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# taz.de -- Nach Westen verschoben
Die „Kleine Geschichte Polens“ von Manfred Alexander leistet einen
wichtigen Beitrag für eine unaufgeregte Debatte über Vertreibungen
„Versöhnung“ scheint ein Wort zu sein, das aus der Mode gekommen ist.
Insbesondere die Versöhnung mit Polen. Deutschlands nächster und größter
Nachbar im Osten wird in den großen Debatten zum Zweiten Weltkrieg, zu
Flucht und Vertreibung, zu den zahllosen Opfern in der Zivilbevölkerung
meist sorgsam ausgeblendet. Manfred Alexander, der renommierte
Osteuropa-Historiker an der Universität Köln, hat nun eine „Kleine
Geschichte Polens“ vorgelegt, die der Debatte wieder einen wohltuend
ruhigen Ton gibt.
In einer angenehm unprätentiösen Sprache rückt Alexander historische
Tatsachen zurecht, nennt Zahlen, klärt Hintergründe auf. Wer etwa wissen
möchte, ob Polen 1945 tatsächlich zum „Vertreiberstaat“ wurde, wie etliche
Publizisten in Deutschland schreiben, wird im Buch Alexanders eines
Besseren belehrt.
Bereits im Hitler-Stalin-Pakt von 1939, so Alexander, wurde die Vertreibung
von Millionen Menschen beschlossen. Nach dem deutsch-sowjetischen Überfall
auf Polen am 1. und 17. September 1939 holte Hitler zunächst die Balten-,
Wolhynien und Bessarabien-Deutschen „heim ins Reich“ und siedelte sie vor
allem in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Warthegau an. Diese Gebiete
gehörten seit dem Ende des Ersten Weltkriegs zum 1919 wiedererstandenen
Polen.
Die Nazis vertrieben die als „Untermenschen“ bezeichneten Polen und Juden
aus Haus und Hof, zwangen sie entweder als Zwangsarbeiter ins Reich,
verschleppten sie in eines der Konzentrationslager oder verjagten sie ins
Generalgouvernement nach Krakau oder Warschau. Allein aus dem Warthegau,
also der Gegend rund um Posen, wurden mehrere hunderttausend Polen und
Juden vertrieben. Ihre Häuser und Grundstücke wurden den dorthin
umgesiedelten Reichs- und Baltendeutschen sowie Südtirolern übereignet.
Ebenso kenntnisreich und detailliert wie die deutsche Politik beschreibt
Alexander auch Stalins Vorgehen. In dem von Russland okkupierten Gebiet
ließ er neben hunderttausenden Balten rund 1,2 Millionen Polen ins Innere
der Sowjetunion verschleppen. Nach dem Angriff der Wehrmacht auf die
Sowjetunion am 22. Juni 1941 schloss sich Stalin den Westalliierten an und
forderte später auf der Konferenz von Teheran die „Westverschiebung
Polens“. Franklin Roosevelt und Winston Churchill, die Stalin als
Kriegspartner gegen die Nazis brauchten, stimmten Polens Verschiebung um
150 Kilometer und dem geplanten „Bevölkerungsaustausch“ zu.
Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 legten sie die neuen Grenzen
Polens fest: Das Land verlor im Osten 180.000 Quadratkilometer, also etwa
ein Drittel seines Vorkriegsterritoriums mit rund 12 Millionen Einwohnern.
Im Westen bekam Polen 103.000 Quadratkilometer zugesprochen – mit einer
Vorkriegsbevölkerung von knapp 12 Millionen Deutschen. Im Frühjahr 1945 war
schon rund die Hälfte der Deutschen aus Schlesien, Pommern und dem
südlichen Ostpreußen vor der Roten Armee geflohen, bis 1947 wurden die
meisten der dort noch verbliebenen Deutschen vertrieben. In Ostpolen
mussten über 2,2 Millionen Polen Haus und Hof verlassen, weitere 2,2
Millionen verschleppte Zwangsarbeiter und ins Exil Geflohene kamen in den
folgenden Jahren nach Polen zurück und schließlich noch 1,6 Millionen
polnische und jüdische „Umsiedler“ aus dem Innern der Sowjetunion.
Dieses Kapitel ist nur ein Beispiel für Manfred Alexanders überaus
souveräne Gesamtdarstellung der polnischen Geschichte. Zeittafeln und
Karten lockern den Text auf und geben zusätzliche Orientierungshilfe.
Wünschenswert wären ein Stichwortverzeichnis und ein Ortsregister gewesen.
Doch letztlich ist das handliche Bändchen im Postkartenformat eher als
spannendes Lesebuch gedacht denn als Nachschlagewerk. Zudem eignet es sich
als Reiselektüre ganz hervorragend.
Manfred Alexander: „Kleine Geschichte Polens“. Reclam Verlag, Leipzig 2003,
424 Seiten, 14,90 Euro
21 Feb 2004
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