# taz.de -- NS-Geschichte: "Alsterhaus" sagten nur die Nazis | |
> "Kalte Arisierung" nennt der Historiker Frank Bajohr die Geschichte des | |
> Kaufhauses von Hermann Tietz, dem späteren "Alsterhaus". Das Jubiläum | |
> wäre eine Chance zur Erinnerung. | |
Bild: Gute Adresse: Das "Alsterhaus" in diesen Tagen. | |
HAMBURG taz | Meine Nachbarin ist 79, hat immer hier im Stadtteil | |
Uhlenhorst gewohnt und erinnert sich, wie sie mit ihrer Mutter per | |
Alsterschiff zu „Tietz“ fuhr: „Die Fähre kostete 20 Pfennige für | |
Erwachsene, fünf für Kinder.“ Moment: zu Tietz? „Klar“, sagt meine | |
Nachbarin, „’Alsterhaus‘ sagten nur die Nazis.“ | |
Das „Alsterhaus“ am Jungfernstieg feiert am 24. April 100-jähriges | |
Bestehen, und die Zahl derer, die noch „Tietz“ sagen, wird immer kleiner. | |
Auf seiner Homepage handelt das Kaufhaus die Zeit des Nationalsozialismus | |
so ab: „Die jüdische Familie Tietz musste jedoch wie viele andere auch vor | |
den Nazis ins Ausland fliehen. Systematisch war ihr Warenhaus von Politik | |
und Wirtschaft des NS-Regimes in den Ruin getrieben worden. Nach dem Krieg | |
einigten sich die Erben 1949 mit dem neuen Besitzer des Hertie-Konzerns auf | |
einen Vergleich“. Dann kommen auch schon Prince Charles und Lady Di. | |
Der Historiker Frank Bajohr von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in | |
Hamburg (FZH), der sich mit Arisierung auskennt, erinnert sich an einen | |
Anruf. Ein Hamburger habe sich über die Werbung des „Alsterhauses“ beklagt, | |
die mit den Begriffen „Tradition“, „Geschichte“ und „Gediegenheit“ | |
operierte. Zunächst hatte der Mann beim Alsterhaus selbst angerufen und | |
gefragt, ob man wisse, auf welche Geschichte man sich da berufe. Er wurde | |
mit einem jungen Mann verbunden, der von einem Herrn Tietz noch nie was | |
gehört hatte. Vielleicht ist das ja mit Tradition gemeint: nie was gehört | |
haben. | |
Hermann Tietz, geboren 1837 in Birnbaum, Provinz Posen, war fünf Jahre tot, | |
als sein Neffe Oscar Tietz 1912 in Hamburg am Jungfernstieg ein Warenhaus | |
mit fünf Stockwerken eröffnete. Die Pläne für das „Warenhaus Hermann Tiet… | |
stammten von den Berliner Architekten Cremer & Wolffenstein, die Bauleitung | |
hatte der Hamburger Richard Jacobssen. Oscar Tietz investierte 4,5 | |
Millionen Goldmark, das Haus hatte 5.200 Quadratmeter Verkaufsfläche; | |
Sortiment und Ausstattung: gehoben. Marmor und Kristalllüster. | |
Oscar Tietz, der 1882 in Gera mit einem „Garn-, Knopf-, Posamentier-, Weiß- | |
und Wollwarengeschäft“ angefangen hatte und später Warenhäuser in mehreren | |
deutschen Städten eröffnete, starb 1923. Sein Bruder Leonhard begründete | |
den Kaufhaus-Konzern. Was im Jahr 1933 mit den Warenhäusern der Familie | |
Tietz passierte, nennt Bajohr, im Unterschied zur „formalen“, eine „kalte | |
Arisierung“: Die ging auch ohne Gesetze, die kamen 1938, ohne Staat und | |
NSDAP. | |
Die Weltwirtschaftskrise hatte auch das Handelsunternehmen Hermann Tietz & | |
Co., zu dem das Hamburger Haus gehörte, in Liquiditätsprobleme gebracht. | |
„Die Überschuldung war der Hebel“, so Bajohr, um die Familie aus dem | |
Geschäft zu drängen. Adolf Hitler war Ende Januar 1933 Reichskanzler | |
geworden, im Februar hielten die Banken, allen voran die staatlich | |
beherrschte Dresdner Bank, einen Kredit in Höhe von 14 Millionen Mark | |
zurück, „aus politischen Gründen“, sagt Bajohr. | |
Auf jüdischen Unternehmern lastete wachsender Druck, die | |
nationalsozialistisch dominierte Regierung „minimierte die Chancen | |
jüdischer Unternehmer, auf Dauer erfolgreich zu sein“, sagt der Historiker. | |
Es war ihnen kaum möglich, zu planen, zu investieren, neue Geschäftsideen | |
zu entwickeln. Dass sich dies auch in Zukunft kaum ändern würde, „war 1933 | |
abzusehen“, sagt Bajohr, „besser also, jetzt zu verkaufen“: Die jüdischen | |
Geschäftsleute, die mit der Veräußerung abwarteten, bekamen weniger Geld | |
heraus – oder verloren ihr Leben. | |
Nur unter der Bedingung, dass ein „arischer“ Geschäftsführer eingesetzt | |
wird, erklärten sich die Banken bereit, der Tietz-Gruppe Kredit zu | |
gewähren. In Abstimmung mit dem Reichswirtschaftsministerium luden die | |
Banken im März 1933 die drei Geschäftsführer des Konzerns vor, Hugo | |
Zwillenberg sowie Georg und Martin Tietz – die Söhne Oscars. Man traf sich | |
in Berlin, im Hotel Adlon, und nahm den dreien ihre Pässe ab, das erhöhte | |
den Druck. Zwillenberg und den Brüdern Tietz wurden ein „Entschuldungsplan“ | |
vorgelegt. Am 31. März trat der Vorstand von Tietz notgedrungen zurück. | |
Einen Tag später verschärfte der reichsweit organisierte Boykott jüdischer | |
Warenhäuser, Arztpraxen und Anwaltskanzleien die Lage noch: Familie Tietz | |
musste ihre Aktien an die neuen Mehrheitseigentümer verkaufen: die | |
Commerzbank, die Deutsche Bank, die Dresdner Bank. „Hauptprofiteure waren | |
die Banken“, sagt Nachfahre Albert-Ulrich Tietz. „Die haben nämlich | |
wahrscheinlich den größten Teil des Aktienkapitals, das ein Jahr vorher, | |
was weiß ich, 131 oder 135 Mark wert war, mit zehn, mit elf und neun Mark | |
übernommen.“ | |
Bajohr nennt dies „eine für die ersten Jahre des Hitlerregimes typische | |
Entwicklung“: Gerade weil der Staat anfangs nur indirekt eingriff, wäre | |
„die Arisierung ohne die vielen gesellschaftlichen Beteiligten gar nicht | |
möglich gewesen“. | |
Was aus dem Warenhaus Hermann Tietz in Hamburg werden sollte, entschieden | |
nach dem 5. April 1933 die Banken. Aufgelöst – wie es das Parteiprogramm | |
der NSDAP fordert zum Schutz der kleinen Gewerbetreibenden vor | |
finanzstarker, jüdischer Konkurrenz – wurden die Warenhäuser nicht. Das | |
verstand im Juli 1933 der damalige Reichswirtschaftsminister Kurt Schmitt | |
zu verhindern, der schon 1930 als Direktor der Allianz AG eine Verbindung | |
zwischen Versicherungskonzern und Nationalsozialisten hergestellt hatte. | |
Daraufhin machten die Banken aus der Hermann Tietz OHG die | |
„Hertie-Kaufhaus-Beteiligungs GmbH“, im Wort Hertie ist der Name Hermann | |
Tietz enthalten; aus Leonhard Tietz’ Häusern wurde „Kaufhof“. | |
So entstehen „judenfreie“ deutsche Konzerne, denen die Banken bereitwillig | |
Kredite geben. Nun witterte Georg Karg, Leiter des zentralen | |
Textil-Einkaufs bei Tietz, seine Chance. Er kaufte die Anteile der Banken | |
an der Hertie-Gruppe in zwei Raten auf und brachte sich so auch in den | |
Besitz des Alsterhauses. Das gehört seit 1994 zu Karstadt. | |
Während des Nationalsozialismus trat das Alsterhaus noch einmal in | |
Erscheinung: In den Jahren 1943, 1944 kaufte es „in großem Stil“, so | |
Bajohr, über Bezugsberechtigungsscheine „Kleidung, die im Ghetto | |
Litzmannstadt hergestellt worden war“. Seit Längerem war nachgewiesen, dass | |
dort vor allem Wehrmachtsuniformen und Zivilkleidung für die Unternehmen | |
von Josef Neckermann und Heinrich Leineweber hergestellt wurden. | |
Bajohr aber fand einen Schriftwechsel zwischen dem Alsterhaus und dem | |
Oberbürgermeister von Litzmannstadt, SS-Unterscharführer Werner Ventzki: | |
Demnach verkaufte das Haus in großer Zahl zwei- und dreiteilige Anzüge für | |
„Herren“ und „Knaben“ sowie Lodenmäntel, Kostüme und Kleidchen, die v… | |
Ghettobewohnern hergestellt worden waren. | |
In den letzten Kriegsjahren war die Versorgung mit Textilien im Deutschen | |
Reich schlecht, die Ware aus dem Ghetto eine Alternative. Chaim Rumkowski, | |
der „Judenälteste von Litzmannstadt“, und die Ghettobewohner hofften, dass | |
sie, so lange sie etwas für die Deutschen produzieren, nicht ermordet | |
würden. Zwischen 1940 und 1944 starben im Ghetto 43.441 Menschen. | |
Was das „Alsterhaus“ anbelangt, findet Bajohr, dass so ein 100. Geburtstag | |
keine schlechte Gelegenheit wäre, darauf hinzuweisen, wer einst auf die | |
Idee kam, am Jungfernstieg ein Warenhaus zu eröffnen. Ein modernes, mit | |
festgelegten Preisen, mit einem breiten, Branchen übergreifenden Angebot. | |
Bajohr findet, dass es vielleicht die Aufgabe des Alsterhauses selbst wäre, | |
diesen Hinweis zu übernehmen. | |
29 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Roger Repplinger | |
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