# taz.de -- Musiktage in Donaueschingen: Problemfall Orchester | |
> Von entkorkten Mundstücken bis zu Orchestern mit staatstragendem Format - | |
> am Wochenende endeten die Donaueschinger Musiktage. | |
Bild: Schlagzeuger Dierstein spielte auf den Donaueschinger Musiktagen | |
DONAUESCHINGEN taz Psychoakustik ist, wenn man sich nicht wohl fühlt, | |
obwohl man Musik hört. Wenn eine Instrumentalistin des Ensembles plötzlich | |
einen Text aus Kinderhand deklamiert und ins Albtraumhafte überdehnt, wenn | |
ein ungut schwebender, elektronischer Klang dazu unaufhaltsam aus der Tiefe | |
emporklettert, dann kann es schon mal passieren, dass sich das Nackenhaar | |
gegen die Musik empört. Francois Sarhan heißt der Komponist, der die | |
Befindlichkeiten des Publikums derart herausfordert. | |
Nicht besser meint es Simon Steen-Andersen aus Dänemark mit seinen Hörern. | |
Das aggressive Rauschen und das hochfrequente Fiepen, mit denen die | |
modernste Technik einem Fehler Ausdruck verleiht und mit denen der | |
Komponist sein Trio samt Video und Live-Elektronik flankiert, verbreiten | |
Argwohn und Unbehagen. Das Marimbaphon wird geblasen, nicht geschlagen. Die | |
Klarinettistin entkorkt das Mundstück und durchpustet die Bohrungen ihres | |
Instruments. Mit mikroskopischen Kameras werden dazu Augen, Lippen und | |
Handballen und dann aber auch der Notentext selbst mit einer an Obszönität | |
grenzenden Vergrößerung gespiegelt. Ein Masochist, wer es mag, sagen die | |
einen. Katharsis, rufen die anderen. | |
Es sind junge, unbekannte Komponisten wie Sarhan und Steen-Andersen, wegen | |
denen man Jahr für Jahr zu den Donaueschinger Musiktagen fährt. Die | |
Irritation ist, etwas überspitzt formuliert, der Stachel der Avantgarde. | |
Sie entsteht, wo die Musik Situationen schafft, die die musikalische Räson | |
unterlaufen, die sich nicht an den Gepflogenheiten der Kunst abarbeiten. | |
Das soll natürlich nicht heißen, das nur dort, wo der Hörer sich eine | |
akustische Backpfeife abholt, interessante Musik zu hören ist. James | |
Saunders schreibt verhalten und ohne jede Emphase. Die Instrumentalisten | |
sperren sich gegen den Ton. Mit einer Stoppuhr an des Dirigenten statt, mit | |
Tröten und Diktiergeräten, die den ohnehin brüchigen Ensembleklang | |
begleitend unterwandern, verliert sich das Ensemble Modern in einer | |
filigranen, melancholischen, seltsam statischen Klanglandschaft. "#211007" | |
heißt das Stück, das, so sieht das Werkkonzept es vor, nur am vergangenen | |
Sonntag erklungen ist und danach nie wieder zu hören sein wird: auch | |
dadurch erteilt Saunders dem herkömmlichen, sich am Meisterwerk | |
orientierenden Diskurs eine Absage. | |
Francesco Filidei reflektierte, um ein letztes Beispiel zu nennen, den | |
Überdruss eines vom Computer geprägten Alltags, indem er die Musiker des | |
ensemble recherche groovende Rhythmen auf Computertastaturen trommeln ließ | |
und die Musikinstrumente nur in Form verschraubter Torsos vor ihnen liegen, | |
und treibt sie dieser Eskapismus abschließend auch noch zu einer ebenso | |
albernen wie herzlichen Flamenco-Einlage. | |
Dass Material und Form bei einigen dieser Werke auseinander laufen, dass | |
Bögen im Nichts versanden, dass interessante Konzepte bestenfalls | |
provisorisch umgesetzt werden, all das sieht man jüngeren Komponisten gerne | |
nach. Ihr Verdienst ist es, sich über die Selbstverständlichkeiten des | |
Betriebs hinwegzusetzen und den musikalischen Erfahrungshorizont zu | |
aktualisieren. | |
Das kann man von den Komponisten älteren Jahrgangs leider nicht immer | |
behaupten. Younghi Pagh-Paan, Klaus Huber und Hans Zender, alles verdiente | |
Meister, die der Musik in den Siebziger- und Achtzigerjahren wichtige | |
Impulse verliehen haben, hinterließen einen blassen Eindruck. Weder konnte | |
man sich für die Vertonung der "lateinischen Texte aus den Briefen des | |
zweiten koreanischen Priesters Yang-Eop Choe" begeistern, die Pagh-Paan in | |
ein Zemlinksy-haftes Streichergewand hüllte, noch war man gewillt, den | |
nunmehr xten euro-arabischen Exkursionen Klaus Hubers Folge zu leisten, die | |
mit erhobenem Zeigefinger zu Frieden und Toleranz mahnten. Hans Zenders | |
"Logos - Fragmente" schließlich erstickte schier an dem ihm offenbar durch | |
nichts auszuredenden Willen, Großes zu schaffen: bedeutungsschwere | |
Bibeltexte, ein raunendes Orchester. | |
Das Urteil lastet schwer, denn während das Experimentelle oft im | |
kammermusikalischen Rahmen durchgearbeitet wurde, waren diese drei | |
Kompositionen Aufträge für Orchester von staatstragendem Format. Und gerade | |
die Orchesterwerke verleihen den Donaueschinger Musiktagen seit je ihren | |
Glanz. Es ist also, sofern man das Festivalkonzept nicht grundsätzlich in | |
Frage stellen möchte, keineswegs hinzunehmen, dass die Königsdisziplin der | |
klassischen Musik vor die Hunde geht. | |
Nun ist das Orchester, als Dispositiv institutioneller Gediegenheiten, | |
längst ein Problemfall. Komponisten, die nicht gegen dieses Dispositiv | |
anarbeiten, scheitern regelmäßig daran. Es ist dem französischen | |
Komponisten Mark André deshalb hoch anzurechnen, dass er orchestrale | |
Rhetorik vermeidet, ohne den Apparat deshalb gleich aus den Angeln zu | |
heben. Mit brutalen Streicherpizzikati, die Schicksalsschlägen gleichen, | |
mit zerlaufenden, fast unartikulierten Geräuschpartien und hartnäckig auf | |
Metallplatten wütenden Schlagzeugern verwandelte André das Klangbild in | |
eine so wüst wie erhaben daliegende Landschaft. Dass seinem Stück " auf " | |
schließlich sogar den Preis der SWR-Orchestermusiker, die das Stück | |
uraufführten, zuteil wurde, stimmt versöhnlich. | |
24 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Björn Gottstein | |
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