# taz.de -- Ortstermin: Keiner für Viele | |
> Seit ein paar Wochen dreht der Low-Budget-Filmemacher Klaus Lemke in | |
> Hamburg. Jetzt bat er für einen Abend in ein Altonaer Hinterhof-Kino. Der | |
> Schampus kam im Plastikbecher, und alle Anwesenden wurden, ganz | |
> kurz.wenigstens, für die Leinwand entdeckt. | |
Bild: Kein Freund der Filmförderung: Klaus Lemke 2009 in Lübeck. | |
Klaus Lemke hat eine Schlägermütze auf, ein grünes Halstuch um und einen | |
dreiviertel langen Mantel an. Drunter ein schwarzes Kapuzenshirt. Moët & | |
Chandon Brut Imperial gibts im Plastikbecher, die Temperatur stimmt. Lemke | |
beißt auf einem Kaugummi herum und raucht gleichzeitig. | |
"Pass mal auf meine Sachen auf", bittet er. Die stehen neben dem Behälter, | |
in dem der Schampus gekühlt wird. Nicht, dass da was weg kommt. "Easy", | |
verspricht er auf die Frage, wie der Abend wohl so wird, und schlägt, | |
vielleicht zur Sicherheit vor: "Trink Champagner." | |
Lemke ist Filmer, er dreht seit 1965 mit Laien. Die Arbeit mit Laien bringt | |
das Problem mit sich, dass nach drei Filmen jeder Laie wie ein Schauspieler | |
agiert. Deshalb wechselt er regelmäßig sein Personal aus. Aus Lemkes Laien | |
sind einige halbwegs bekannte Schauspieler geworden, vielleicht bekannter | |
als er selbst: Cleo Kretschmer, Dolly Dollar, Wolfgang Fierek. | |
Seit sieben Wochen dreht er nun in Hamburg, eine Woche braucht er noch. | |
Heute Abend ist er im "Lichtmeß" zu Gast, einem Hinterhof-Kino im Stadtteil | |
Ottensen, aber es sind nicht viele gekommen, um eine Art Medley von Lemkes | |
Gesamtwerk, seinen jüngsten Streifen "Schmutziger Süden", seine Rede zur | |
deutschen Filmförderung und, nicht zuletzt, seine Darsteller zu erleben. | |
Einige unter den Anwesenden, Frauen, haben einen Bitte-entdeck-mich-Blick | |
drauf. | |
Der die Plastikbecher auffüllt, ist Henning Gronkwoski aus Essen. Er hat | |
einen kleinen schwarzen Hut auf und in Lemkes letzten Filmen mitgespielt, | |
in "Schmutziger Süden" sogar die Hauptrolle. Gecastet worden ist er 2006, | |
nach dem WM-Spiel Deutschland gegen Argentinien, auf der Reeperbahn. | |
Gecastet hat ihn Saralisa Volm. Die hatte Hotpants an, einen Bikini und | |
Schwarz-Rot-Gold, das hatte mit den Dreharbeiten an "Finale" zu tun. | |
Gronkowski, der als 13-Jähriger Lemkes Film "Rocker" gesehen hatte - der | |
ihm "das Leben rettete", wie er sagt - war hin und weg. "Saralisa sagte, | |
ich sollte mich mal bei Lemke vorstellen", erzählt Gronkowski. Hat er | |
gemacht, und seitdem ist er dabei. Gronkowski hat bei Saralisa auf dem | |
Balkon geschlafen, er war damals 17, sagte aber, er sei 21 - sonst hätte | |
Lemke ihn nicht genommen. Die Schule hat er dann erst mal abgebrochen, das | |
Abi aber doch gemacht, weil die Mutter nervte. Er will "Jungfilmer" werden | |
und Lemkes "Erbe antreten", sagt Gronkowski, so viel von "Lemke mitnehmen, | |
wie es geht". | |
Lemkes Filme sind low budget, alles andere als perfekt, sie entwickeln sich | |
so vor sich hin. Entscheidend ist, sagt Lemke, "dass sie wirken". Bei | |
seinen Filmen denken die Zuschauer immer: "Das geht so weiter." Und dann | |
gehts ganz anders weiter. Da kapieren sie, wie die eigene Birne arbeitet. | |
In "Schmutziger Süden" landet der in Hamburg lebende Ruhrpottjunge Henning | |
Gronkowski, der sich selbst spielt, mit einem gefährlichen Päckchen in | |
München. Er wird das Päckchen los, vögelt sich durch die Gegend, wird | |
gekidnappt, hat immer Hunger, trifft Michael Graeter, der sich selbst | |
spielt, fährt diverse Autos. Eigentlich müsste er seinen Hals verlieren - | |
aber am Ende flutscht er aus allem raus. | |
Bevor im Lichtmess-Kino "Schmutziger Süden" läuft, hält Lemke eine Rede. Es | |
geht um die Filmförderung. Lemke findet sie beknackt. "13 Jahre Staatskino | |
unter Adolf und die letzten 40 Jahre staatlicher Filmförderung haben dazu | |
geführt, dass der deutsche Film schon in den siebziger Jahren auf | |
Klassenfahrt in der Toskana hängen blieb", so stehts in seinem "Hamburger | |
Manifest". | |
Ja, Lemke ist gerne etwas großspurig. Deutsche Filme, schreibt er, seien | |
"brav. Banal. Begütigend. Goetheinstitut", und Rettung sieht Lemke allein | |
bei "Omas Häuschen, das man heimlich bei der Bank beleiht". Nur für das | |
eigene Geld lohnt es sich nachzudenken, "wenn es in Gefahr ist". Und im | |
Film ist Geld immer in Gefahr. | |
Nach der Vorführung von "Schmutziger Süden" kommen die Darsteller Tini | |
Bönig, Volm und Gronkowski nach vorne. Das Publikum klatscht, die Kamera | |
läuft. Lemke ist voll drauf, ruft: "Hände!" Und: "Hinten, an der Bar!" Und | |
der Kameramann filmt den klatschenden Barmann. Bönig, Gronkowski und Volm | |
knutschen ein bisschen, Lemke ruft: "Gut! Mehr!" Und: "Klatschen!" Wir | |
klatschen. Und dann reckt er die Daumen nach oben. Das wars. Das Publikum, | |
das kurz Darsteller war, ist wieder Publikum und geht nach Hause. | |
Wahrscheinlich schneidet Lemke die Szene im Hamburger Hinterhofkino raus. | |
Aber sicher ist das nicht. | |
4 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Roger Repplinger | |
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