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# taz.de -- Papa in Panik
Der Vaterschaftstest – Beziehungsterror oder Sargnagel für ein
patriarchales Arrangement?
VON MARTIN REICHERT
Bist du mein Fleisch und Blut? Ein von Misstrauen gequälter Vater schleicht
des Nachts durch die eigene Wohnung; bewaffnet mit Q-Tips und Plastiktüten,
pirscht er sich in Richtung Kinderzimmer vor, um heimlich und verschlagen
wie ein gedungener Mörder Ohrenschmalzproben seines kleinen Kevin zu
entnehmen und den Schnuller mitgehen zu lassen. In einem klandestinen
Verzweiflungsakt schickt er seine Beute an ein Genlabor, um einen
Vaterschaftstest machen zu lassen. „Was bedeutet es, wenn Männer den Frauen
so massiv misstrauen?“, fragte die Bundesjustizministerin sich und ihre
weiblichen Wählerinnen bestürzt ausgerechnet in der Brigitte – als ob sie
aus allen Wolken fiele.
Den von Misstrauen geplagten Vater gibt es jedoch nicht erst seit diesem
Jahr, sondern seit Erfindung der Vaterschaft – denn die ist eine kulturelle
Erfindung, soziale Vaterschaft eine Rolle, mühevoll einstudiert und im
Laufe der Geschichte Wandlungen unterworfen, die aktuell den Typus des
„neuen Vaters“ hervorgebracht haben – eines Vaters, der sich nicht nur dem
Beruf widmet und der Familie als autoritärer Patriarch vorsteht, sondern
seine „weibliche Seite“ zulässt und sich intensiv an der Aufzucht der
Kinderschar beteiligt. Die „neuen Väter“ haben sich in den bürgerlichen
Milieus von Freiburg bis Prenzlauer Berg etabliert, ein Typus Mann, der
angeblich keine Angst hat, dass seine Gefährtin ihm ein Kuckuckskind
untergeschoben haben könnte, denn so, wie er treu ist und sich von
archaischen Fantasien des Samenstreuens verabschiedet hat, ist sie
natürlich weit davon entfernt, ihn auf der Suche nach womöglich
geeigneterem genetischem Material zu betrügen. Und überhaupt: Auch
Kuckuckskinder, ein solches soll angeblich jedes zehnte Kind sein, haben
einen Anspruch auf Liebe – was bedeutet da schon der Prestigeverlust, den
ein „gehörnter“ Mann traditionell zu verbuchen hat, was der Abschied von
der Hoffnung auf die eigene Unsterblichkeit? Und was bedeutet schon solch
kleingeistig-egoistisches Denken in Anbetracht eines solch bezaubernden
kleinen Lebewesens? Die soziale Vaterschaft – ein Segen und zugleich die
Überwindung des tierischen Infantizids: Papa Löwe beißt Klein Löwe den Kopf
ab, weil es sich bei ihm nicht um einen leiblichen Nachkommen seiner selbst
handelt. Die schöne neue Ehewelt ist dagegen eine moderne
Gartenlaubenidylle, in der ein heimlicher Vaterschaftstest völlig
überflüssig ist – und falls doch einmal Zweifel auftauchen sollten, kann
der Mann ja, so Zypries, „mit der Frau reden“. Bei so viel Großzügigkeit
und Vertrauen müsste es auch einer Frau egal sein, ob ihr Baby im
Krankenhaus vertauscht wurde – es hat doch so schöne Augen.
Nachmittagstalkshows vermitteln eine völlig andere soziale Wirklichkeit.
Öffentliche Vaterschaftstests, bezahlt aus der Produktionskasse und
garantiert Quote bringend, gehören dort längst zum Standardrepertoire. Sie
sind eingebettet in die üblichen Szenarien von Niedertracht, Betrug,
Misstrauen und Seitensprüngen. Seitensprünge von Frauen – denn um die geht
es letztendlich in der Debatte um die heimlichen Vaterschaftstests. Und
darum, dass Papa nicht zahlen will für einen Nachwuchs, der nicht seinem
Leib entsprang. In der mittlerweile postfeministisch institutionalisierten
Rollenverteilung „Frau gleich Opfer – Mann gleich Täter“ ist der
Seitensprung einer Frau eigentlich nicht vorgesehen, Fremdgehen wurde
bislang eher den Männern zugeordnet – und Luder, die einem Millionär das
Kind seines eigenen Gärtners unterjubeln, wurden in das Reich misogyner
Männerfantasien verbannt. Erschreckende Enthüllungen aus dem Reich der
Tiere bringen jedoch die sozialwissenschaftlichen Theoriegebäude der
Geschlechterforschung ins Wanken: So ist das Zaunkönigweibchen eigentlich
eine Schlampe. Statt, wie von Vogelkundlern traditionell angenommen, ihrem
nestbauenden Männchen treu zu sein – possierliches Sinnbild unserer
Vorstellung von der Ehe –, sucht es sich zwischenzeitlich ein stärkeres
oder einfach ein fremdes Männchen zur Begattung aus, um die genetischen
Voraussetzungen seiner Nachkommen zu optimieren. Amerikanische
Wissenschaftler sind der Gen-Shopping-Tour der Zaunkönigin auf die Schliche
gekommen. Mithilfe von DNA-Analysen der Federn. Heimlich.
Alles genetisch? Folgt man den seit den Neunzigerjahren immer populärer
werdenden biologistischen Deutungen in der Geschlechterfrage, ist es nun
wirklich vorbei mit der Romantik. Humangenetiker und Biologen haben einen
sehr kühlen Blick auf das menschliche Treiben. Selbstverwirklichung? Von
wegen! Der Mensch hat seinen biologischen Auftrag zu erfüllen, er muss sich
fortpflanzen. Liebe? Allenfalls ergänzt sich das genetische Material des
Gegenübers mit dem eigenen. Die menschliche Kulturgeschichte mit all ihren
Dramen, Opern, Gedichten und Kriegen wird auf einmal überschaubar wie ein
Schweinestall.
Die Entzauberung der Welt und speziell die des Vaters setzte um 1900 ein.
Damals hatte der mährische Mönch Gregor Mendel, offiziell ohne eigene
Nachkommen, die Gesetze der Vererbung entdeckt. 1953 schließlich
erforschten die britischen Forscher Crick und Watson die
Doppelhelixstruktur des DNS-Moleküls – der Grundstein für die seit Mitte
der Neunzigerjahre möglichen unkomplizierten Gentests war gelegt. Überhaupt
wurde der biologische Vater erst vor rund 200 Jahren entdeckt, indem man
herausfand, dass das Kind aus einem weiblichen Ei entsteht, das von einer
männlichen Samenzelle befruchtet wurde. Vorher hatte man angenommen, beim
Geschlechtsverkehr wandere ein „Homunkulus“ – ein mikroskopisch kleiner
Mensch – vom Vater zur Mutter, die nur das Gefäß für die ureigenste
Schöpfung des Mannes bildete – eine für Männer beruhigende Vorstellung.
Schon die Römer jedoch wussten: „Pater semper incertus“ (der Vater ist
stets ungewiss) und bei afrikanischen Völkern kursiert die Weisheit „Mama’s
baby, papa’s maybe“ (Mutters Baby, Vaters vielleicht). Mit dieser
Ungewissheit ist spätestens seit Mitte der Neunzigerjahre – schon etwas
länger gibt es den weniger sicheren und vor allem teureren Blutgruppentest
– Schluss.
Bislang mussten Väter über die Ungewissheit ihrer Vaterschaft
hinweggetröstet werden. Josef – Urbild aller gehörnten Ehemänner – konnte
noch beruhigt werden, weil es sich bei dem Rivalen um den lieben Gott
persönlich handelte. Für die restlichen Männer musste man sich etwas
anderes einfallen lassen, um sie bei der Stange zu halten. Der Mann wurde
zum Oberhaupt der Familie, er durfte die Sexualität der Frau und damit sie
selbst kontrollieren. Zudem verlieh man ihm das Privileg, Stammvater vieler
Söhne zu sein, die seinen Namen und ihn selbst bis in alle Ewigkeit
forttragen würden – die Institution Vaterschaft war in die Welt gekommen.
Der Rest war dennoch Zweifel.
Shakespeares Dramen – Othello! – sind durchzogen vom Motiv des „being
cuckooed“ und in James Joyce’ „Ulysses“ ist das ganze Kapitel neun dem
Thema Vaterschaft gewidmet: Im Ergebnis trägt es die Botschaft, dass es
sich bei der Vaterschaft lediglich um eine gesetzliche Fiktion handelt, es
von Natur aus kein enges Verhältnis zwischen einem Mann und seinen Kindern
gibt. Im dem 1911 uraufgeführten Stück „Die Ratten“ von Gerhart Hauptmann
nimmt Frau John heimlich ein uneheliches Kind an, das ihr Dienstmädchen
Pauline ebenso heimlich geboren hat. Herr John ist sehr stolz auf seinen
Sohn – die Geschichte endet mit Mord und Selbstmord, ebenso wie das knapp
20 Jahre zuvor von Henrik Ibsen auf die Bühne gebrachte Stück „Die
Wildente“.
Der Zweifel an der Vaterschaft treibt die männliche Hälfte der Menschheit
offensichtlich immer noch um – erst recht, seit die vormals gewährten
Privilegien einem unaufhörlichen Erosionsprozess zum Opfer gefallen sind.
Nun aber, da es endlich möglich ist, der „männlichen Urangst“ Herr zu
werden, unkompliziert, mithilfe eines Schnullers oder von ein wenig
Ohrenschmalz, wollen sozialdemokratische Politikerinnen den Weg zur
Aufklärung verstopfen, ihr möglichst große Hindernisse in den Weg legen.
Neue Frauen braucht das Land? Die „Maskulisten“ sammeln bereits ihre
Truppen. Es formiert sich, zögernd, Widerstand im Land. Männerrechtler,
meist in Form von Vaterschaftsorganisationen, formieren sich, so zum
Beispiel die „Roten Väter“ innerhalb der SPD, bislang noch ein kleiner
Stammtisch. Der rote Vater Joachim Beil (46), Diplompolitologe aus Berlin,
empfindet den Vorstoß seiner Parteigenossin Brigitte Zypries als „
überraschend ideologischen, radikalfeministischen Schwachsinn“.
Ob das Zusammenleben von Mann und Frau den Gesetzmäßigkeiten konstruierter
Geschlechterrollen (Judith Butler) folgt oder einem geheimnisvollen,
eingeschriebenen Genprogramm aus der Urzeit (Schimpansen) sei dahingestellt
– wahrscheinlich ist, dass die menschliche Persönlichkeit sowohl ein
Produkt der Gene als auch der Sozialisation ist. Fest steht jedoch: In
einer Demokratie der Geschlechter gibt es männliche und weibliche
Interessen. Brigitte Zypries’ angekündigter Vorstoß in der Frage des
Gendiagnostikgesetzes erfüllt den Tatbestand einer knallharten weiblichen
Interessenpolitik: Das „informationelle Selbstbestimmungsrecht“ steht ihrer
Meinung nach nur Frau und Kind zu, der Mann bleibt außen vor. Die männliche
Urangst soll erhalten bleiben zugunsten des urweiblichen Wissens, wer der
wirkliche Vater ist oder auch noch sein könnte – notfalls per Androhung
einer Haftstrafe.
Ein Gesetzentwurf, der eindeutig Frauen bevorzugt und mit dem beide
Geschlechter gleichwertig berücksichtigenden Grundsatz des
Gender-Mainstreaming, 1998 zum Leitprinzip der Bundesregierung erkoren,
wenig zu tun hat. Ein Ansatz, der die soziale Errungenschaft des „neuen
Vaters“ mit seiner engen emotionalen Bindung an das Kind konterkariert,
indem er eine vermeintlich naturgewachsene engere Bindung zwischen Mutter
und Kind festzuschreiben sucht. Ein Ansatz, der Distanz schafft – zwischen
Vätern und ihren Kindern. Beziehungsweise aufrechterhält, denn glaubt man
den Autoren des Buchs „Der Kuckucksfaktor“, Hildegard Haas und Claus
Waldenmeier, galt schon immer: Je geringer die Gewissheit, dass das Kind
mit dem Fürsorger wirklich verwandt ist, desto zurückhaltender wird der
Fürsorger in der Regel mit seinen emotionalen und finanziellen
Investitionen sein. Ein Grundsatz, der auch für die familiären Verhältnisse
gilt. Beispielsweise kümmert sich die Großmutter mütterlicherseits (Omi,
Oma) am meisten um das Enkelkind, gefolgt vom Großvater mütterlicherseits.
Die Großmutter väterlicherseits ist weniger engagiert, sie ist im
Familienjargon „die andere Oma“ oder „die Oma aus Hannover“.
Dabei ist der neue Vater geformt aus den Trümmern eines in sich
zusammensackenden traditionellen Patriarchats. Gemacht ist er für ein
partnerschaftliches Miteinander mit Frauen. Wenn der Krieg der Geschlechter
beendet werden soll, ist Waffengleichheit gefragt. Und da die traditionelle
Vorstellung, dass Väter sich ihren Kindern emotional weniger verbunden
fühlen, in enger Beziehung zu jener Institution Vaterschaft steht, die auf
der prinzipiellen Ungewissheit der biologischen Vaterschaft fußt, könnte
die Gewissheit einen institutionellen Fortschritt bedeuten. Dementsprechend
kann es gar nicht im Interesse der Frau sein, auf Exklusivität und
Geheimniskrämerei zu pochen – zumindest nicht, wenn sie auf tatsächliche
Gleichstellung hofft, ein Miteinander auf Augenhöhe.
MARTIN REICHERT, 31, ist Autor für taz.mag und taz zwei
15 Jan 2005
## AUTOREN
MARTIN REICHERT
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