# taz.de -- NDR-Sendung "Gruß an Bord": Heiligabend auf Hoher See | |
> Seit 53 Jahren funkt der NDR jeden Heiligabend eine Grußsendung an die | |
> Seeleute auf den Meeren. Millionen Hörer sind dabei, wenn ein Stück | |
> deutsche Weihnachten ausgestrahlt wird. | |
Bild: Einhand-Weltumsegler wie Wilfried Erdmann (Foto) oder Rollo Gebhardt zehr… | |
„Und nun geht unser Ruf hinaus in die heilige Nacht an die MS Delphin...“ | |
Seit dreißig Jahren verbringt NDR-Moderator Herbert Fricke (72) seinen | |
Heiligabend im Funkhaus. So lange ist seine samtene Stimme an jedem | |
Weihnachtsfest rund um den Erdball zu hören und bringt Seeleuten in den | |
entlegensten Winkeln des Pazifik oder in der Antarktis ein Stück deutsche | |
Weihnachten in ihre Mannschaftsmessen und Schiffskabinen. | |
Die Sendung „Gruß an Bord“ gibt es aber noch länger, seit genau 53 Jahren. | |
Herbert Fricke war anfangs selbst „Kunde“, denn das Moderatoren-Urgestein | |
des NDR fuhr in den 50er Jahren als Jungmann und Matrose auf Stück- und | |
Schwergutfrachtern zur See. Mitte der 50er Jahre begann der NDR damit, zu | |
Weihnachten Telefonate und Seefunkgespräche über Norddeich Radio | |
mitzuschneiden - die einzige Möglichkeit, die Seeleute damals hatten, mit | |
ihren Angehörigen, bei mieser Tonqualität und von Störgeräuschen | |
unterbrochen, einen Gruß auszutauschen. | |
Herbert Fricke, Kind der Waterkant mit einem „ausgeprägten Sinn für’s | |
Salzwasser“, hatte damals ein klares Berufsziel: Kapitän. Von seinen | |
Fahrten an den Persischen Golf, ins damalige Ceylon, nach Birma und auch | |
Südamerika schickte der vielseitig interessierte junge Mann Bilder und | |
Reiseberichte an deutsche Zeitungsredaktionen. „Ich war der Intellektuelle | |
an Bord“, erinnert er sich, „weil ich eine Schreibmaschine hatte. Ich fuhr | |
mit Manuskripten und unentwickelten Filmrollen zum Flughafen und gab sie | |
Lufthansa-Piloten mit. Meine Art von Luftpost, die in 24 Stunden ankam – | |
sensationell damals!“ | |
Als er kurze Zeit später zum Journalistenberuf wechselte, schwor sich | |
Fricke, der Seefahrt dennoch treu zu bleiben. Beim Norddeutschen Rundfunk | |
war aus den Norddeich-Telefonaten gerade „Gruß an Bord“ entstanden, eine | |
bunte Weihnachtssendung, ausgestrahlt am Heiligabend, deren Kernstück | |
zwischen Unterhaltungsprogramm und Wunschkonzert persönliche Grüße an | |
Seeleute sind, die von deren Angehörigen daheim auf den Äther geschickt | |
werden. | |
Heute hat die Sendung, die sich vom ersten Tag an großer Beliebtheit | |
erfreute, ein Millionenpublikum, das weit über die Familien der auf See | |
Beschäftigten hinausgeht. Dieses Publikum wird innerhalb Europas | |
hauptsächlich über UKW oder Satellit erreicht. Das Feedback, das das kleine | |
Team bekommt, ist enorm. „Mit einigen Schiffen nehmen wir während der | |
Sendung Kontakt auf“, erzählt Fricke, „so dass wir auch einen ‚Gruß von | |
Bord’ senden können. Viele andere rufen uns noch in der gleichen Nacht | |
zurück, bedanken sich. Das wurde schon in den 50er Jahren so gemacht. Wie | |
schlecht die Übertragungsqualität oftmals war, merkten wir immer dann, wenn | |
wir eine Rückmeldung von einem der Schiffe bekamen und kaum etwas | |
verstanden.“ | |
Nicht nur auf Seiten der Gegrüßten gibt es Stammkunden. Viele Reeder, die | |
im Service überwiegend deutschsprachiges Personal beschäftigen, sind | |
regelmäßig Gast bei „Gruß an Bord“. Warum ist eine Sendung, die mit | |
beträchtlichem Aufwand Grüße, die heute per Satelliten-Telefon oder Email | |
an den Mann zu bringen wären, nach 53 Jahren noch ein solcher Erfolg? Ist | |
es der Zeitgeist, der auch tränendurchfluteten Talkshows eine Plattform | |
bietet? Herbert Fricke winkt ab: „Obwohl die Sundung hausintern auch die | |
‚Tränenolympiade’ genannt wird, kam es uns nie darauf an, Tränen zu | |
vermarkten. Wir versuchen im Gegenteil, Aufnahmen zu wiederholen, wenn | |
einer Seemannsfrau im ersten Anlauf die Stimme versagt. Ein paar | |
beruhigende Worte, ein Whisky, dann kommt ihr vieles leichter über die | |
Lippen. Obwohl wir natürlich nichts gegen Versprecher, nichts gegen | |
quäkende Kinder haben!" | |
Eine Sendung für die Familien also? Nach Frickes Überzeugung liegt hierin | |
das Erfolgsgeheimnis: „Uns ist die Brücke wichtig, die wir für die Seeleute | |
in die Heimat schlagen und umgekehrt. Und die besteht darin, dass sie nicht | |
nur zwei Minuten mit ihren Lieben telefonieren, sondern dieselbe | |
Radiosendung hören möchten, zwei Stunden lang, dieselbe Musik genießen, die | |
sie sich gewünscht haben, einfach das Gefühl haben, dass sie dieses Stück | |
Heimat gemeinsam erleben.“ Und auch der weitgereiste Moderator und | |
Redakteur kann seine Emotionen nicht ganz verbergen, wenn er das für ihn | |
Faszinierende an der Sendung herausstellt: „Es grüßen Angehörige aller | |
Sprachen und Religionen, auch Moslems, obwohl sie nicht Weihnachten feiern, | |
da werden einfach Grenzen gesprengt.“ | |
Mit den Zeiten ändern sich auch die Adressaten der Grüße. War vor vierzig | |
Jahren das Hospitalschiff „Helgoland“ vor Vietnam regelmäßiger Gast, wurd… | |
es bei der Sperrung des Suez-Kanals Mitte der 70er Jahre die im Großen | |
Bittersee mit ihren Besatzungen eingeschlossenen Schiffe „Münsterland“ und | |
„Nordwind“. Bei der diesjährigen Sendung dürfen, wie schon in den | |
Vorjahren, die deutschen Marine-Soldaten im Auslands-Einsatz nicht fehlen, | |
die etwa am Horn von Afrika auch in der Heiligen Nacht den Schiffen | |
sicheres Geleit geben. | |
Ebenso wichtig sind Schiffe, die niemand recht wahrnimmt, wie etwa | |
Kabelleger auf dem Atlantik oder Versorger für die Erdölplattformen. | |
Besonders am Herzen liegen Herbert Fricke die Weltumsegler, die am | |
Weihnachtsabend wirklich nur diese eine Verbindung nach Old Germany haben. | |
Einhandsegler Rollo Gebhardt sagt: „Es kann wohl niemand zu Hause im | |
Wohnzimmer wirklich nachvollziehen, was es bedeutet, allein zwischen Ozean | |
und Sternenhimmel aus einem kleinen, scheppernden Lautsprecher die Stimme | |
der Mutter zu hören...“ | |
Bei den sehr persönlichen Nachrichten, die neben den Grüßen übermittelt | |
werden, liegen Freud und Leid oft tragisch nahe beieinander. Natürlich | |
freute sich die Redaktion, einem Seemann den ersten Schrei seines | |
Neugeborenen übermitteln zu können, nachdem das Aufnahmeteam bei der Geburt | |
in einem Hamburger Krankenhaus zugegen war. „Der arme Kerl musste dann für | |
alle seine Kollegen an Bord eine Runde schmeißen“, lacht Herbert Fricke, | |
„unser Gruß wurde ein teures Vergnügen für ihn.“ | |
Während der Suezkanal-Krise hingegen wurde von einem jungen Mann die Bitte | |
an Fricke und sein Team herangetragen, seinen Bruder auf einem Schiff im | |
Großen Bittersee zu rufen, um ihm mitzuteilen, dass der Vater tags zuvor | |
bei einem Autounfall tödlich verunglückt war. „Wir haben uns sehr schwer | |
getan“, erinnert sich Fricke, „hin und her beratschlagt, das ganze Team: | |
Dürfen wir das? Müssen wir das?“ Letztlich siegte die Einsicht in die | |
Verpflichtung, auch solch eine Nachricht zu überbringen - bestmöglich | |
eingebettet in einen musikalischen und redaktionellen Rahmen. | |
Die Erfolgssendung ins Fernsehen zu verlegen, war für den NDR nie ein | |
Thema. Heiligabend sei, so die Redaktion, in den Familien ein Radiotag. | |
Auch heute noch. So sitzen auch in diesem Jahr wieder viele tausend | |
Matrosen, Stewards, Offiziere und Kapitäne, Menschen aller Nationalitäten | |
am Radio zusammen und hoffen darauf, dass ein kleines Stück heimischen | |
Wohnzimmers über den Äther kommt. Gleichzeitig wird die Sendung | |
aufgezeichnet und an andere Schiffe mit schlechterer Empfangsanlage | |
weitergesendet. Herbert Fricke hat Recht: „Wir sprengen Grenzen!“ | |
Sendehinweis: Heiligabend um 20.05 Uhr (bis 22.00 Uhr) über NDR Info und | |
NDR 90,3. Via Astra-Satellit analog 11.582 GHz Horizontal, Tonfrequenz 7.74 | |
oder digital-Radio. Im Internet unter [1][www.ndr-info.de] per Live-Stream. | |
24 Dec 2009 | |
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## AUTOREN | |
Oliver Schmidt | |
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