# taz.de -- Nicht bloß für 15 Minuten | |
> INTEGRATION, BABY! Sly & the Family Stone waren der funky klingende | |
> Beweis für die Träume der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Gerade | |
> ist eine CD-Box erschienen | |
YouTube, das musst du gesehen haben. Herbst 1969, Sly & The Family Stone in | |
der TV-Show „Music Scene“, live im Studio vor einem tanzenden Publikum aus | |
Weißen und Schwarzen, Hippiematten, Afros, Straights. Sie spielen „Hot fun | |
in the summertime“, ihren Feel-Good-Hit auf den letzten Sommer der Sixties. | |
„Hot Fun“ hat gerade Platz zwei der Billboard-Hitparade erreicht, in den | |
Soul-Charts reicht es nur zu Platz drei. Normalerweise schneiden schwarze | |
Künstler in den Soul-Charts besser ab als im Pop. | |
Ist Sly & The Family Stone eine schwarze Band? Eine Soul-Band? „Sly Stones | |
Beitrag zur Musikgeschichte ist deshalb so bedeutend, weil es der Band | |
gelang, aus den Musikstilen, die vor ihrer Zeit angesagt waren, und | |
zeitgenössischem Sound eine komplett neue Melange zu erschaffen“, sagt | |
Chuck D., Rapper der berühmten New Yorker Crew Public Enemy: „Dazu kam die | |
Zusammenstellung der Band: unterschiedliche Geschlechter, unterschiedliche | |
Hautfarbe – das Gesamtpaket machte Sly und seine Truppe außergewöhnlich und | |
einfach funky.“ | |
## Bling-Bling | |
Funky, wenn eine schwarze Frau mit blondem Afro Trompete spielt. Orange das | |
bodenlange Kleid, gelb der Fransen-Poncho des weißen Schlagzeugers mit | |
Fusselbart, Sly am Keyboard, goldenes Seidenhemd über der nackten Brust | |
verknotet, schwarzer Afro, wuchtige Koteletten, wuchtige Goldkette, | |
Sonnenbrille mit lila Gläsern. Bling-Bling & The Patchwork Family. Nach | |
exakt zwei Minuten wechseln sie abrupt von ihrem Superhit zu einem | |
unbekannten Album-Track: „Don’t call me nigger whitey!“ Vor einem | |
Millionenpublikum hauen sie das N-Wort raus, für die einfachste aller | |
antirassistischen Botschaften. „Don’t call me nigger whitey / Don’t call … | |
whitey nigger!“ Dann weiter, höher: „I wanna take you higher“, damit hat… | |
Sly & The Family Stone wenige Wochen zuvor das Festival in Woodstock zum | |
Höhepunkt gebracht, immer höher, alles geht, „Everybody is a star“, nicht | |
bloß für 15 Minuten. | |
Die Family ist der fleischgewordene Traum von Integration. Das gemischte | |
Line-up betont die vielstimmige Variety und die universalistisch-populären | |
Titel ihrer Hits: „Stand“ (for your rights)“, „Everyday people“, „F… | |
Affair“, „Dance to the music“. | |
Von „sloganeering platitudes“ spricht Miles Marshall Lewis mit der milden | |
Ironie des Fans, Lewis hat ein ganzes Buch über „There’s a riot goin’ on… | |
geschrieben, 1971 gleichermaßen Endpunkt wie Wendemarke: „Das Album ist aus | |
dem Gefühl heraus entstanden, dass die positiven Vorstellungen der | |
sechziger Jahre an ihre Grenzen gestoßen waren, sich gegen sich selbst | |
gekehrt und dort Unheil angerichtet hatten, wo nur Gutes erwartet worden | |
war.“ | |
So deutet der amerikanische Pop-Historiker Greil Marcus dieses Gespenst von | |
einem Album. Auch für Miles Marshall Lewis markiert „Riot“ einen | |
Paradigmenwechsel: „Alles, wofür diese Band gestanden hatte, war nicht mehr | |
hip. Treibende Kräfte des gesellschaftlichen Wandels wurden ermordet, der | |
gerissene Betrüger Richard M. Nixon zog ins Weiße Haus ein. Das Konzept der | |
Integration, für das Sly & The Family Stone standen, wurde in Frage | |
gestellt. Und es wurde klar, dass von der Bürgerrechtsbewegung nur die | |
schwarze Mittelklasse profitiert hatte.“ | |
Wenn nur die Mittelklasse profitiert, dann suchen die unteren Klassen | |
andere Wege. Schwarze aus schwierigen Verhältnissen haben drei | |
Aufstiegsoptionen: Sportler, Showstar, Gangster. Das Ende der hippen | |
Integration von Sly & The Family Stone ist auch der Anfang der | |
Gangster-Ökonomie. Und des Gangsta-Rap. Passé der egalitäre Optimismus von | |
„Everybody is a star“ & „Everyday People“, heute gilt das Recht des | |
Stärkeren. „Ready To Die“ rappt Biggie Smalls, er stirbt wie Tupac; „Get | |
rich or die tryin’“ fordert 50 Cent: Werde reich oder stirb beim Versuch, | |
es zu werden. | |
„Don’t call me nigger whitey!“ fehlt auf der jetzt erschienenen 4-CD-Box. | |
„Higher“ betont die Höhenflüge dieser einzigartigen Band. Abstürze und | |
Paranoia werden vernachlässigt, so geht die (Un-)Gleichzeitigkeit von | |
Utopie & Dystopie, die „Riot“ so irre – und irre gut – macht, flöten. … | |
17. September 1970 ist Sly Stone mit Jimi Hendrix in London für eine | |
Session verabredet. Hendrix taucht nicht auf, einen Tag später ist er tot. | |
Sly Stone überlebt, im März wurde er siebzig, ein Wrack. Der Größte unter | |
den lebenden Toten der Sechziger. | |
KLAUS WALTER | |
■ Sly & The Family Stone: „Higher“ – 4-CD-Box (Epic/Sony Legacy) | |
4 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
KLAUS WALTER | |
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