# taz.de -- Panter Preis Nominierte: Gemeinsam mobil | |
> In Bollewick betreiben Ehrenamtliche einen Nachbarschaftsfahrdienst. Der | |
> bietet vor allem älteren Mitbürger*innen mehr Beweglichkeit. | |
Bild: Solidarische Hilfe im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte: Das ELLI-Team | |
04.09.21 | Von MARTIN KALUZA | |
Auf dem Land braucht man einfach oft ein Auto. Aber es braucht nicht jeder | |
eins. In Bollewick im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte fährt seit 2015 | |
ein siebensitziges Elektromobil, das sich jede:r in der Gemeinde zwei Tage | |
vor der Fahrt bestellen kann. Von Montag bis Freitag zwischen 9 und 18 Uhr | |
bringt das ELLI genannte Gefährt die Passagiere von Tür zu Tür – von zu | |
Hause zur Arztpraxis, zum Einkaufen oder auch zum 80. Geburtstag einer | |
alten Freundin ins Nachbardorf. Das Gebiet reicht von Bollewick über die | |
Kleinstadt Röbel bis ins 25 Kilometer entfernte Wittstock/Dosse. | |
„Das Ziel war, vor allem den älteren Menschen ein Stück eigenständige | |
Mobilität zurück zugeben“, sagt Antje Styskal, Bürgermeisterin der Gemeinde | |
Bollewick und Vorstandsmitglied im Betreiberverein. „Auf diese Weise können | |
sie länger eigenständig hier im Dorf wohnen bleiben.“ Denn Mobilität, das | |
ist ein schwieriges Thema auf dem Land. Die Gegend ist dünn besiedelt. | |
Obwohl sie bei Urlaubern beliebt ist, fährt der öffentliche Nahverkehr nur | |
einen Bruchteil der Ortschaften an, und das auch nur zwei, drei Mal am Tag. | |
Die Gemeinde Bollewick, erklärt die Bürgermeisterin, setzt sich aus einer | |
handvoll weit auseinander gezogenen Ortsteilen zusammen, mit viel Platz | |
dazwischen. Die Haltestellen der regulären Buslinien liegen für die meisten | |
Bewohner*innen mindestens zwei Kilometer entfernt. „Kinder kann man da | |
mit dem Fahrrad hinschicken“, sagt Styskal. „Aber alten Menschen ist das | |
nicht zuzumuten.“ | |
## Spende fürs Fahren | |
Betrieben wird der Rufbus von Ehrenamtlichen. Vier Fahrer*innen wechseln | |
sich die Woche über ab. Die Fahrt ist für die Passagiere nicht umsonst, | |
gezahlt wird aber nur eine Spende. Der Verein empfiehlt, etwa so viel in | |
die Kasse zu werfen wie auch der ÖPNV kosten würde. | |
Bollewick ist in der Region schon länger als nachhaltiges Dorf bekannt. | |
Berthold Meyer, Styskals Amtsvorgänger, brachte ein ambitioniertes | |
Energieprojekt auf den Weg: Die Gemeinde wurde zum Bio-Energiedorf und | |
deckt nun einen großen Teil ihres Strom- und Wärmebedarfs, indem es | |
überwiegend regional bereitgestellte Biomasse nutzt. Hier wurde auch die | |
Idee der nachhaltigen Mobilität geboren. Im Moment wird ELLI noch mit | |
Ökostrom aus der Steckdose geladen. Doch mittelfristig will die | |
Bürgermeisterin den Bus mit Solarstrom betanken, der direkt in der Gemeinde | |
erzeugt wird. | |
ELLI entstand aus einem Projekt, in dem die Gemeinden mit dem | |
Kompetenzzentrum Ländliche Mobilität KOMOB zusammenarbeiteten. Udo | |
Onnen-Weber, Professor an der Hochschule Wismar, baute das Projekt mit auf | |
und half, für die Startphase Fördergelder zu bekommen. „Inzwischen“, sagt | |
Styskal nicht ohne Stolz, „ist ELLI in die Hände der Gemeinden übergeben | |
worden. | |
Der Verein betreibt den Bus derzeit ohne Zuschüsse.“ Der Betreiberverein | |
hat viele Klinken geputzt und acht Nachbargemeinden überzeugt, ELLI mit | |
Beträgen zwischen 300 und 900 Euro im Jahr zu unterstützen. Einige | |
Sponsoren sind schon gefunden, die Sparkasse hat die Ladesäule finanziert. | |
Knapp gerechnet ist der Rufbus trotzdem. | |
## Von Tür zu Tür | |
Die Idee des Nachbarschaftsbusses hat sich im Lauf des Projekts gewandelt. | |
In der ersten Phase war ELLI noch in den ÖPNV der Region eingebunden und | |
diente als Zubringer. Das kam noch nicht so richtig gut an. Die Fahrten im | |
Elektromobil waren an die Taktzeiten der Linienbusse gekoppelt. Wenn ELLI | |
zu spät dran war, mussten die Fahrer ihnen manchmal hinterher fahren. | |
„Außerdem war es den Fahrgästen zu kompliziert, dass sie umsteigen | |
mussten.“ Also wurde das Angebot angepasst, heute fährt ELLI von Tür zu | |
Tür. | |
Der Rufbus schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe. Das Ziel, älteren | |
Menschen Mobilität zu sichern, ist das eine. „Außerdem kam es uns auf die | |
Nachhaltigkeit an. Die Leute sitzen mit bis zu sechs anderen in einem Auto | |
statt dass jeder mit seinem eigenen fährt“, erklärt Styskal. „Eine ältere | |
Dame aus dem Nachbardorf erzählte mir, dass sie ihr Auto gerade abgeschafft | |
hat.“ | |
Rund 150 Fahrten unternimmt ELLI im Monat, in Coronazeiten ist der Rufbus | |
mit Hygienekonzept unterwegs. Styskal und der Verein haben schon die | |
nächsten Pläne: Ein zweiter Bus soll die Eltern entlasten. „Wir wollen, | |
dass auch mehr und mehr Kinder und Jugendliche mit ELLI zu ihren | |
Nachmittagsaktivitäten fahren können“, so Styskal. | |
Und wenn man schon einmal dabei ist, die Mobilität auf dem Land neu zu | |
denken: In der Gemeinde wird auch schon überlegt ob es nicht möglich wäre, | |
ein Carsharing einzurichten, für diejenigen, die noch selbst Auto fahren. | |
„Hier auf dem Land haben viele Familien zwei Autos“, sagt Styskal. „Wenn | |
beide Partner arbeiten, ist das oft nicht anders zu organisieren.“ | |
Vielleicht wird eins davon nicht mehr benötigt, wenn um die Ecke ein | |
Sharing-Auto bereit steht. | |
Das ELLI-Projekt im Netz: [1][elli-bus.de] | |
1 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://elli-bus.de/ | |
## AUTOREN | |
Martin Kaluza | |
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