# taz.de -- Pferdesport: Regen überm Polo-Zelt | |
> Der möglicherweise britischste Ort Deutschlands war am Wochenende der | |
> Hamburger Polo Club, wo Kinder Wilhelm heißen und ältere Herren den | |
> Gesichtsausdruck der Upper Class zur Schau stellen. Auf dem Feld kämpften | |
> Argentinier, denn von dort kommen die besten Polospieler der Welt. | |
Bild: Einer von "zwei oder drei Profis" in Deutschland: Thomas Winter bereitet … | |
Vom Zelt tropft es. Aber nicht in den Champagner. Da haben wir die Hand | |
drauf. Die lässigen weißen Stoffsessel, auf denen der Name einer großen | |
Hamburger Maklerfirma prangt, sind nass. Die Pferde sind nass, die Hunde, | |
die Kinder, die Sandalen, die braunen Zehen mit den rot lackierten Nägeln | |
in den Sandalen. Alles nass. Schlechtes Klima. Wirtschaftlich sowieso, im | |
Land insgesamt, in der überschuldeten Hansestadt Hamburg. Und jetzt sogar | |
beim Polo. | |
Wir sind auf der Anlage des Hamburger Polo Clubs im Elbvorort | |
Klein-Flottbek, des am 3. Januar 1898 von hanseatischen, anglophilen | |
Gentlemen gegründeten, ältesten Poloclubs der Stadt, des Landes, des | |
Kontinents, bei den Deutschen High Goal Polo-Meisterschaften. Die | |
Regenschirme haben Tartanmuster, der Mann über Sechzig trägt eine dieser | |
britischen Mützen, man sieht auch den nicht erlernbaren Gesichtsausdruck | |
der britischen Upperclass, viele blaue Blazer, Kinder heißen "Wilhelm, nun | |
lass mal", oder, auf andere Weise programmatisch: "Felix". Man redet über | |
"tollen Wein". Und antwortet knapp: "Absolut." Oder: "Nicht zu toppen." | |
Die Deutschen High Goal Meisterschaften haben nichts mit hohen Toren zu | |
tun, die sind nämlich immer drei Meter hoch, Treffer gelten aber auch, wenn | |
der Ball über drei Meter hoch fliegt, er muss nur durch die zwei Stangen | |
gehen, die quasi bis ins All reichen. High Goal deutet auch auf kein | |
erweitertes Bewusstsein hin, sondern bezieht sich auf die Spielklasse. High | |
ist die höchste. Es gibt, wie bei den Steaks, auch "medium" und schließlich | |
"low", aber das will hier keiner. | |
Acht Teams sind am Start, sie heißen nach Kaffeeröstern, Privatbanken, | |
Modelabeln, Champagnermarken, Hotelketten und Biersorten. Bier passt prima | |
zum Spanferkel, das leblos überm Grillfeuer hängt. Die Sponsorennamen | |
kommen nicht von ungefähr. Polo gibt es nicht für lau, obwohl der Eintritt | |
zu den Meisterschaften frei ist. Die Teams bestehen aus vier Sportlern und | |
diversen Pferden. Meist sind das zwei mehr oder weniger junge Männer, die | |
nicht mit Polo ihren Lebensunterhalt verdienen, und zwei Profis. Die kommen | |
gerne aus Argentinien, dem Pololand, so wie Ignacio Tillous, mit Handicap | |
sieben der am höchsten notierte Spieler der Meisterschaft. Es gibt eine | |
Hand voll Spieler auf der Welt, die haben Handicap zehn. Es können auch | |
drei Argentinier deutscher Meister werden, wenn nur der Teamkapitän von | |
einem deutschen Poloclub kommt und genug Geld im Spiel ist. Spätestens auf | |
dem Platz haben dann nur noch die Argentinier das Sagen. | |
Über zwei Wochenenden gehen die Deutschen High Goal Polo-Meisterschaften. | |
1.000 Zuschauer kamen am ersten Wochenende, 1.000 an diesem Samstag, es | |
gibt auch solche, die mit dem Schirm in der Hand ganz nah am Spielfeldrand | |
sitzen und sich wirklich und wahrhaftig für Polo zu interessieren scheinen. | |
Die wissen natürlich, dass die Mannschaften nach jedem Tor die | |
Spielrichtung ändern, was bei manchem Anfänger für Irritationen sorgt. Es | |
werden vier "Chucker" zu je siebeneinhalb Minuten reiner Spielzeit | |
absolviert, nach jedem Chucker werden die Pferde gewechselt. Wie man so im | |
Leben manches wechselt. Der Kaffee besiegt den Champagner mit 10,5 zu | |
sechs. Als das Spiel zu Ende ist, gehen Kinder, Frauen, Männer und Hunde | |
aufs Feld und trampeln das schwer ramponierte Geläuf heil. Ein Labrador | |
namens Cliff kackt ins Grün. Egal, die Pferde machen das auch. Dann kommt | |
die Sonne raus. | |
Es gibt ein gemischtes Team, bei dem Steffi von Pock spielt, Handicap Null, | |
Titelverteidigerin. Eine kräftige junge Dame, die tüchtig dazwischen hauen | |
kann. Im VIP-Bereich sitzen viele mit dem Rücken zum Feld. Die versäumen | |
was, denn Polo ist nicht ohne. Wenn die argentinischen Zossen unter ihren | |
argentinischen Spielern, die wild ihre Sticks schwingen, in einem | |
Affentempo übers Feld rasen, wehende Mähne, fliegende Grasbüschel, lautes | |
Fluchen, Kampf ums "Wegerecht", kleine Rempeleien, große, dann kann man das | |
gut anschauen. | |
Diese Pferde rennen gern, auch wenn es hinter einem kleinen weißen Ding her | |
geht. Die Spieler liegen auf dem Hals der Rösser und hauen auf den Ball, | |
die Beine der Pferde, große Sorgen der Tierschützer, treffen sie, solange | |
wir da sind, nicht. Das Endstück des Schlägers, mit dem der verflucht | |
kleine Ball - zehn Zentimeter Durchmesser, 130 Gramm schwer - getroffen | |
werden muss, nennt der Polospieler "Zigarre". | |
Christopher "Niffy" Winter ist groß und schlank und hat Locken. Er ist 37 | |
Jahre alt, Projektentwickler und Polospieler. Wie viel ein Team kostet, | |
wollen wir wissen. "Kann man so nicht sagen", weicht Winter aus, der selbst | |
ein "Patron" ist und zuständig für die Zusammenstellung des | |
Kaffeeröster-Teams. Die Argentinier reisen, wenn in Südamerika keine Saison | |
ist, durch den Rest der Welt von Turnier zu Turnier: Dubai, Österreich, | |
Hamburg, USA. Ihre Pferde immer dabei. Um den Tieren lange Reisen zu | |
ersparen, die meisten fliegen nicht gern, stehen einige in Europa, ein Teil | |
in den USA, ein Teil in Argentinien. "Man kann einen argentinischen Profi | |
auch für sechs Monate buchen", sagt Winter. | |
Die Profis müssen was tun für ihr Geld. Eduardo Anca, Spielmacher des | |
Modelabel-Teams, stürzte am ersten Spiel-Wochenende mit einer 5 : 1-Führung | |
im Rücken bei einer scharfen Wendung. Das Pferd fiel auf ihn. Dem Pferd | |
gehts gut, Anca brach sich den Arm. Operation im Krankenhaus Altona. Als | |
Ersatz kam Santiago Marambio, der in Wien lebt. Hat wie Anca Handicap | |
sechs. | |
In Deutschland gibt es "zwei oder drei Profis", sagt Christopher Winter, | |
darunter sein 40 Jahre alter Bruder Thomas. Der hat ein Pologestüt und eine | |
Poloschule im Westen der Stadt und ist mit Handicap fünf Deutschlands | |
bester Polospieler. Zusammen mit dem dritten Bruder, Oliver "Nolly" Winter, | |
und Daniel Crasemann gehen sie für den Kaffeeröster an den Start. Ohne | |
Argentinier und mit dem niedrigsten Gesamthandicap aller Teams. Noch nie | |
gewann eine nur aus deutschen Spielern bestehende Mannschaft die | |
Meisterschaft im High Goal - auch diesmal nicht. Aus nach der Vorrunde. | |
Auch was ein argentinischer Spieler wie Juan Ruiz Guiñinazu, der, wie | |
Thomas Winter, schon vier Mal Deutscher Meister war, so kostet, will | |
Christopher Winter, Mitorganisator der Veranstaltung, nicht sagen. | |
Vielleicht käme es nicht gut an, angesichts des Klimas, wenn heraus käme, | |
dass da eine Privatbank für einen argentinischen Polospieler viel Geld | |
zahlt und dann wieder laut nach Staatsknete ruft. | |
Christopher Winter hatte die Idee, für die Meisterschaft keinen Eintritt zu | |
verlangen. Damit Leute wie wir merken, dass Polo klasse ist. Vielleicht | |
wären ja, wenn es nicht geregnet hätte, mehr Leute wie wir gekommen. Die | |
hätten dann gemerkt, dass, auch wenn auf alle der gleiche Regen fällt, | |
manche weniger nass werden. | |
31 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Roger Repplinger | |
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