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# taz.de -- Neuer Wong Kar-Wai-Film: Eine Art Nahrungsmittelporno
> Nie wieder wolle er einen typischen Wong Kar-Wai-Film drehen, sagte der
> Regisseur. Doch "My Blueberry Nights" zeigt wie immer: frabenfrohe
> Melancholie.
Bild: Norah Jones und Natalie Portman ohne Blaubeerkuchen.
Es war, wie man so sagt, der Höhepunkt seines bisherigen Schaffens.
Gleichzeitig war es aber auch der Endpunkt. Und eigentlich hätte es ein
Wendepunkt sein sollen. In Wong Kar-Wais "In the Mood for Love" wurde das
Kino zum ultimativen Sehnsuchtsraum, zum Laufsteg zweier einsamer Seelen,
die sich näher kommen und dennoch immer wieder auseinanderdriften. Maggie
Cheung und Tony Leung, eine dunkle Gasse im Hongkong der Sechzigerjahre.
Hallende Frauenschritte und die Freude auf seinem Gesicht. Sorgfältig
choreografierte Blickwechsel, die von Zuneigung und Zärtlichkeit erzählen.
Doch schon das Plakat zeigte einen Abgang: Maggie Cheung als elegante
Erscheinung im eng anliegenden Kleid, die auf Stöckelschuhen in der
Dunkelheit eines Treppenhauses verschwindet. "In the Mood for Love" war ein
Film im Modus des ewigen Abschieds, die Feier einer allumfassenden
Melancholie. Formvollendet erzählte Wong Kar-Wai, der große Lyriker unter
den Autorenfilmern, von seinem Lieblingsmotiv, der unmöglichen Liebe. Auch
in seinem nächsten Film begegnete man Figuren, die sich im Kreise und um
die eigenen Gefühle drehen. In dem Großprojekt "2046", einer Mischung aus
Kostümfilm, Science-Fiction und Melodram, wurde das ausweglose Schmachten
jedoch zur bloßen Attitüde. Auch hier war die Zigarette letzter Halt von
Tony Leung. Mit verhangenem Blick verfolgte er den Rauch, der sich in
aufdringlicher Zeitlupe auflöste, so wie die Erinnerungen an seine vielen
Frauengeschichten.
Tränen in Großaufnahme, Gesichter, die im Schatten verschwinden,
verlangsamt bebende Lippen - schön anzusehen waren Wong Kar-Wais
Stilisierungen noch immer. Doch schien er inzwischen mehr mit der
Perfektionierung der einzelnen Einstellung beschäftigt als mit den
Sehnsüchten und Träumen, von denen sie doch eigentlich erzählen sollten.
Eine eher unangenehme Sentimentalität hatte sich über seinen Liebesreigen
gelegt. Und mit den Bildern waren auch seine Helden und ihre Gefühle in
eine Sackgasse geraten. Nun aber ist Wong Kar-Wai ausgezogen nach Amerika,
um nicht nur einen neuen Drehort, sondern auch sich selbst als Regisseur
neu zu finden. Nie mehr wolle er einen typischen Wong-Kar-Wai Film drehen,
ließ er in Interviews verlauten. "My Blueberry Nights" ist sein erster
englischsprachiger Film, gedreht mit englischen und amerikanischen
Darstellern. Zunächst könnte man meinen, dass ihm die Luftveränderung
bekommen ist. Tatsächlich kehren die skurrilen und absurden Ideen seiner
frühen Filme in neuer Gestalt zurück.
Jude Law spielt den Engländer Jeremy, den eine verflossene Liebe nach New
York verschlagen hat, und der jetzt sein eigenes Café betreibt. Hinter
seinem Tresen steht ein großes Glas, das zum Sammelbecken der einsamen
Herzen wird. Verlassene haben hier ihre Schlüssel hinterlegt, in der
Hoffnung, dass sie eines Tages abgeholt werden, die Tür sich wieder öffnen
und die Liebe zurückkehren möge. Auch die von ihrem Freund sitzengelassene
Elizabeth (gespielt von der Sängerin Norah Jones) vertraut ihren Schlüssel
dem Barkeeper an. Man kommt ins Gespräch. In der neuen Umgebung nimmt sich
Wong Kai-Wai wieder Zeit für kleine Gesten, die vom Beginn großer Gefühle
erzählen.
Als Tony Leung in "In the Mood for Love" vorsichtig einen Löffel Senf auf
dem Teller von Maggie Cheung platzierte, drückte er damit seine Zuneigung
aus. Wenigstens dasselbe Geschmackserlebnis wollte er mit ihr teilen. In
diesem Moment trat die Kamera einen Schritt zurück und beobachtete einfach.
Auch in "My Blueberry Nights" wird sie hin und wieder zum diskreten
Zuschauer. Wenn Jeremy Elizabeth nach Restaurantschluss ein Stück des übrig
gebliebenen Blaubeerkuchens anbietet, schenkt er ihr damit auch seine
Aufmerksamkeit. Längst weiß der Zuschauer, dass die beiden Sitzengelassenen
wie füreinander geschaffen sind. Nur müssen sie es noch herausfinden.
Dafür greift Wong Kar-Wai auf das uramerikanische Genre des Roadmovies
zurück. Um den Schmerz zu überwinden, tritt Elizabeth eine Reise durch die
USA an. Begleitet wird sie von der großen Frage, ob mit der äußeren
Bewegung auch eine innere einhergeht. Und ob dieser Regisseur seine Bilder
wieder mit Gefühlen füllen kann. Von New York über Memphis nach Las Vegas
führt Elizabeth Reise. Einsame Highways, blauer Himmel mit weißen
Schäfchenwolken, Kakteen und karge Büsche am Wegesrand - mit gestochen
scharfen Postkartenbildern feiert der Film die amerikanische Weite. Doch
eigene Ansichten trotzt Wong Kar-Wai den mythischen Städten und
Landschaften nicht ab. Ein wenig lässt Wim Wenders grüßen. Deshalb dürfen
die Neonlichter besonders grell scheinen. Auch in den Innenräumen sucht
Wong Kar-Wai das Zitat und leuchtet seine Bilder wie Edward Hopper aus.
Etwa wenn Elizabeth für einige Zeit als Kellnerin in einem Diner arbeitet.
Im Dämmerlicht können einzelne Farben umso deutlicher hervortreten, etwa
das Pastellgrün ihrer Uniform, das Knallrot der Ketchup-Flaschen oder das
glänzende Rot ihres Lippenstifts. Wie vorgeschrieben wirkt die Melancholie
an diesem stilisierten Ort. Weitere Verlorene, ein verlassener Ehemann
(David Strathairn) und eine einsame Spielerin (Natalie Portman ), werden
Elizabeth Weg kreuzen.
Es hilft nichts. Auf seinem Trip durch die USA begegnet Wong Kar-Wai doch
nur sich selbst und den eigenen Manierismen. Refrain von "My Blueberry
Nights" ist ein heimlicher Kuss, den Jeremy der auf seiner Theke
eingeschlafenen Elizabeth raubt. Immer wieder leuchtet die Szene auf ihrer
Reise wie ein Erinnerungsfetzen auf. Am Ende überblendet Wong Kar-Wai den
saugenden Kuss mit einem Blaubeerkuchen, auf dem langsam Vanilleeis
schmilzt. Es ist eine Art Nahrungsmittelporno. Vielleicht sollte Wong
Kar-Wai noch einmal und noch viel weiter weg fahren. Unbedingt ohne Gepäck.
"My Blueberry Nights". Regie: Wong Kar-Wai. Mit Norah Jones, Jude Law u. a.
Hongkong, China, Frankreich 2007. 111 min.
24 Jan 2008
## AUTOREN
Anke Leweke
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