| # taz.de -- Natascha Kampuschs Memoiren: 3096 Tage im Kellerverlies | |
| > Vier Jahre nach ihrer Flucht hat Natascha Kampusch ihre Erinnerungen als | |
| > ehemaliges Entführungsopfer vorgelegt. Sie erscheint darin stärker als | |
| > ihr Entführer. | |
| Bild: Natascha Kampusch bei der Vorstellung ihres Buches. | |
| WIEN taz | Natascha Kampusch ist immer noch ein Publikumsmagnet. Vier Jahre | |
| nach ihrer spektakulären Flucht aus einem Kellerverlies nördlich von Wien | |
| hat sie jetzt ihre Erinnerungen in Buchform vorgestellt. Mehr als 800 | |
| Personen drängten sich Donnerstagabend in einer Wiener Buchhandlung, um | |
| live dabei zu sein. Die meisten konnten die 22-jährige Autorin allerdings | |
| nur in Nebenräumen über Video-Screen erleben. | |
| Schon seit Tagen war die Leserschaft der Boulevardzeitungen auf das | |
| Medienereignis vorbereitet worden. Man überbot einander mit exklusiven | |
| Ausschnitten aus dem Buch, das schon in Bestsellerauflage gedruckt wurde. | |
| "3096 Tage" - der Titel spielt natürlich auf die über achtjährige | |
| Gefangenschaft an - heißt das 284 Seiten starke Werk, das Kampusch | |
| gemeinsam mit der deutschen Lektorin Heike Gronemeier und der | |
| österreichischen Journalistin Corinna Milborn geschrieben hat. | |
| Wenn man bedenkt, dass die Autorin einen bedeutenden Teil ihrer Kindheit | |
| und ihre gesamte Pubertät in der Hand und an der Seite eines Psychopathen | |
| verbracht hat, erstaunt die klare, nüchterner Sprache des Buchs. | |
| Natascha Kampusch, mit zehn Jahren auf dem Schulweg verschleppt, erzählt | |
| die Geschichte ihrer Qualen: Sie wurde von Wolfgang Priklopil geschlagen, | |
| kahl geschoren, bedroht, mit sexuellen Angriffen malträtiert, mit | |
| Lichtentzug bestraft, gefesselt und jahrelanger Psychofolter ausgesetzt. | |
| Wie sie das durchstehen konnte, darüber stellt die junge Autorin | |
| Überlegungen an. Sie erklärt das sogenannte Stockholm-Syndrom, das Opfer | |
| dazu bringt, sich mit ihren Peinigern zu solidarisieren. Sie berichtet, wie | |
| sie selber lernte, mit ihrer Gefangenschaft umzugehen und zu dem einzigen | |
| menschlichen Wesen, das sie jahrelang zu Gesicht bekam, eine Beziehung | |
| aufbauen musste. | |
| "Nach ein paar Monaten im Verlies bat ich ihn zum ersten Mal, mich zu | |
| umarmen. Ich brauchte den Trost einer Berührung, das Gefühl menschlicher | |
| Wärme." Gerade damit dürfte der Kidnapper seine Schwierigkeiten gehabt | |
| haben, wie sie weiter schreibt, "aber nach einigen Versuchen schafften wir | |
| es, einen Modus zu finden - nicht zu nahe, nicht zu eng". | |
| Dass er ihr beim Duschen zusah oder dabei sogar helfen musste, weil das Bad | |
| im Kellerverlies so eng war, daran gewöhnte sie sich mit der Zeit. Seine | |
| zwänglerischen Ausbrüche musste sie hilflos ertragen. Als sie nach einer | |
| Messerattacke am Knie blutete, "brüllte er wie von Sinnen: ,Lass das, du | |
| machst Flecken!' " | |
| Als sein Opfer 14 war, nahm Priklopil es erstmals zu sich ins Bett: "Dann | |
| legte er sich zu mir und fesselte mich an den Handgelenken mit Kabelbindern | |
| an sich." Ständig von der Angst getrieben, die Partnerin, die er da | |
| heranzog, könnte ihm entkommen, achtete er immer auf diese Fessel, die bei | |
| jeder Bewegung scharf ins Fleisch schnitt. Kampusch erlaubt sich einen | |
| Seitenhieb auf die Medien: "In ihrer Sensationsgier lagen die | |
| Boulevardjournalisten weit daneben. | |
| Der Täter war in vielerlei Hinsicht eine Bestie und grausamer, als man es | |
| sich überhaupt ausmalen kann", doch ihm "ging es nicht um Sex. Der Mann, | |
| der mich schlug, in den Keller sperrte und hungern ließ, wollte kuscheln." | |
| Immer wieder bekommt man den Eindruck, dass Kampusch, die sich im Laufe der | |
| Jahre zur stärkeren Partnerin in dieser ungleichen Zweierbeziehung | |
| entwickelte, für ihren Entführer Mitleid empfand. | |
| Als Nächstes steht die Verfilmung an. Inzwischen hat Natascha Kampusch | |
| dagegen keine Einwände mehr. Jetzt, sagt sie, fühle sie sich auch in der | |
| Lage, am Drehbuch mitzuschreiben. | |
| 10 Sep 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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