# taz.de -- Parallelgesellschaft: Konsum aus Leidenschaft | |
> Das Villaggio in Doha ist ein riesiges Einkaufszentrum à la Venezia | |
Bild: In der bunten Shopping Mall Villagio | |
Die indische Verkäuferin reicht ihr die roten Pumps mit den hohen Absätzen | |
von Gucci in einem edlen Schuhkarton über den Kassentisch. Als die gläserne | |
Ladentür aufgeht, sieht man kurz ihre dunklen Augen und ihre seltsam weißen | |
Hände. Sie sind sehr gepflegt, die Fingernägel dunkelrot lackiert, und auf | |
dem Handrücken glitzert eine silberne Kette - alles andere überdeckt ein | |
schwarzer Tschador, das traditionelle Gewand der beduinischen Frauen mit | |
dem schmalen Sehschlitz. Schnell geht sie zum Geländer des Kanals, wo | |
Gondoliere in ihren Booten auf Kundschaft warten - dort, wo gerade ein paar | |
Pakistaner für einige Minuten Zuflucht vor dem heißen Wind aus der Wüste | |
finden. Die Luft im August ist hier so heiß, als käme sie direkt aus einem | |
Haartrockner. | |
Das Villaggio in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar am Persischen Golf, | |
ist ein riesiges Einkaufszentrum à la Venezia: Auf einer Fläche von | |
mehreren Fußballfeldern finden sich hinter barocken Fassaden Geschäfte | |
aller erdenklichen Edelmarken, bieten Restaurants kulinarische | |
Spezialitäten aus allen Ecken des Globus an: Hier kann man mongolische | |
Satehspieße essen und arabischen Maisbrei, französisches Baguette ebenso | |
wie argentinisches Rindfleisch. Im Villaggio durchziehen künstliche | |
Wasserstraßen den marmornen Boden, drehen auf einer Eisfläche | |
Schlittschuhläufer versonnen ihre Runden, lässt eine angenehme, | |
klimatisierte Kühle die 48 Grad Außentemperatur schnell vergessen. Das | |
Villaggio in Doha ist ein Symbol für die gewaltige Wirtschaftskraft des | |
Wüstenstaats am Persischen Golf: Unter dem heißen Sand von Katar lagern | |
riesige Erdgasvorkommen, die drittgrößten auf Erden nach denen Russlands | |
und des Iran. Die Weltwirtschaft dürstet nach diesem Stoff und schickt ihre | |
Leute ins Land, um Felder abzustecken und Konzessionen zu ergattern. | |
In Doha schießen Wohnsiedlungen, Luxushotels und Shopping Malls wie Pilze | |
aus dem Boden, die ganze Stadt, das ganze Land ist eine riesige Baustelle, | |
geleitet und am Leben gehalten von Polieren und Ingenieuren aus aller | |
Herren Länder. So kommen von 1 Million Einwohnern in Katar zirka 750.000 | |
aus dem Ausland. Im Villaggio flanieren Europäer in Anzügen, Amerikaner in | |
Jeans und Asiaten mit bunten Kopftüchern neben den Männern im weißen Gewand | |
der Beduinen - so ist das Villaggio auch ein Symbol für eine | |
Parallelgesellschaft im Orient. | |
Der Emir von Katar, Hamad Ibn Chalifa al-Thani, will sein zutiefst vom | |
sunnitischen Islam geprägtes Land wirtschaftlich und kulturell dem Westen | |
öffnen, aber die beduinische Tradition nicht verlieren. Konkret bedeutet | |
das: die Katarer durch westliche Fachleute an heimischen Universitäten | |
ausbilden, aber die Scharia, das islamische Gesetz, in Kraft lassen; | |
Alkohol ausschenken, aber die Lizenzen auf internationale Hotels | |
beschränken. Und es bedeutet auch verschleierte Frauen, die bei Prada und | |
Gucci die schicksten Fummel einkaufen. | |
"Sie tun es für ihre Männer zu Hause", sagt Jassir lachend. "Und sie tun es | |
mit Leidenschaft." Der libanesische Geschäftsmann Jassir sitzt im Villaggio | |
in der Boulangerie Paul und trinkt genüsslich eine Tasse Kaffee. Seit zehn | |
Jahren lebt der Lichtdesigner in Katar, nach Studium in den USA und | |
Aufenthalten in England und Australien. Mit seiner Firma hat er das | |
"Aspire-Center" in Doha illuminiert, einen futuristischen Gebäudekomplex in | |
der Nähe, der für die Asian Games 2005 errichtet wurde. Jassir ist einer | |
der 750.000 Fremden im Land, der Expatries, wie man sie nennt. Vor allem | |
sie haben seit den ersten Ölfunden 1939 den Wohlstand des Landes | |
geschaffen. | |
Aber die neue Zeit mache sich bemerkbar, meint Jassir ernst und hebt die | |
Brauen: Polygamie sei beduinischer Brauch, nur versorgen müsse man die | |
Frauen. Früher hätten hier die Männer zumeist vier Frauen gehabt, heute | |
meist nur zwei. "Heute geht es ja um Prada und Gucci", sagt er und lacht, | |
"das würde ich mir auch überlegen!" | |
Haja ist die Besitzerin des islamischen Buchstands im Villaggio. Das kleine | |
Kabuff mit heiligen Büchern steht vor der großen Filiale von Carrefour. | |
Wenn man die Werke über Lehre und Leben des Propheten näher in Augenschein | |
nehmen will, muss man den Kopf unter dem tiefen Dach neigen, es ist, als | |
würde die Religion in dieser bunten Warenwelt ihren Tribut fordern. Nicht | |
zufällig verkauft Haja ihre Bücher im Villaggio: Als Tochter eines Beduinen | |
hat sie in England studiert, aber sie kritisiert den westlichen | |
Materialismus, jetzt will sie mit dem Bücherstand ein Zeichen setzen. | |
"Einigen Katarer macht die Verwestlichung Angst", sagt sie, "aber auch sie | |
berauschen sich an teuren Autos und schicken Kleidern. Viele nehmen dafür | |
Kredite bei Banken auf. Früher hingegen hatten sie alles Geld zu Hause | |
unter der Matratze versteckt, so wie es Sitte war." Diese "vielen" sind | |
jedoch keine Beduinen, die hauptsächlich von dem leben, was ihnen die Öl- | |
und Gaskonzessionen einbringen. Von den 250.000 "Locals" im Lande gehört | |
nur ein Zehntel zur alteingesessenen Schicht, den Rest bilden die | |
Nachfahren eingewanderter Händler aus Persien und Indien. | |
Auf dem Suk, dem traditionellen Shopping Center von Doha, vermischen sich | |
die Gerüche von Tee, getrockneten Feigen und verschiedensten orientalischen | |
Gewürzen. In einem Gewirr von Gassen, Gängen und Nischen bieten Inder | |
kitschige Plastikkamele als Souvenirs an und Ägypter Safran und Kumin. Im | |
Laden eines persischen Tuchhändlers stehen Frauen in schwarzen Tschadors | |
vor einer großen Rolle, prüfend gleiten ihre Hände über die feine Seide. | |
Vor der Tür warten ihre Männer im weißen Gewand der Beduinen, in der einen | |
Hand halten sie eine Gebetskette, in der anderen ein Mobiltelefon oder auch | |
beides gleichzeitig. Wenn am Nachmittag der Muezzin der nahen Moschee über | |
einen Lautsprecher zum Gebet ruft, leeren sich die Gänge und Gassen, | |
gemächlich und ruhig, wie es Sitte ist im Orient. Es ist dann, als | |
wiederhole sich ein altes Spiel, dessen Regeln sich ändern, die aber | |
dennoch die Zeit verleugnen - so wie der Wind die Wüste verändert, aber | |
ihren Sand niemals fortträgt. | |
5 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Michael Böhm | |
## TAGS | |
Reiseland Arabische Emirate | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |