# taz.de -- Osterreiten in der Lausitz | |
> ■ Seit 450 Jahren wird an der Grenze von Brandenburg und Sachsen der | |
> katholische Brauch des Osterreitens gepflegt/ Die Lausitzer sind nunmehr | |
> unter sich/ Alter Brauch mit neuen Zylindern | |
Wittichenau. Pferdeäpfel liegen auf dem „Torhosco“, dem Markt. Choräle | |
erklingen in den Straßen des Städtchens Wittichenau. Reiter mit Frack und | |
Zylinder singen die traditionellen Weisen in sorbisch und deutsch, | |
„Halleluja“ schallt es durch die Gassen: Ostersonntag in der Lausitz. Seit | |
über 450 Jahren wird an der Grenze zwischen Brandenburg und Sachsen der | |
katholische Brauch des Osterreitens gepflegt. | |
Über 400 Reiter — so viele wie in keinem Jahr zuvor — drehen nach der | |
Andacht erst einige Runden durch das Städtchen. | |
Dann weist der alte Meilenstein auf dem Marktplatz den Weg nach Ralbitz, | |
einem rund 15 Kilometer entfernten Dörfchen. Die Pferde sind festlich | |
geschmückt, der silberne Halbmond an vielen Geschirren soll an den Sieg | |
über die Türken vor gut 300 Jahren erinnern. Mit Stroh und Lockenwicklern | |
sind die Mähnen der Rösser in Form gebracht worden. Die Schweife sind mit | |
festlichen Tüchern gebunden. | |
„Den ganzen Karsamstag wurde das Pferd gestriegelt“, verrät eine Passantin, | |
die am Prozessionsweg steht. Ihr Mann ist dabei. Obwohl er mittlerweile als | |
Pendler in Bayern arbeitet, kehrt er zum Osterreiten in die Lausitz zurück. | |
Ein Pferd hat er sich eigens in der Nähe von Chemnitz ausgeliehen — für 250 | |
Mark. Über die Ritte wird Buch geführt: Mit 57 Prozessionen führt Georg | |
Nartschick die Liste der treuesten „Kreuzreiter“ an, vermeldet das | |
'Wittichenauer Wochenblatt für Stadt und Land‘. | |
Die Tradition der Sorben mischt sich mit katholischem Brauchtum. Hochwürden | |
ist hoch zu Roß mit von der Partie. Vier Rosenkränze werden unterwegs | |
gebetet, 30 Choräle gesungen. Liedbücher haben die Reiter in der Hand. Hebt | |
der Vordermann das Blatt, wird die nächste Strophe angestimmt. Auf die | |
heiseren und ermatteten Reiter wartet im Zielort dampfendes Mittagessen. In | |
manchem Ralbitzer Gehöft werden über 30 Osterreiter beköstigt, während die | |
Männer des Dorfes den umgekehrten Weg eingeschlagen haben. Sie werden | |
mittags in Wittichenau erwartet. Die starke Glaubenstreue der deutschen und | |
sorbischen Bewohner hat den Brauch erhalten. Seine Wurzeln reichen jedoch | |
in vorchristliche Zeit zurück. Flurumgänge und Umritte sollten die jungen | |
Saaten vor der Mißgunst des Bösen schützen. Erst im Mittelalter wurden aus | |
den Reiter-Riten christliche Prozessionen. Heute wird die Tradition außer | |
in Wittichenau noch in mehreren kleineren Kirchdörfern der Kreise Kamenz | |
und Bautzen gepflegt. „Die Reiter aus den Dörfern sind die, die noch in | |
sorbisch singen“, erzählt ein Wittichenauer. „Wer bei uns in der Stadt | |
wohnt, der singt deutsch.“ Die sprachlichen Gruppen reiten getrennt. | |
Zwischen ihnen wird das Kreuz mitgetragen. Das erste Jahr des vereinigten | |
Deutschland hat nicht viel verändert: Nur wenige Touristen säumen den | |
Prozessionsweg. Die Lausitzer sind unter sich. Von der Wende profitieren | |
aber die Reiter mit dem grünen Abzeichen, die zum ersten Mal mitreiten: | |
Waren schwarze Zylinder in passender Größe früher Mangelware, sind die | |
Festtagshüte heute einfacher zu bekommen. Matthias Meisner und Thomas | |
Schiller/dpa | |
3 Apr 1991 | |
## AUTOREN | |
matthias meisner / thomas schiller | |
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