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# taz.de -- Mit Gasmasken, Ketten und Teufelshörnern: Ein Wochenende in der Za…
> Je gruseliger das Aussehen, desto friedfertiger und liebenswürdiger die
> Besucher: Am Wochenende traf sich die Schwarze Szene beim Mera Luna
> Festival in Hildesheim
Bild: Nicht bunt, sondern in fröhlichem Schwarz: Mera Luna-BesucherInnen
HILDESHEIM taz | Der kurze Schreck lässt sich nicht vermeiden, als die drei
jungen Männer mit ihren weiß geschminkten Gesichtern, Teufelshörnern und
reptilienartigen Kontaktlinsen den Weg kreuzen. Hinter ihnen geht eine
ältere Frau im kurzen, schwarzen Petticoat, die ihren Begleiter – im
ledernen Ganzkörperanzug – an der Leine über das Gelände führt. Das laute
Grölen der nachfolgenden Gruppe klingt dumpf, was an ihren riesigen
Gasmasken liegen muss. Mode, Musik, Magie – von Freitag bis Sonntag war der
Hildesheimer Flugplatz ganz in Schwarz gehüllt. Über 20.000 Mitglieder der
Schwarzen Szene feierten beim M’era Luna Festival.
Die Schwarze Szene entstand in den 1980er Jahren aus den Überresten der
Punk-Bewegung, grenzte sich aber bald über das äußere Erscheinungsbild ab.
Anders als die Punks wollen die „Schwarzen“ meist eher vornehm, edel oder
gar aristokratisch daherkommen. In jedem Fall ist ihr Äußeres sorgfältig
inszeniert.
Inzwischen hat sich die Szene ausdifferenziert. Neben den klassischen, weiß
geschminkten Gothics sind Mittelalter-Anhänger und Metal-Fans, aber auch in
Neon-Schlaghosen feiernde, sogenannte Cyber anzutreffen. Jede Sub-Szene hat
ihre Eigenarten, dennoch verstehen sich die Festival-Gäste als Einheit und
eingeschworene Gemeinschaft.
Die Vielschichtigkeit der Szene zeigt sich auch in ihrer Musik. Von
düsterem Gothic-Rock von Bands wie Fields of the Nephilim über sanftere
mittelalterliche Klänge von Schandmaul bis zum Alternative-Rock von Placebo
ist beim M’era Luna alles dabei. Nur „Mainstream“ darf es auf keinen Fall
sein.
„Der Hauptgrund, warum ich als Jugendliche zu einem Teil der Schwarzen
Szene wurde, war die Abgrenzung von allem, was als normal galt“, sagt die
26-jährige Sarah. Dass das im Alltag nicht immer ein Vergnügen ist, kann
man ahnen, wenn sie erklärt, warum sie beim M’era Luna ist.
Dass man auf dem Festival wegen seiner äußeren Erscheinung keine
skeptischen Blicke erntet, ist einer der Gründe, warum sie sich hier
wohlfühlt. „Hier können wir uns kleiden und schminken, wie wir wollen. Es
zeigt mit Sicherheit keiner mit dem Finger auf dich“, sagt die
Architekturstudentin aus München. „Leben und leben lassen, darum geht’s“,
meint ihre Freundin Inga.
Neben den aufwändigen ästhetischen Selbstinszenierungen fällt die
Friedfertigkeit der FestivalbesucherInnen auf. Alkoholisierte Pöbeleien
oder handfeste Auseinandersetzungen scheint es in den drei Tagen nicht zu
geben. Die Besucher geben sich kontakt- und redefreudig, charmant und
humorvoll.
Ritter, Hexen, Vampire, Magier und Freunde von Lack, Latex und Leder:
Ausnahmslos alle reden gern und offen über sich und ihre Szene. Ihr
extravaganter Stil umfasst dabei weit mehr als nur Mode. Die Ästhetisierung
des Körpers geht Hand in Hand mit einem besonderen Lebensgefühl.
Man verweigert sich dem rationalen und hektischen Alltag und wünscht sich
eine Verzauberung des modernen Lebens. Hierfür haben sich die Mitglieder
der Schwarzen Szene ihre eigene Welt geschaffen – eine Welt, die sie selbst
bestimmen können und die für sie eine Heimat bietet, wenn der Alltag
oberflächlich und frustrierend wirkt.
Nimmt man sich Zeit, in diese andere Welt weit weg von sportlich-lässiger
Kleidung, Hornbrillen, Pragmatismus und Karrierebewusstsein einzutauchen,
zeigt sich, dass das Bild der Szene in der „Normalgesellschaft“ mit
Klischees überhäuft ist. Denn die schwarze Ästhetik wirkt auf viele
Menschen abschreckend. Und doch lässt sich der Mix aus Mode und die
düsterer Romantik am besten als tiefgründige Nachdenklichkeit verstehen.
Blutrünstige Satanisten sind hier jedenfalls nicht zu finden.
Bei aller Euphorie über die gemeinsamen Tage äußern die
FestivalbesucherInnen auch immer wieder Kritik an der Entwicklung der
Szene. Zu kommerziell sei sie geworden, zu nah am Mainstream. „Am besten zu
sehen ist die Entwicklung an der Band ,Unheilig‘. Früher waren die für uns
Ikonen“, sagt Sarah. „Dann machten sie ein bekanntes Lied – ,Geboren, um …
leben‘. Aber jetzt machen sie Popmusik, und die Teenies jubeln ihnen zu.“
Die Gäste werden nicht müde zu betonen, dass doch im letzten Jahr die Musik
auf dem Festival viel besser gewesen sei – und im vorletzten sowieso.
Mitglieder der Schwarzen Szene berichten, dass ihre Abgrenzung nicht
unbedingt als politischer Protest zu verstehen ist. Ihre
gesellschaftskritische Haltung führt eher zu Abschottung als zu politischem
Engagement.
Ein bisschen politisch wird das Festival dann aber doch, als ein paar junge
Männer mit schwarz-weiß-roten Shirts samt „Vaterland“-Aufdruck über das
Gelände spazieren. Hier stößt das Motto „Leben und leben lassen“ an seine
Grenzen. Die vereinzelte Unterwanderung durch Rechte ist kaum
Gesprächsthema; nur auf Nachfrage sagen die Gothic-Leute, sie seien
entschieden dagegen. „Die versuchen das Düstere für ihre Ideologie zu
benutzen. Das ist echt daneben“, sagt Zeltnachbar Bodo.
Der große Teil der Anwesenden will einfach nur friedliche Tage miteinander
verbringen. Die Bindung der Menschen an ihre Szene könnte dabei auch mit
der Altersstruktur der Feiernden erklärt werden. Viele Ü-40er und auch
einige Familien sind auf dem Gelände zu sehen. „Warum sollten wir unsere
Kinder nicht mitbringen?“, fragt ein in einen schwarzen Umhang gehüllter
Familienvater mit Irokesenschnitt. Lächelnd fügt er hinzu: „Hier geht’s
doch friedlicher zu als in der Grundschule.“
Sarah und Inga merken zwar am Sonntagnachmittag die Nachwirkungen ihres
selbst gemachten Erdbeer-Schnapses, sind aber dennoch glücklich über den
Verlauf des Festivals. Die Zeit des aufwändigen Stylings ist für sie ab
Montag erst einmal vorüber. „Morgen trage ich wieder Jeans, denn
mittlerweile weiß ich für mich, dass das Untertauchen in der Masse auch mal
ganz gut tut“, sagt Sarah.
14 Aug 2012
## AUTOREN
Frederik Schäfer
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