# taz.de -- Menschen wie Häuser | |
> ■ Lucia Moholy hat mit ihren Fotos das Bild des Bauhauses geprägt. In | |
> Berlin zeigt das Bauhaus-Archiv jetzt erstmals ihre zahlreichen | |
> unbekannten Portraits | |
Unbekannt sind ihre Bilder nicht. In den Fotografien von Lucia Moholy | |
begegnet man den vertrauten Konturen der Bauhaus- Schule in Dessau auf | |
Schritt und Tritt. Ob es sich um die luftigen Balkone am Atelierhaus oder | |
die hängende Glasfassade vor den Werkstätten handelt, ob die | |
Zeitschriftenablage im Direktorenzimmer von Gropius den stets dem Neuen | |
aufgeschlossenen Geist bekundet oder die Stahlrohrstühle von Marcel Breuer | |
ein befreites Raumgefühl verraten, ob es die schimmernde Eleganz und klare | |
Einfachheit der Kannen von Marianne Brandt oder Wilhelm Wagenfeld zu | |
bewundern gilt – Kenntnis erhielten Zeitgenossen und Kunstgeschichtler von | |
Bauhaus- Produkten und Bauhaus-Architektur oft zuerst durch die | |
Reproduktionsfotografie von Lucia Moholy. Hinter den berühmten Meistern | |
aber blieb die fleißige Propagandistin lange vergessen. | |
1923 war Lucia Moholy mit ihrem Mann Laszlo Moholy-Nagy ans Bauhaus | |
gekommen. Bis 1929 Walter Peterhans als Lehrer für Fotografie ans Bauhaus | |
gerufen wurde, war sie die einzige professionelle Fotografin der Schule. | |
Ausgebildet als Lehrerin, erfahren in der Lektoratsarbeit für Verlage und | |
an den lichttechnischen Experimenten ihres Mannes (Fotogrammen) beteiligt, | |
entwickelte sie bald ein publizistisches Programm für die Bauhausschule. | |
Während in den Bauhaus- Werkstätten Prototypen für die industrielle | |
Produktion entwickelt wurden, um den Alltag durch eine gut gestaltete | |
Massenproduktion zu reformieren, setzte Lucia Moholy auf die fotografische | |
Reproduktion als Mittel der visuellen Erziehung. Was nützte die Avantgarde | |
in Kunst und Technik ohne breite Vermittlung? Die sachliche Reproduktion | |
wuchs über eine bloße Dienstleistung hinaus: Durch sie erst erreichten die | |
Erfinder die Menschen, denen ihre Arbeit galt. | |
Doch mit der nüchternen Zurückhaltung, die Lucia Moholy in ihren | |
Bauhaus-Fotografien übte, verschwand sie zugleich als Autorin hinter der | |
abgelichteten Dingwelt. 1928 hatte sie mit Moholy- Nagy, von dem sie sich | |
bald darauf trennte, das Bauhaus verlassen. Als sie 1933 emigrierte, mußte | |
sie ihr Negativarchiv zurücklassen. Lange glaubte sie an einen endgültigen | |
Verlust, bis sie ihre Aufnahmen in amerikanischen Publikationen über das | |
Bauhaus wiederentdeckte. Dorthin hatte Walter Gropius einen großen Teil | |
ihrer Negative mitgenommen, über die er verfügte, ohne ihr Copyright zu | |
beachten. Erst in den sechziger Jahren konnte sie ihr Negativ-Archiv | |
wiederaufbauen, das nun mit dem schriftlichen Nachlaß in den Besitz des | |
Bauhaus-Archivs gelangte. | |
Die größte Ausstrahlung ihrer zwischen 1923 und 1930 entstandenen | |
Fotografien geht von den fast 100 Portraits aus. Obwohl Lucia Moholy | |
behauptete, „Menschen wie Häuser zu fotografieren“, springt aus den | |
Gesichtern von Lehrern, Ehefrauen, Besuchern und Schülern ein Funke über, | |
der den freundschaftlichen Geist und die gemeinsame Euphorie des Bauhauses | |
ahnen läßt. Die spröde Systematik, mit der sie ihr Gegenüber in Profil- und | |
En-face- Aufnahmen erfaßte, setzt eine vertraute Atmosphäre voraus. Am | |
schönsten ist die Serie über die Bauhäuslerin Otti Berger, jung und | |
lebhaft, der die Fotografin immer näher rückt. | |
Nach der Trennung von Laszlo Moholy-Nagy lebte Lucia mit Theodor Neubauer, | |
einem kommunistischen Reichstagsabgeordneten, bis zu dessen Verhaftung 1933 | |
zusammen. In dieser Zeit begann sie eine Geschichte der Fotografie zu | |
planen, die von einem emanzipatorischen Impuls getragen war. Die Fotografie | |
galt ihr wegen der Zugänglichkeit ihrer Technik und der Möglichkeiten der | |
Verbreitung als „demokratische Kunst par excellence“. In den fünfziger | |
Jahren forderte sie eine Theorie, die der Veränderung der menschlichen | |
Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeiten im Zeitalter wachsender | |
Bildinformation Rechnung trug. | |
Der Ausstellungskatalog, den Rolf Sachsse für das Bauhaus-Archiv | |
geschrieben hat, dokumentiert in Textauszügen ihr bildungspolitisches | |
Engagement. 1942 wurde sie Leiterin eines staatlichen Mikrofilmservices in | |
London, der aus der Notwendigkeit entstanden war, nationalsozialistische | |
Propaganda auszuwerten. Für die Unesco entwickelte Lucia Moholy ein | |
Programm der Mikroverfilmung von Bibliotheken, die auch den Aufbau | |
kulturhistorischer Archive in jungen Staaten erleichtern sollte. Eine | |
spröde Arbeit, die aber doch nicht schlecht zu dem ursprünglichen | |
Engagement der jungen Bauhaus-Fotografin paßt. Katrin Bettina Müller | |
„Lucia Moholy, Bauhaus-Fotografin“. Ausstellung im Bauhaus-Archiv Berlin | |
bis 17. April. Katalog 28 DM. | |
20 Feb 1995 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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