Bloch war längst eine Ikone geworden, über die die BRD keineswegs | |
| hinwegging. Davon zeugt auch eine jüngst erschienene Bildmonographie, in | |
| der sich zahlreiche Dokumente, Fotografien und Quellentexte zum Leben und | |
| Werk des 1885 in Ludwigshafen geborenen Bloch finden. Nach dem Mauerbau | |
| 1961 war er im Westen geblieben, nachdem er in Leipzig, wo er seit 1949 in | |
| der Nachfolge Hans-Georg Gadamers lehrte, immer wieder massive Kämpfe mit | |
| der SED-Orthodoxie auszutragen hatte. In Tübingen bekam er alsbald eine | |
| Professur, bei Suhrkamp begann eine vielbändige Gesamtausgabe zu | |
| erscheinen. Er wurde im Rundfunk, auf Kundgebungen gegen die | |
| Notstandsgesetze oder auf Anti-Vietnamkriegs-Demonstrationen zur | |
| öffentlichen Gestalt. 1967 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen | |
| Buchhandels. Drei Denker führte der Literaturwissenschaftler George Steiner | |
| 1973 bei seiner legendären Begriffsprägung "Suhrkamp-culture" als Beleg an: | |
| Walter Benjamin, Theodor W. Adorno und Ernst Bloch. | |
| Bloch war, wie Benjamin und Adorno, ein Meister der kleinen Form. Nachdem | |
| es bereits 1916 einen Vorabdruck aus seinem Buch "Geist der Utopie" gegeben | |
| hatte, erschienen zwischen 1927 und 1933 62 Bloch-Artikel durch die | |
| Vermittlung des Feuilletonmitarbeiters Siegfried Kracauers im "Urblatt der | |
| Gediegenheit" (Bloch), in der Frankfurter Zeitung. In jener "großen | |
| bürgerlichen Zeitung" mache Kracauer "dem leblosen und kontemplativen | |
| Bildungsgeschwätz der Bourgeoisie ein schlechtes Gewissen", so Bloch an den | |
| Freund. | |
| In einer hervorragenden Edition sind Blochs Feuilletons nunmehr in ihrer | |
| Urfassung zugänglich, nachdem er sein "zur Gelegenheit Denken" (Bloch) | |
| Jahrzehnte später für die Gesamtausgabe überarbeitet und geglättet hatte. | |
| Literarisch kunstvoll, gerne hohe Töne anschlagend, lässt er sich aus über | |
| das bäuerliche Leben in Ungarn, über das Abenteuer des Heranwachsens | |
| ("Geist, der sich erst bildet"), über Tanzwettbewerbe, über Alpen- und | |
| Italienerlebnisse, über Karl May ebenso wie über Jean Paul und Goethe. | |
| Bloch offenbart in seinen Essays einen ausgeprägten Sinn für theatralische | |
| Überwältigungstechniken. "Es ist nicht nötig, zu leben. Das wollen heute | |
| viele nicht, wenigstens nicht so. Es ist nötig, Schiff zu fahren." So hebt | |
| beispielsweise sein Text über das Reisen an, unter der Überschrift | |
| "Erfahrung der Grenze". Natürlich durchwirkt Politik die Texte häufig: "Die | |
| germanische Blutromantik ist beim Kleinbürger angekommen", erkennt Bloch | |
| 1930 im Aufstieg des Nationalsozialismus. | |
| Am Ende seines Lebens glich Bloch einem biblischen Methusalem. Er, der 1911 | |
| noch im Heidelberger Kreis Max Webers verkehrt hatte, war längst in das | |
| Stadium der Überzeitlichkeit getreten. Uwe Johnson hatte im August 1977 an | |
| Max Frisch über die Schwierigkeiten geschrieben, den Tod Blochs zu | |
| begreifen: "Offenbar hatte Ernst Bloch von mir den Auftrag, ewig zu leben." | |
| "Bloch. Eine Bildmonographie". Hg. vom Ernst-Bloch-Zentrum, bearbeitet von | |
| Karlheinz Weigand, 223 S., 39,90 Euro. Ernst Bloch: "Der unbemerkte | |
| Augenblick. Feuilletons für die 'Frankfurter Zeitung' 1916 - 1934". Hg. von | |
| Ralf Becker, 399 S., 28 Euro. Beide Suhrkamp, Frankfurt/Main 2007. | |
| 3 Aug 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Cammann | |
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