# taz.de -- Panter Preis Nominierte: Handeln statt reagieren | |
> Felix Weisbrich hat in Berlin die Pop-Up-Radwege erfunden. Ihm geht es | |
> dabei nicht zuletzt um eine klimagerechte Neuverteilung des Stadtraums. | |
Bild: Für ihn ist der öffentliche Raum ein "Ort der Sehnsucht": Behördenleit… | |
04.09.21 | Von ANSGAR WARNER | |
„Straßen- und Grünflächenamt des Bezirkes Friedrichshain-Kreuzberg“, das | |
klingt irgendwie wenig revolutionär. Und doch ist diese Behörde mit ihrem | |
Chef Felix Weisbrich seit dem Corona-Jahr 2020 nicht nur berlin-, sondern | |
deutschlandweit ins Rampenlicht gerückt. | |
Denn während sich anderswo zur Rush-Hour auf den Hauptstraßen zwischen | |
wenigen Autos immer mehr Radfahrer:innen schlängelten, poppten im | |
Szenebezirk der Hauptstadt quasi über Nacht neue Radwege auf, abgesperrt | |
mit Baustellen-Schildern, angezeichnet mit gelben Klebestreifen. | |
Der Pop-Up-Radweg war geboren, und machte landesweit Furore. Zugleich wurde | |
Felix Weisbrich zum gefragten Experten in Sachen Verkehrswende, fast eine | |
Art Dr. Drosten des pandemischen Radelns. Das Greenpeace-Magazin taufte ihn | |
gar den „Radwegekönig“. Dabei ist der studierte Forstwissenschaftler und | |
Verkehrsplaner eigentlich deutlich vielseitiger aufgestellt: „Ich bin auch | |
verantwortlich für 420.000 Stadtbäume, man könnte sagen: meine Behörde ist | |
eine Art Innenstadt-Forstamt plus Straßenraum.“ | |
## Aus dem Wald in die Stadt | |
Tatsächlich war der 47-jährige auch schon mehr als zehn Jahre lang als | |
Förster in mecklenburgischen Wäldern unterwegs, und brachte dadurch 2019 | |
bei seinem Wechsel nach Berlin eine zentrale Erfahrung mit: „Angesichts | |
häufiger Sturmschäden habe ich erlebt, was es heißt, den Klimawandel | |
erdulden zu müssen.“ Der Wechsel in die Stadt habe eine einmalige Chance | |
geboten – den Schritt vom Reagieren zum Handeln. | |
Ob Stadt, ob Land, letztlich stoße man immer auf dasselbe Problem: „Ob es | |
nun um Monokulturen auf dem Acker geht oder um den Vorrang für Autos auf | |
den Straßen – in beiden Fällen handelt es sich um klimaschädliche | |
Flächennutzung, die viel zu wenig hinterfragt wird“, so Weisbrich. | |
Ohne Corona wäre das wohl immer noch so. Berlin als Kommune besaß zwar | |
schon ein vorbildliches „Mobilitätsgesetz“, als Weisbrich von einer | |
Zwischenstation als Forstreferent im Landwirtschaftsministerium in die | |
Hauptstadt wechselte. „Doch die einzelnen Räder der Verwaltung greifen oft | |
leider nicht richtig ineinander, andere Metropolen wie Paris, Barcelona | |
oder London haben klarere Entscheidungsstrukturen“, bemängelt Weisbrich. | |
Die Krise wurde zur Chance – nicht nur Pop-Up-Radwege entstanden im | |
rasanten Tempo. Diagonalsperren zügeln zunehmend den Durchgangsverkehr in | |
Kiezen, für Autos zeitweise gesperrte Spielstraßen beleben diese, während | |
„Schankvorgärten“ Platz für Außengastronomie schaffen, wo vorher nur PKWs | |
parkten. Im zweiten Schritt folgte dann die Verstetigung vieler Maßnahmen, | |
aus temporär wurde dauerhaft. Das schrittweise Vorgehen machten sich andere | |
Städte zum Vorbild, etwa Paris. Die Regeln zum Einrichten von | |
Pop-Up-Radwegen wurden gleich 2020 ins Französische übersetzt. | |
## Globaler Wissensaustausch | |
Corona, das sei aus Sicht der Verkehrsplanung die „Stunde der Kommunen“ | |
gewesen, man habe sich international per Videokonferenzen ausgetauscht, und | |
voneinander gelernt. Die Idee der Pop-Up-Radwege stamme ursprünglich aus | |
Kolumbien: „In Bogota gibt es schon lange die ‚Ciclovias‘, temporär an | |
Wochenenden und Feiertagen eingerichtete Radwege.“ | |
So hat auch Berlin vom globalen Wissensaustausch profitiert, und die Idee | |
zugleich weiterentwickelt. Für Weisbrich geht es bei der Neuverteilung des | |
Stadtraums nicht nur um praktizierten Klimaschutz, sondern auch um | |
Flächengerechtigkeit: „43 Prozent der Berliner:innen haben ja überhaupt | |
kein Auto.“ Fast schwärmerisch spricht er vom „öffentlichen Raum als Ort | |
der Sehnsucht“. | |
Allzu oft ist das natürlich noch eine unerfüllte Sehnsucht. Felix Weisbrich | |
plädiert deswegen für ein generelles Umdenken: „In der Verkehrsplanung wird | |
oft sehr technisch gedacht, so als würde Wasser durch eine Leitung fließen. | |
Es sind aber Menschen, die jeden Tag aufs Neue eine Entscheidung treffen, | |
ob sie mit dem Auto fahren oder mit dem Rad oder zu Fuß gehen.“ Und da | |
greife eben die Verkehrslenkung ein: „Wir handeln kurzfristig, aber | |
bewirken damit eine nachhaltige, langfristige Verhaltensänderung.“ | |
Die „pandemieresiliente Infrastruktur“ des Verkehrsplaners hat also | |
durchaus einiges gemein mit der nachhaltigen Forstwirtschaft – es geht | |
darum, Lebensräume für die Zukunft zu gestalten. Dabei setzt Weisbrich auf | |
das aktive Mitwirken der Menschen in den Kiezen. Das zeigt sich dann etwa | |
bei zahlreichen Initiativen, die sich für die dauerhafte Befreiung vom | |
Durchgangsverkehr einsetzen. Sogar die Zahnräder der Berliner Verwaltung | |
scheinen inzwischen besser ineinanderzugreifen: „Das Amt ist aufgewacht, es | |
gibt viele Leute, die etwas verändern wollen“, freut sich Weisbrich. | |
3 Sep 2021 | |
## AUTOREN | |
Ansgar Warner | |
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