# taz.de -- Ölförderung in der Karibik: Aufatmen im Paradies | |
> Die Ölförderung könnte das Biosphärenreservat der kolumbianischen | |
> Karibikinseln San Andrés und Providencia zerstören. Doch die Bevölkerung | |
> wehrt sich erfolgreich dagegen. | |
Bild: Erfolgreich gegen die Umweltausbeutung: Tauchlehrer Felipe Cabezas. | |
PROVIDENCIA/SAN ANDRÉS taz | Eine Viertelstunde nach dem Start der | |
Propellermaschine kommt ein grüne, fast runde Insel in das Blickfeld der | |
Passagiere, Einheimische und Touristen. Wie eine Halskette legt sich ein | |
Korallenriff, umgeben von den schillerndsten Türkistönen, um das Ziel | |
Providencia. Vom Eiland in der westlichen Karibik aus erstreckt sich das | |
Riff weiter gen Norden, mit 32 Kilometern ist es eines der längsten der | |
Welt. | |
Wenig später ist Old Town, das Verwaltungszentrum Providencias, erreicht. | |
Vom einfachen Hotel in traditioneller Holzbauweise, das malerisch an einem | |
Hang liegt, sind es zu Fuß zehn Minuten bis zum Hafen. Segelschiffe liegen | |
vor Anker, Reggae plätschert aus einem Lokal. Davor steht der Fischer Raul | |
Howard, Ende Vierzig, und brummt in breitestem Englisch-Kreol: "Wir wollen | |
hier kein Desaster wie im Golf von Mexiko." | |
Howard und die anderen 5.000 Inselbewohner können aufatmen: Anfang Oktober | |
wartete der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos bei seinem Besuch | |
auf der Nachbarinsel San Andrés mit einer faustdicken Überraschung auf. Um | |
das Archipel herum, ein auch international geschätztes Taucherparadies, | |
soll es nun doch keine Suche mehr nach Erdöl und Erdgas geben, geschweige | |
denn eine Tiefseeförderung. | |
## "Noch nichts Schriftliches" | |
"Das hier ist ein Biosphärenreservat, ein zu wichtiges ökologisches, | |
soziales und kulturelles Erbe, um irgendein Risiko einzugehen", sagte | |
Santos unter Palmen in seiner wöchentlichen Ansprache an die Nation, "und | |
deswegen haben wir sogar schon mit den Firmen geredet, damit sie überlegen, | |
wo sie sonst nach Gas und Öl suchen können." Im Publikum war der Beifall | |
erstaunlich verhalten - manch ein Lokalpolitiker hatte sich schon auf gute | |
Geschäfte mit den Multis gefreut. | |
Für die Protestbewegung vor Ort, aber auch auf dem kolumbianischen | |
Festland, ist die Ankündigung ein Triumph. "Ja, wir sind begeistert, aber | |
wir können uns noch nicht in Ruhe zurücklehnen", sagt Elisabeth Taylor Jay. | |
Die junge Biologin leitet die örtliche Umweltbehörde Coralina, die über den | |
Schutz des Meeresreservats wacht. Gleich fügt sie hinzu: "Wir haben ja noch | |
nichts Schriftliches, und unsere Klage ist auch noch nicht entschieden." | |
Seit Februar strengt Coralina einen Prozess gegen die staatliche | |
Erdölagentur an. Die wiederum hatte vorher das riesige Areal des Archipels | |
in 14 Blöcke aufgeteilt und zwei davon dem spanischen Multi Repsol, seiner | |
Tochter YPF aus Argentinien und dem kolumbianischen Staatsbetrieb Ecopetrol | |
zugewiesen - "ohne uns oder gar die Bevölkerung zu fragen, wie es die | |
Verfassung vorschreibt", sagt Taylor. | |
## Umweltnormen egal | |
Auch eigene und internationale Umweltnormen waren der kolumbianischen | |
Regierung herzlich egal - immerhin ist das gut 300.000 Quadratkilometer | |
große Gebiet zwischen Nicaragua und Jamaika, das etwa ein Zehntel der | |
Karibischen See ausmacht, bereits seit elf Jahren | |
Unesco-Biosphärenreservat. Noch vor seinem Abtritt im August letzten Jahres | |
hatte Santos' Vorgänger Álvaro Uribe in einer großen "Kolumbien-Runde" die | |
Erdölvorkommen des Landes feilbieten lassen. | |
San Andrés wurde in den letzten sechs Jahrzehnten systematisch mit | |
Zuwanderern vom Festland bevölkert, ist beliebtes Urlaubsziel vor allem für | |
Kolumbianer und platzt mit seinen 80.000 Einwohnern aus allen Nähten. Das | |
80 Kilometer nördlich gelegene Providencia ist dagegen bis heute ein | |
Geheimtipp geblieben - schon in den neunziger Jahren wehrten sich die | |
Isleños erfolgreich gegen den Bau protziger Luxushotels, der | |
Individualtourismus dominiert. | |
An den kleinen Stränden geht es karibisch-lässig zu, alles ist | |
überschaubar. Die 17 Kilometer lange Straße, die einmal rund um die Insel | |
führt, soll jetzt erneuert werden - aber so, dass sie die alljährlichen | |
Massenwanderungen der Krebse nicht mehr beeinträchtigt, wie Santos | |
verkündete. Bevorzugtes Verkehrsmittel sind Motorroller. | |
## Besonders selbstbewusste Bevölkerung | |
Hier reden auch noch die meisten Kinder kreolisches Englisch als | |
Muttersprache - sichtbarstes Erbe der Kolonialzeit, als puritanische | |
Siedler, Sklaven aus Afrika und Piraten wie der berühmte Henry Morgan "Old | |
Providence" bevölkerten. Heute ist die afrokaribische Community aus | |
Providencia besonders selbstbewusst und führt den Widerstand gegen die | |
Multis an: Handgemalte Protestplakate zieren Busse, Häuserwände und | |
Schaufenster. | |
Die Fischer und all jene, die vom Tourismus leben, sind besonders gut | |
organisiert. "Kein Öl der Welt kann die Riffe, die Fische und die Vögel | |
ersetzen", sagt Antonio Bryan, 74, ein ehemaliger Seemann, dem jetzt einige | |
Unterkünfte an der Westküste gehören. "Die Ölwirtschaft bringt doch nur | |
vorübergehend Jobs, doch unsere jungen Leute brauchen eine dauerhafte | |
Perspektive". Am Hausstrand startet der rastalockige Tauchlehrer Felipe | |
Cabezas zu einer Tour. | |
Ein paar Häuser weiter wohnt Germán Márquez, einer der wenigen Zugereisten | |
vom Festland. Früher hat der Ökologe der Universität von Bogotá in mehreren | |
kolumbianischen Regionen die Verwüstungen der Ölförderung hautnah erlebt - | |
ihm graut vor allem vor der Korruption, der Gewalt, der Prostitution: "In | |
jenen Gebieten gibt es kein Halten mehr, auf jeden Job kommen zehn Leute | |
auf Arbeitssuche." | |
## Facebook hat geholfen | |
Seine Frau ist eine der führenden Internet-AktivistInnen der Kampagne. | |
"Rettet den Regenwald" aus Hamburg organisierte Onlinepetitionen auf | |
spansich und englisch – Tausende von Mails trafen im Präsidentenpalast von | |
Bogotá ein. "Facebook hat uns sehr geholfen", sagt Márquez. Auch über den | |
Einsatz liberaler Spitzenpolitiker ist er froh, die mit dem Thema in | |
Kolumbien Ökopunkte sammeln konnten. Und über das Engagement prominenter | |
Kolumnisten der Hauptstadtpresse. | |
"Unsere Zukunft liegt im Wissenschafts-, im Öko- und Bildungstourismus", | |
meint der bärtige Wissenschaftler. "Wir brauchen keine neue Infrastruktur, | |
wir müssen nur die bestehende besser nutzen." Präsident Santos und die | |
Chefs großer Hotelketten sehen das nicht ganz so - sie möchten die Inseln | |
in Luxusresorts verwandeln. | |
Gegen solche Pläne ist June Marie Mow schon vor 15 Jahren auf die | |
Barrikaden gegangen. Damals war die Meeresbiologin afrochinesischer | |
Abstammung, die in Kiel studiert und in Karlsruhe promoviert hat, | |
Coralina-Chefin. Heute koordiniert sie in Bogotá für die Gesellschaft für | |
internationale Entwicklung (GIZ) ein Programm über Konfliktmanagement. Was | |
Santos umgestimmt hat, weiß auch Mow nicht. | |
Vor Monaten hat die Gründerin der Providence-Stiftung dem Staatschef einen | |
Prachtband über alle Biosphärenreservate der Welt zukommen lassen: "Er hat | |
uns ausrichten lassen, er wolle sich darum kümmern", lacht sie. Dass die | |
Ölmultis jetzt ihre Ambitionen aufgegeben haben, kann sie sich nicht | |
vorstellen: "Wir haben jetzt Zeit gewonnen, um über eine längerfristige | |
Strategie nachzudenken." Alle Regierungen, ob links- oder rechtsregiert, | |
seien auf Ölkurs, weiß sie. "Mit Jamaika hat Kolumbien sogar ein | |
entsprechendes Abkommen abgeschlossen, Santos war auch schon dort, und dazu | |
hat er jetzt nichts gesagt. Nicaragua will Öl und Gas fördern, ebenso | |
Belize und Barbados." | |
## Aktivisten skeptisch | |
Auch die Aktivisten auf San Andrés bleiben skeptisch. "Wir sind sehr | |
glücklich über die Ankündigung des Präsidenten", sagt Corene Duffis, die in | |
der boomenden Hauptstadt eine kleine Boutique besitzt. Die resolute | |
Endfünfzigerin engagiert sich seit Jahren in der kleinen | |
Unabhängigkeitsbewegung. Die ehrwürdige Baptistenkirche auf dem Hügel in | |
der Mitte von San Andrés ist zugleich eine Trutzburg der schwarzen, | |
kreolsprachigen "Raizales". | |
Doch der Nachwuchs bleibe aus, gesteht Duffis, "die reden alle spanisch". | |
Mit vielen Beispielen beklagt sie die "koloniale Gehirnwäsche" durch das | |
Verwaltungssystem und die Medien. Aber noch schlimmer für die Jungen seien | |
die Verlockungen des Kokainhandels - die Inseln sind Zwischenstation für | |
Drogentransporte geworden. "Das Ölprojekt jedoch wäre der Gnadenstoß für | |
unsere Kultur", sagt die Aktivistin, "ich kann es noch nicht glauben, wir | |
brauchen das jetzt schriftlich, als Gesetz." | |
"Wir wollen, dass die Ölförderung auf dem Archipel ganz verboten wird", | |
sagt June Marie Mow in ihrer Wohnung in Bogotá. Erfolgsmeldungen wie jetzt | |
aus ihrer Heimat oder aus Costa Rica, wo eine starke Umweltbewegung ein | |
Verbot des Tagebaus durchgedrückt hat, sind die große Ausnahme. Mow steht | |
aber auch mit AktivistInnen aus anderen Teilen Kolumbiens in Kontakt. "Fast | |
täglich gibt es neue Hiobsbotschaften über Goldförderung auf Indianerland | |
oder über den Kohletagebau an der Karibikküste", sagt sie, und: "Vor allem | |
brauchen wir Alternativen zu den fossilen Brennstoffen." | |
14 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Gerhard Dilger | |
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