Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Özdemir abgeschmiert
> Der innenpolitische Sprecher der Grünen legt überraschend sein
> Sprecheramt nieder und will kein Mandat im kommenden Bundestag. Cem
> Özdemir stolpert über privat genutzte Bonusmeilen. Parteichef Kuhn:
> Respektable Entscheidung
BERLIN taz ■ 58 Tage vor der Bundestagswahl steht die rot-grüne Koalition
vor einem Debakel. In den Affärensumpf um den PR-Berater Hunzinger wurde
nach dem SPD-Minister Rudolf Scharping jetzt auch einer der prominentesten
Grünen im Bundestag hineingezogen: Cem Özdemir verkündete gestern
Nachmittag überraschend seinen vorläufigen Rückzug aus der Bundespolitik.
Mit sofortiger Wirkung tritt er von seinem Amt als innenpolitischer
Sprecher der Fraktion zurück. Nach der Bundestagswahl werde er auf sein als
sicher geltendes Mandat verzichten, erklärte er gestern in Berlin.
Als Grund nannte ein sichtlich erschütterter Özdemir neu aufgekommene
Vorwürfe, er habe dienstlich erworbene Flug-Bonusmeilen für private Reisen
genutzt. Diesen Vorwurf könne er nicht entkräften und deshalb auch keinen
überzeugenden Wahlkampf für seine Partei machen. „Meine politischen
Entscheidungen waren aber zu keinem Zeitpunkt von Dritten abhängig“, so
Özdemir, der in den letzten Tagen wegen eines Kredits des PR-Berater Moritz
Hunzinger unter Druck geraten war.
Grünen-Parteichef Fritz Kuhn bedauerte in einer anschließenden
Pressekonferenz diesen Schritt, bezeichnete ihn aber als konsequent. „Der
Schritt verdient unseren Respekt, weil Cem Özdemir damit die Verantwortung
für Fehler übernimmt.“ Den Vorwurf, Özdemir habe auch Probleme mit
Immobiliengeschäften, bezeichnete Kuhn als Gerücht, zu dem er keine
Stellung nehmen werde.
Dass der prominente Grünenpolitiker im Herbst 1998 allerdings in
erheblichen finanziellen Schwierigkeiten war, bestätigte dagegen Attila
Özdemir, ehemals Mitglied des Grünen Bundesparteirats und Exsprecher der
Interessenvereinigung für Migranten ImmiGrün. Cem Özdemir, der nicht mit
dem namensgleichen Attila Özdemir verwandt ist, habe ihm damals gesagt,
dass er durch den Kauf des Hauses seiner Eltern und einer Wohnung in Berlin
in einen finanziellen Engpass geraten sei. Er habe ihn nach kompetenten
Beratern gefragt, so Attila Özdemir zur taz. Bei einem Gespräch ein bis
zwei Wochen später habe ihm Cem Özdemir dann erklärt, er habe jemanden in
Frankfurt gefunden, der das alles in die Hand nehme. „Zeitlich passt das
ziemlich genau mit der Kreditaufnahme bei Hunzinger zusammen“, so Attila
Özdemir. Sollte es zutreffen, dass Cem Özdemir durch die Immobilienkäufe
verschuldet war, würde das auch erklären, warum er keinen normalen
Bankkredit aufgenommen hat.
Im Zuge der so genannten Hunzinger-Affäre war am letzten Wochenende bekannt
geworden, dass Özdemir im Januar 1999 einen Kredit über 80.000 Mark von dem
Lobbyisten Moritz Hunzinger zu relativ günstigen Konditionen erhalten hat.
Noch am Donnerstag hatte der Grünen-Politiker bekannt gegeben, das Darlehen
zurückgezahlt und den Zinsvorteil mit einer Spende an eine karitative
Einrichtung kompensiert zu haben.
Von Seiten der Sozialdemokraten gab es gestern vorerst keine Stellungnahme
zu Özdemirs Rücktritt. „Das ist die Sache der Grünen“, hieß es aus der
SPD-Fraktion. CSU-Generalsekretär Thomas Goppel sagte, die
Zerfallserscheinungen bei Rot-Grün nähmen weiter zu. Dagegen erklärte
PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, Özdemirs Verhalten verdiene
Respekt, zumal wenn man andere in der Hunzinger-Affäre belastete Politiker
zum Vergleich heranziehe.
SUSANNE AMANN
brennpunkt SEITE 3
27 Jul 2002
## AUTOREN
SUSANNE AMANN
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.