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# taz.de -- Nominierte 2005: Judith Porath und Kay Wendel: Sie lassen Opfer von…
> Ein Verein in Potsdam kümmert sich um Opfer rechter Gewalt.
Peter Lawson kommt aus Sierra Leone und lebt seit vier Jahren in einem Heim
für Asylbewerber im Landkreis Uckermark nahe der polnischen Grenze. Genauer
gesagt: in einer ehemaligen russischen Kaserne im Wald nahe Crussow. Zum
Sport ging der junge Mann regelmäßig nach Schwedt. Im Januar wurde er dort
von zwei Neonazis verprügelt. Noch heute leidet er unter den Folgen der
schlimmen Verletzungen. Hinzu kommt, dass er sich fast nicht mehr vor die
Tür traut und sich nicht mehr den rassistischen Beschimpfungen in den
Kleinstädten Schwedt und Angermünde aussetzen will.
„Mit unserer Hilfe hat Peter Lawson einen Antrag gestellt, nach Prenzlau
umziehen zu dürfen“, erklärt Kay Wendel, der den Fall zuvor geschildert
hat. Er ist Projektleiter beim Verein Opferperspektive in Potsdam. Peter
Lawson ist eines der Opfer rechtsextremer Gewalt, um die sich die
Opferperspektive seit 1998 kümmert. „Rund 200 Menschen haben wir im
vergangenen Jahr betreut“, sagt Geschäftsführerin Judith Porath. Hier im
Büro in der Potsdamer Schloßstraße besprechen und koordinieren sieben
Mitarbeiter notwendige Hilfen und Unterstützungen für Betroffene aus
Brandenburg.
Zum Beispiel für Mehmet Cimendag, dessen Döner-Stand in Rheinsberg komplett
abgebrannt ist. „Es war bereits der vierte Anschlag mit fremdenfeindlichem
Hintergrund auf seinen Imbiss“, sagt Kay Wendel. Nun sammele die
Opferperspektive Spenden, damit sich Mehmet Cimendag bald wieder eine
Existenz aufbauen kann. „Rund 15.000 Euro sind schon zusammengekommen.“
Neben finanzieller Hilfestellung veröffentlicht der Verein
Aufklärungsmaterial und sorgt für juristische und psychologische Betreuung.
„Wir vermitteln den Geschädigten Therapeuten und Anwälte und begleiten sie
zu Prozessen“, erklärt Judith Porath und verweist darauf, dass es gar nicht
so einfach sei, geeignete Juristen zu finden: „Wir nehmen natürlich keinen,
der schon einmal einen rechten Schläger verteidigt hat.“ Zum Beispiel hat
sich der Verein eines Mannes aus Frankfurt (Oder) angenommen, dessen
Schicksal gerade für Aufsehen sorgte. Drei rechtsextreme Skinheads und zwei
Frauen haben den 23-Jährigen fast zu Tode gequält; mittlerweile sind sie zu
Haftstrafen verurteilt worden.
## Gezielte Opfersuche
Außerdem betreiben die Mitglieder der Initiative systematische Opfersuche.
Zeitungen werden gewälzt, Fälle recherchiert und Leidtragende aufgesucht.
„Wir fahren zu den Leuten hin und machen uns ein Bild von der Situation vor
Ort“, beschreibt Wendel. „Opfer rechter Gewalt haben oft Angst, selbst
etwas zu unternehmen oder gar Anzeige zu erstatten, deshalb müssen wir auf
sie zugehen.“ Auch potenziell Betroffene – also Menschen, die aufgrund
ihrer Herkunft oder ihrer politischen Einstellungen Ziel eines Übergriffs
werden könnten – werden von der Opferperspektive gezielt angesprochen und
ermuntert, sich zu wehren und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Einzelfallhilfe und politisch-soziale Intervention – so könnte man die
Tätigkeiten der Opferperspektive zusammenfassen. Am Anfang leisteten drei
Leute diese Arbeit, sie wollten endlich den Spieß rumdrehen. „In den 90er-
Jahren hat man sich über die rechten Täter den Kopf zerbrochen, aber die
Opfer von Anschlägen und Ausschreitungen spielten keine Rolle“, sagt Kay
Wendel, der zu den Gründungsmitgliedern gehört. „Wir wollten endlich die
Betroffenen in den Mittelpunkt stellen.“
Abgesehen von den täglichen Schwierigkeiten mit der rechten Szene, aber
auch mit Behörden und der Polizei, muss die Initiative nun auch noch um
Fördergelder kämpfen. Obwohl die Anzahl rechtsextremer Gewalttaten in
Brandenburg nach wie vor steigt, will die rot-schwarze Landesregierung die
Mittel kürzen. „Die Landesregierung hat sich nicht festgelegt, ob sie
unsere Arbeit überhaupt weiter unterstützen will. Seit über einem halben
Jahr warten wir auf eine klare Aussage“, erklärt Judith Porath. 45.000 Euro
habe die Opferperspektive für 2005 aus dem Landesetat beantragt.
## Mittelkürzung ein erschreckendes Signal
Von der Bewilligung hängt viel ab: Als Modellprojekt des Bundesprogramms
Civitas braucht der Verein die Zuwendung des Landes, um weiter gefördert zu
werden. Es wäre ein erschreckendes Signal, wenn einer Initiative gegen
rechts von der Politik der Geldhahn zugedreht würde. Und vielleicht kommt
es noch schlimmer: „Mal sehen, ob es nach einem CDU-Sieg bei der
Bundestagswahl für uns überhaupt noch weitergeht“, sagt Kay Wendel.
Dabei ist der Verein mit seinem Engagement Vorbild für viele kleine
Organisationen, die sich an der Basis gegen die Neonazi-Szene aufbäumen und
eng mit der Opferperspektive zusammenarbeiten. „Wichtig hierbei ist das
Prinzip Opferperspektive“, sagt Wendel. „Man darf die Betroffenen auch in
Zukunft nicht alleine lassen. Doch wirklich aktiv gegen rechts ist leider
bloß eine kleine Minderheit tätig.“
Jutta Heeß
27 Jun 2013
## AUTOREN
Jutta Heeß
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