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# taz.de -- Montagsinterview mit Heizungsablesern: "In manchen Wohnungen geht's…
> Die Ableser Christian Schmeling und seine Frau Ivonne haben viel gesehen:
> Drogen auf dem Couchtisch, Dildos im Bad, Wohnungen von Promis - aber
> auch viel Armut und Einsamkeit.
Bild: "Wir stumpfen mit den Jahren auch ab", sagt Ivonne Schmeling.
taz: Frau Schmeling, Herr Schmeling, Sie haben Zutritt zu fremden Wohnungen
und Einblick in die unterschiedlichsten Milieus. Was bekommen Sie bei Ihrer
Arbeit als Ableser zu sehen?
Ivonne Schmeling: Armut, Reichtum, alle sozialen Schichten.
Christian Schmeling: Während der Ablesezeit sind wir in etwa 80 Wohnungen
pro Tag. Sie könnten mich in eine Wohnung stellen, ohne dass der Mieter da
ist, und ich könnte Ihnen sagen, ob Russen, Türken oder Deutsche dort
wohnen.
Woran erkennen Sie das?
Christian Schmeling: Bei den Russen müssen die Möbel immer glänzend
lackiert sein und alle haben Riesenfernseher. Bei den Türken sieht man
schwere Gardinenstoffe und große Sessel mit Gebamsel dran. Wenn ich wählen
kann zwischen einer Wohnung von deutschen oder türkischen Mietern, würde
ich die türkischen vorziehen.
Warum kommen die besser weg als die deutschen Mieter?
Christian Schmeling: Weil die zu 90 Prozent picobello sauber sind. Und Sie
finden keine Haustiere bei den Türken. Das ist auch ein Vorteil.
Und bei den Deutschen sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa?
Ivonne Schmeling: Oft passiert es, dass deutsche Frauen die Tür aufmachen,
die sehr nett angezogen sind - aber in den Wohnungen geht es drunter und
drüber. Außen hui und innen pfui.
Christian Schmeling: Es gibt auch Unterschiede zwischen dem Ost- und
Westteil der Stadt. Im Osten gibt es viele Hausfrauen um die 50, bei denen
alles picobello ist. Bei 50-Jährigen im Westen, die besser situiert sind,
liegt schon mal Staub und man sieht zum Beispiel an der Golfausrüstung,
dass die mehr Wert auf Freizeitgestaltung legen.
Erleben Sie viel Armut?
Christian Schmeling: Oh ja. Ein Klassiker ist der: Eine korpulente Frau
öffnet die Tür zu einer großen Wohnung, wo vier, fünf Kinder rumspringen,
Mann und Frau die Bude voll quarzen und die Kinder die Eltern nur vor dem
Fernseher erleben. Frisches Bier ist immer da, aber keine frischen Laken.
In solchen Wohnungen interessieren die Mieter die Heizkosten nicht, weil
Vater Staat sie zahlt.
Das klingt nach Dokusoaps im Privatfernsehen, nach
"Unterschichtenfernsehen".
Christian Schmeling: Es ist genau so, als wenn man RTL 2 guckt. In 90
Prozent der Hartz-IV-Wohnungen laufen all diese Serien.
Haben Sie viel mit Verwahrlosung zu tun?
Ivonne Schmeling: Bis vor fünf Jahren gab es eindeutig mehr Messiewohnungen
als jetzt. Aber oft halte ich die Luft an, weil es so stinkt, und springe
schnell durch die Wohnungen. Es sind nicht nur die Mieter, die abstumpfen.
Wir stumpfen mit den Jahren auch ab. Gerade gestern hatte ich eine Wohnung
von einem jungen Mann, da hätte ich sofort den Kammerjäger holen können.
Warum haben Sie das nicht gemacht?
Ivonne Schmeling: Ich bin nicht die Heizkostenpolizei. Nur auf
ausdrücklichen Wunsch der Hausverwaltungen gebe ich solche Informationen
weiter.
Was dürfen Sie, was müssen Sie Hausverwaltungen oder Behörden melden?
Christian Schmeling: Aus Datenschutzgründen hat uns das, was wir sehen,
nicht zu interessieren. Klar werden Gewerberäume auch schon mal als
Wohnräume genutzt. Aber das geht uns nichts an. Genauso wenig, wenn ein
Mieter sich über den Geruch aus einer Nachbarwohnung beschwert und von uns
wissen will, was da los ist. Wenn ich aber sehe, dass ein Kind nicht einmal
eine eigene Schlafstätte hat, informiere ich den Auftraggeber, dass ich das
Jugendamt einschalte.
Ivonne Schmeling: Wenn ich verwahrloste Kinder sehe, rufe ich auch das
Jugendamt an. Das habe ich bisher zweimal gemacht. In einem Fall wurde
einer Frau das Kind weggenommen und sie musste die Wohnung räumen. Aber es
gibt auch Fälle, bei denen jemand vom Jugendamt kommt, mit Anmeldung, die
Wohnung kurzzeitig auf Vordermann gebracht wird, aber dann alles so
weitergeht wie vorher.
Wie begegnen Ihnen die Themen Einsamkeit und Alter?
Ivonne Schmeling: Es gibt sehr viele einsame Menschen, die niemanden zum
Reden haben und sich freuen, wenn wir kommen. Ich erinnere mich noch gut an
eine alte Dame, bei der der Fernseher mit einem Tuch abgedeckt war. Auf
meine Frage, ob sie nicht mehr fernsehe, sagte sie, dass sie nur noch auf
den Tod warte. Das ging mir sehr an die Nieren.
Bleibt bei Ihrer Arbeit Zeit für ein Schwätzchen?
Ivonne Schmeling: Wenn jemand weint, nimmt man ihn mal kurz in den Arm.
Gerade bei älteren Leuten steht schon mal Kaffee und Kuchen da, wenn wir
kommen. Diese paar Minuten nehmen wir uns.
Ist Ihnen noch irgendetwas Menschliches fremd?
Christian Schmeling: Nö. Ich hatte mal einen Mieter, der Damenschlüpfer
sammelte. Die hingen überall an den Wänden und an den Lampen. Außerdem
hingen noch drei Armbrüste an der Wand. Es ist wirklich unglaublich, was es
alles gibt. Weil wir ja Aushänge in den Häusern machen mit den
Ableseterminen, sehen das auch Leute, die ebenfalls in die Wohnungen wollen
und die wir dann loswerden müssen: Zeugen Jehovas, Versicherungsvertreter,
Telefonanbieter.
Ivonne Schmeling: In Badezimmern stehen oder liegen viele Dinge herum, die
nur für den bestimmt sind, der in der Wohnung wohnt. Benutzte Damenbinden,
Kondome, Dildos mit der Vaseline daneben. Einmal machte mir ein junger Mann
im Bademantel die Wohnungstür auf. Ich las ab und drehte mich um, da stand
er plötzlich nackt hinter mir.
Was haben Sie gemacht?
Ivonne Schmeling: Ich habe mir das Protokoll unterschreiben lassen - und
bin zack raus.
Christian Schmeling: In Schöneberg, wo viele Homosexuelle wohnen, sieht man
schon mal gynäkologische Stühle im Schlafzimmer. Oder: Mir hat mal ein Mann
die Tür aufgemacht und plötzlich hörte ich Absatzschuhe hinter mir
klackern. Ich drehte mich um und da stand der Mann als Frau da. Aber das
ist okay. Wir lesen ja nicht nur in Wohnungen und Büros ab. Man läuft auch
mal mit der Taschenlampe durch ein Pornokino und sucht die Heizung. Wenn in
einem Bordell ein Zimmer gerade belegt ist, müssen wir schon mal warten.
Ivonne Schmeling: Und wenn wir eine Viertelstunde später wieder kommen und
das Zimmer ist wieder belegt, haben wir Pech.
Warum sind Sie Ableser geworden?
Christian Schmeling: Der Schritt vom Sanitärmonteur zu den Wasserzählern
war klein. Wie so ein beruflicher Lebensweg eben ist, nimmt er Ausfahrten,
die nicht geplant sind. Ein sehr guter Freund machte mich mit diesem Metier
bekannt und nach Rücksprache mit der Familie wagte ich den Schritt in die
Selbstständigkeit.
Ivonne Schmeling: Die Aufträge wurden jährlich mehr, da lag es nahe, dass
ich meinen Mann unterstütze.
Was haben Sie aus all den Erfahrungen, die Sie in den Wohnungen von fremden
Leuten gemacht haben, über die Menschen und die Gesellschaft gelernt?
Christian Schmeling: Das soziale Miteinander wird immer weniger. Ein
Beispiel: Der Schlüssel wird häufig nicht mehr beim Nachbarn hinterlegt,
wie es früher üblich war - weil man ihn nicht kennt. Oder nehmen wir das
familiäre Miteinander: In den türkischen Familien sind "die Alten" fest
integriert. Das ist bei den Deutschen undenkbar.
Wenn Sie ein Buch schreiben würden über Ihre Erlebnisse, welchen Titel
würde es haben?
Ivonne Schmeling: "Treppenterrier".
Christian Schmeling: "Zutritt nicht zumutbar".
Man liest immer mal wieder von Dieben, die sich als falsche Ableser Zutritt
zu Wohnungen verschaffen wollen. Wurden Sie schon einmal beschuldigt, etwas
gestohlen zu haben?
Ivonne Schmeling: Es gab Situationen, wo uns unterstellt wurde, wir hätten
Geld oder Schmuck weggenommen. Es hat sich aber immer geklärt.
Christian Schmeling: Die meisten Wasserzähler sind im Bad. Wenn Mieter
Goldringe und Armbänder rumliegen lassen, bitte ich sie, die wegzunehmen.
Manchmal liegt auch Geld auf der Heizung. Ich glaube, die Leute machen das
absichtlich.
Warum sollten sie das machen?
Ivonne Schmeling: Um zu sehen, ob wir es wegnehmen oder nicht.
Wie begegnet Ihnen das Thema Drogen?
Christian Schmeling: In Friedrichshain und Kreuzberg riechen wir oft den
verbrannten Tannenbaum.
Was meinen Sie mit Tannenbaum?
Christian Schmeling: Marihuana riecht wie verbrannter Tannenbaum. Die Szene
hat sich von Prenzlauer Berg nach Friedrichshain verlagert, und jetzt sieht
es so aus, als wenn es nach Lichtenberg rüberschwappt. Ich werde mein Leben
lang nicht vergessen, wie ich einmal in einer Küche war, wo ein Tisch
abgebaut wurde, um an ein Ablesegerät zu kommen. Da rieselte nur so weißes
Pulver runter - und das war kein Mehl!
Ivonne Schmeling: Heroin erkenne ich an den verdrehten Augen und der
merkwürdigen Körperbewegung. Bei Koks sind die Augen sehr groß, die
Menschen sehr nervös und sie können auch aggressiv werden. Vor drei Wochen
hatte ich einen Termin bei jungen Mietern in Hellersdorf. Die waren total
krass drauf. Der Mieter hatte eine Couchgarnitur vor einer Heizung stehen
und überall lagen Drogenutensilien rum. Ich bat den Mieter, die Couch
wegzuschieben. Aus versicherungstechnischen Gründen dürfen wir nichts
anfassen oder selber wegräumen. Der Mieter warf wütend ein Kissen durch die
Gegend und beleidigte mich, so dass sich mein Kollege neben mich stellte.
Ich habe die Ablesung abgebrochen und bin raus.
Wenn die Energiepreise steigen, bekommen Sie dann schon mal den Unmut der
Mieter zu spüren?
Christian Schmeling: Obwohl wir nur eine Art Vermittler sind, sind wir oft
die Bösen. Am Anfang habe ich mich persönlich beleidigt gefühlt, wenn
jemand seinen Unmut über angebliche Falschablesungen äußerte. Das ist jetzt
nicht mehr so. Aber es gibt schon Situationen, wo ich mich zusammenreißen
muss. Einmal wollte ich eine Wohnung verlassen, als der Mieter sich
weigerte, die Protokolle zu unterschreiben. Er wurde aggressiv, hielt die
Tür zu und ich musste richtig laut werden. Das Schärfste war, dass an der
Tür stand, dass der Mieter Rechtsanwalt war.
Ivonne Schmeling: Wir können die Mieter nur an die Hausverwaltung
verweisen. Aber es gibt auch Mieter, die rabiat, stinkig oder zickig
werden. Mittlerweile bin ich nicht mehr allein unterwegs und habe
Pfefferspray dabei. Christian, erzähl doch mal die Geschichte mit dem
Mieter und der Pistole.
Christian Schmeling: Das waren ältere Herrschaften in Kreuzberg und es war
nach sieben Uhr am Abend. Der Mieter machte die Tür auf und ich kiekte in
ein Rohr! Später stellte sich heraus, dass es eine Gaspistole war. Aber das
weiß man ja vorher nicht. Die waren wohl sehr ängstlich.
Die Technik hat sich so entwickelt, dass es mittlerweile auch Ablesungen
per Funk gibt und Sie nicht mehr in alle Wohnungen rein müssen.
Christian Schmeling: Funk ist für die Mieter schon das Beste. Nur noch etwa
15 Prozent der Wohnungen haben Verdunstungsröhrchen, der Rest sind
elektronische Heizkostenverteiler und Geräte mit Funk, die wir von der
Straße aus ablesen. Aber die Geräte müssen weiter gewartet und
ausgewechselt werden.
Ivonne Schmeling: Ich fände ein Verhältnis von 50:50 gut. Der menschliche
Kontakt macht mir schon Spaß.
Was passiert, wenn ein Mieter trotz des angekündigten Ablesetermins nicht
zu Hause ist?
Christian Schmeling: Treffen wir einen Mieter nicht an, bekommt er einen
zweiten Termin, kostenlos. Ist der Mieter beim zweiten Mal nicht da, wird
der Verbrauch geschätzt. In dem Moment, wo es ums Geld geht, geht es bei
vielen dann doch. Wer eine Waschmaschine zwischen 16 und 19 Uhr geliefert
bekommt, ist ja auch zu Hause.
Was können Sie über die Wohnungen von Prominenten und Reichen erzählen?
Christian Schmeling: Wir lesen natürlich auch bei Politikern, Managern,
Schauspielern, Sportlern ab. Kurz nach der letzten Bundestagswahl zum
Beispiel waren wir bei einer grünen Spitzenpolitikerin, die erzählte, wie
schwierig der Wahlkampf war. Da kiekt man schon mal ein bisschen genauer
hin, ob das Waschmittel öko ist.
Und?
Christian Schmeling: Da war überall ein Frosch drauf. Oder: Ich war mal bei
einer Judo-Olympiasiegerin, deren Goldmedaille aus Athen ich in die Hand
nehmen durfte. Das war schon ein Erlebnis der besonderen Art.
Was machen Sie, wenn Sie nach 80 fremden Wohnungen zu Hause sind?
Ivonne Schmeling: Wir reden darüber, was wir erlebt und gesehen haben. Ich
komme oft nach Hause und denke: Eigentlich haben wir es gut.
Christian Schmeling: So isses.
6 Feb 2012
## AUTOREN
Barbara Bollwahn
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