# taz.de -- Montagsinterview: Die Puppen-Doktorin: "Männer packen als erstes i… | |
> Rosamund Blanke näht, schraubt und füllt alle Teddys und Puppen, die ihr | |
> in ihre Werkstatt gebracht werden. Die 69-Jährige hat beobachtet: | |
> Heutzutage bekennen sich auch Männer zu ihrem Kuscheltier. | |
Bild: Rosy Blanke in ihrer Werkstatt | |
taz: Frau Blanke, Sie … | |
Rosamund Blanke: Erst einmal schönen Dank, dass Sie gekommen sind und sich | |
für die Puppenklinik interessieren. Irgendwann stirbt das ja aus. Es gibt | |
immer mehr Plastik, Plastik, Plastik. Dabei sind die alten Teile später | |
alle Raritäten. | |
Haben Sie vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch nehmen. | |
Ich wollte nur eine kleine Einleitung haben, bevor wir auf den Teddy hier | |
zu sprechen kommen, an dem ich gerade arbeite. | |
Was Sie Teddy nennen, ist ein trauriger Haufen einzelner Arme und Beine, | |
ein schrecklich zugerichteter Körper und herausgerissenes Fell. In was für | |
ein Scharmützel ist der denn geraten? | |
Das ist ein Beziehungsfall. | |
Bitte? | |
Ein ganz, ganz doller Beziehungsschaden. | |
Was meinen Sie? | |
Ich meine Wutausbrüche und Streitigkeiten. Ein älteres Ehepaar hat sich | |
gestritten. Die Frau hat den Teddy ihres Mannes so zerstört. Weiß der | |
Teufel, was vorgefallen ist. Was da für eine Kraft dazu gehört, dass alles | |
aus dem Körper herauszufetzen! So was hatte ich in 25 Jahren schon öfter. | |
Aber dass eine gestandene Person, eine Dame, so wütend sein kann, dass sie | |
einen Teddy derart auseinanderreißt, das hat mir schon die Sprache | |
verschlagen. Der Teddy war schon im Mülleimer gelandet, da hat der Mann ihn | |
herausgeholt und zu mir gebracht. | |
Wie lautet Ihre Diagnose? | |
Eindeutig Totalschaden. | |
Was können Sie machen? | |
Jetzt kommen das Können, das Wissen und die Liebe. Ich muss alles mit der | |
Nähmaschine unterlegen und danach schön befestigen. Ich kriege das schon | |
hin. Je defekter die Sachen sind, umso mehr Spaß macht es mir, sie wieder | |
zum Leben zu erwecken. Das ist wirklich so. | |
Was wird das Ehepaar der Streit auf Kosten des Teddys kosten? | |
Das ist schon ein wahnsinnsteures Vergnügen, zwischen 150 und 200 Euro. | |
Vier, fünf Stunden brauche ich ganz sicher. Aber das ist noch nicht einmal | |
der schwerste Fall. | |
Sondern? | |
(Sie holt einen Karton mit den kläglichen Resten eines Teddys: ein loser | |
Kopf ohne Gesicht, vom Körper ist mehr oder weniger nur noch die Füllung | |
da) Diesen Teddy hat die Frau eines Arztes gebracht. Ich bin gut, doch | |
Wunder kann ich auch nicht vollbringen. Der Körper hat sich total | |
aufgelöst. Ich kann aber ein Stück vom Kopf retten, das Gesicht | |
wiederherstellen und einen neuen Körper machen. | |
Warum bringen die Menschen solche Bruchstücke ihrer Kindheitserinnerungen | |
zu Ihnen? | |
Pure Nostalgie. Die Frau mit dem total kaputten Teddy würde ja nicht so | |
viel Geld investieren, wenn sie nicht beim Aufräumen im Keller gesehen | |
hätte, wie ihr Mann reagiert hat, als sie ihn gefunden haben. "Mein Teddy, | |
mein Teddy", hat er gesagt. Er ist Doktor, aber er kann nichts für den | |
Teddy tun. Der Teddy hatte noch die gestrickten Sachen an, die die Mutter | |
gemacht hatte. Die habe ich schon gewaschen. Und die Originalaugen sind | |
auch noch da. Man wird fast gar nicht merken, dass der Körper neu ist. | |
Dann verbringen Sie kleine Wunder? | |
Ja, und wissen Sie, was das Schönste ist? Das Schönste sind die Augen von | |
den Kunden und wenn sie beim Abholen sagen: "Das gibt's ja gar nicht, das | |
gibt's ja gar nicht." Das ist es, was mir so viel Spaß macht. Hier ist die | |
Welt noch in Ordnung. | |
Wie kamen Sie dazu, eine Puppen- und Teddyklinik zu eröffnen? Sie sind ja | |
Einzelhandels- und Speditionskauffrau. | |
Das habe ich nicht lange gemacht. Mein Mann und ich haben eine Weile in | |
München gelebt, und als wir zurückkamen nach Berlin, hatte ich keine Lust | |
mehr darauf. Es war mir zu trocken, für eine Spedition Strecken | |
auszurechnen. Da sagte mein Mann: "Schatz, mach, was dir Spaß macht." Da | |
beschloss ich, Möbel zu restaurieren. Mein Vater war Möbelrestaurator und | |
ich bin damit groß geworden. Ich habe das gerne gemacht, weil man sieht, | |
was man mit den Händen schafft. Dann habe ich in der Sonnenallee in | |
Neukölln einen Laden mit antiken Möbeln eröffnet und da waren auch immer | |
Puppen dabei. 1986 kam eine Dame aus Leipzig auf mich zu und sagte, wenn | |
ich so gut Möbel restaurieren kann, dann muss ich auch Puppen restaurieren | |
können. Die Frau hatte eine riesengroße Puppenklinik und viele, viele, | |
viele Teile. Da habe ich gesagt: "Ja, kaufe ich." So habe ich mich auf | |
Puppen und Teddys spezialisiert. | |
Wann müssen Sie sagen, dass eine Reparatur unmöglich ist? | |
Gar nicht. Sonst würde ja mein Spruch, der groß am Laden steht und auch im | |
Internet, doch nicht stimmen! Da heißt es: "Bei mir ist noch kein Patient | |
gestorben." Nee, nee, es wird so lange probiert, bis ich den Teddy oder die | |
Puppe gerettet habe. Ich habe noch nie jemand weggeschickt. | |
Mit was für Werkzeugen arbeiten Sie? | |
Ich arbeite seit fast 25 Jahren mit den gleichen Werkzeugen. Und wehe, da | |
ist was weg! Das ist ziemlich überschaubar. Da sind drei verschiedene | |
Zangen, eine Wehenklemme - wie beim Arzt -die brauche ich, um Gummis | |
aufzuziehen, eine Pinzette, Schraubenzieher, Pinsel. Mit den schweren | |
Werkzeugen arbeitet mein Mann, wenn was zu schrauben, feilen oder bohren | |
ist. | |
Ach, Ihr Mann hat es auch mit Puppen und Teddys? | |
Alleine würde ich das gar nicht mehr schaffen. Mein Mann ist Bauingenieur, | |
und als vor zehn Jahren die Firma kaputtging, in der er gearbeitet hat, | |
schlug ich ihm vor, die Puppenklinik zusammen zu machen. | |
Und er war sofort dafür zu haben, von der Baustelle in die Puppenklinik zu | |
wechseln? | |
Natürlich nicht. Machen Sie mal aus einem Bauingenieur einen Puppendoktor! | |
Über fünf Jahre hat er sich gesträubt. Erst hat er es niemandem gesagt und | |
ist im Verborgenen geblieben. Jetzt ist er stolz auf das, was er kann. | |
Seit wann sammeln Sie Puppen? | |
Seit 1961. Als mein Vater sein Antiquitätengeschäft hatte und in den 60er | |
Jahren Wohnungsauflösungen gemacht hat, landeten die Puppen immer bei mir. | |
Wie viele Puppen haben Sie im Laufe der Zeit angesammelt? | |
Ich hatte 800 und habe im Jahr 1998, auch hier in Wilmersdorf, ein | |
Puppenmuseum eröffnet. Nach sieben Monaten war aber Schluss. Es hatte | |
reingeregnet und der Besitzer wollte nichts machen. Als ich einen schweren | |
Herzfehler bekam, sagte mein Mann: Schluss jetzt. Den größten Teil der | |
Puppen haben wir nach Amerika und Japan verkauft. Vieles haben wir auch | |
eingelagert, was ich nach und nach verkaufe. Man segelt nur einmal um die | |
Welt. Vor dem Museum hatte ich meinem Mann versprochen, alle Puppen aus der | |
Wohnung zu nehmen. Es gab ja kaum noch Platz zum Sitzen. | |
Sind die Puppen und Teddys für Sie mehr als nur Spielzeuge? | |
Ja sicher! Für mich sind sie Patienten, die ich retten will. Mir geht es | |
immer um die Rettung. | |
Ernährt die Puppenklinik Sie und Ihren Mann? | |
Reich werden wir nicht, aber wir können davon leben. Wir sind glücklich und | |
gesund. Aber Sie dürfen nicht vergessen, wir stehen auf drei gesunden | |
Beinen: Wir haben die Puppen- und Teddyklinik, das Antiklädchen mit drin | |
und dann haben wir den An- und Verkauf. | |
Wer kommt zu Ihnen? | |
Überwiegend Erwachsene. Und wissen Sie, was mir vor vielen Jahren | |
aufgefallen ist? Männer sind sensibler geworden. Das hat sich zum Positiven | |
entwickelt. Früher haben die Männer, die mit etwas hierher kamen, immer | |
gesagt, das Teil würde ihrer kleinen Schwester oder der Mutter gehören. | |
Heute stehen sie dazu und sind stolz, dass man ihnen zuhört und sie sagen | |
dürfen, dass das ihr Teddy ist. | |
Wie erklären Sie sich das? | |
Na ja, ich bin immer sehr direkt. Wenn ein Teddy ganz platt ist, frage ich, | |
ob sie immer noch darauf schlafen. Bei Trennungen habe ich die Erfahrung | |
gemacht, dass das Erste, was Männer mitnehmen, ihr Teddy ist oder ein | |
Stofftier, das sie immer geliebt haben. Ich höre viele, viele, viele | |
Geschichten. Und auch hier spielt die Nostalgie eine Rolle. Das Leben ist | |
so hart, und früher haben die Kinder sich immer an etwas festhalten können. | |
Daran erinnern sich gerade Männer - Manager, Weltumsegler oder Piloten -, | |
die meistens viel Stress um die Ohren haben. Da reicht manchmal ein Blick, | |
wenn sie auf ihren Teddy gucken, dass sie ruhiger werden. | |
Also sind Sie nicht nur Doktorin, sondern auch Psychologin? | |
Das Wichtigste hier ist überhaupt die psychologische Seite. Wenn man auf | |
einen Kunden nicht eingehen kann, lässt der seine Sachen nicht hier. | |
Welche war die größte Herausforderung, vor der Sie standen? | |
Ich erzähle Ihnen mal mein schönstes Erlebnis. Das ist eine sehr zu Herzen | |
gehende Geschichte, die wunderbarste und traurigste zugleich. Das war ganz | |
am Anfang, als ich die Puppenklinik noch in der Sonnenallee hatte. Da | |
fragte der internationale Vermisstensuchdienst, ob ich helfen könnte. Die | |
bereiteten eine Zusammenführung vor von einer Mutter, die 90 Jahre alt war, | |
und ihrer Tochter. Sie hatten ein Foto von der Tochter als Kind, auf der | |
sie eine Puppe im Arm hatte. Wochenlang bin ich über die Flohmärkte | |
gezogen, um einen ähnlichen Stoff zu finden, um diese Puppe ganz wieder | |
herzustellen, damit sie zur Vereinigung da war. Das war die schönste Sache, | |
die ich je gemacht habe. | |
Ist es die Ausnahme, dass Organisationen oder Firmen zu Ihnen kommen? | |
I wo. In allen Puppenabteilungen aller Berliner Kaufhäuser liegen meine | |
Flyer. Die Firmen reparieren so was ja gar nicht mehr. Als das Hotel | |
"Estrel" öffnete, habe ich eine Kochpuppe gemacht. Theaterleute und | |
Filmrequisiteure brauchen auch immer irgendwas. Einmal habe ich für eine | |
Fernsehproduktion eine Voodoo-Puppe gemacht, dann eine Hexe oder Rohlinge | |
aus Knete. Für ein Sprachinstitut habe ich mal Stofffiguren für | |
Englischsprachkurse gefertigt. Neulich habe ich für die "Soko Leipzig" | |
einen Teddy gemacht. Der Dieb brauchte etwas, wo er sein Geld verstecken | |
konnte. Da habe ich einen Teddy genommen und den Körper ausgehöhlt. Dann | |
habe ich ein Glas reingemacht und den Deckel in den Kopf, zum Auf- und | |
Zudrehen. Der Kommissar musste dann nur einmal drehen und schon fand er das | |
Geld. | |
Im vergangenen Jahr haben Sie mit dem Gedanken gespielt, die Puppenklinik | |
zu schließen. Wie kam's, dass Sie noch da sind? | |
Vom Alter her dachte ich, ich müsste kürzertreten. Ich habe eine | |
Daumensattelarthrose und das Nähen fällt mir schon schwer. Ich wollte eine | |
kleinere Werkstatt mieten und nur noch einen Tag arbeiten. Dummerweise habe | |
ich den Fehler gemacht, das vorher zu sagen. Das hat sich wie ein Lauffeuer | |
herumgesprochen und die Leute haben gesagt, die Puppenklinik trage zum | |
Kulturerhalt im Kiez bei, und sie haben Unterschriften gesammelt. Da habe | |
ich 14 Tage geheult und dann habe ich es mir anders überlegt. Gott seit | |
Dank lieben uns auch unsere Vermieter, die wollten uns auch nicht gehen | |
lassen. Wir haben den Mietvertrag um fünf Jahre verlängert. Ein Jahr ist | |
schon rum. Vier Jahre noch, und dann ist wirklich Schluss. | |
Gibt es einen Nachfolger, der die Puppenklinik übernimmt? | |
Nein. Mein Sohn war mal kurz dabei, doch das war nichts für ihn. Er ist | |
Lehrer. Meine Nichte, die ich einige Jahre angelernt habe, sollte | |
eigentlich den Laden übernehmen. Aber alleine geht das gar nicht. Mein Mann | |
und ich arbeiten zehn Stunden am Tag. | |
Wie ist für Sie die Vorstellung, dass es Ihre Puppenklinik eines Tages | |
nicht mehr geben wird? | |
Es macht mich sehr traurig, dass dieses Kulturgut verloren geht. Die | |
meisten Kinder heute haben nur noch Plastikspielsachen. Die Puppen sind so | |
furchtbar hart, dass ich denke, die kann man doch gar nicht lieb haben. | |
Aber die Kinder lieben sie trotzdem. Der Spruch von Käthe Kruse von 1905 | |
lautete: Kinder brauchen weiche Spielpuppen. Deswegen hat sie die ja | |
erfunden. Aber ich muss damit leben, dass es so ist, wie es ist. | |
9 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Barbara Bollwahn | |
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