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# taz.de -- Mehr Rouge für Schweine
> SCHLAGLOCH VON HILAL SEZGIN Über die Pseudo-Transparenzoffensiven der
> Fleischindustrie
Das mit dem Pferdefleisch mal ganz beiseite. Schon seit ein, zwei Jahren
ist die Fleischbranche in Aufruhr. Negative Presse, Kritik an der
Massentierhaltung: In nahezu allen landwirtschaftlichen Fachzeitschriften
wird lamentiert, der gute Ruf sei in Gefahr. Das neue Mittel dagegen:
„Transparenzoffensiven“.
Der Bauernverband Schleswig-Holstein hat zum Beispiel kürzlich per Webcam
Bilder aus einer Ferkelaufzucht gezeigt. Sollte die Verbraucher beruhigen.
Hat aber nicht. Waaas, so eingequetscht müssen die Sauen da liegen? Es
hagelte entsetzte E-Mails. Blöd gelaufen.
## Lebensziel Schlachtung
Am anderen Ende des Schweinelebens: die Schlachtung. Dass die Idee der
„schonenden Schlachtung“ eben nur so eine Idee ist, hat eine Kleine Anfrage
der Grünen im Jahr 2012 ergeben. Die Fehler und Qualen in deutschen
Schlachthöfen sind immens. Seitdem hat der Verband der Fleischwirtschaft
„umfassende Leitfäden“ zur Schlachtung erstellt. Allerdings wollen sie
diese Leitlinien nicht bekannt geben. Mehrfach habe ich den Sprecher des
Verbands angeschrieben; aus zwei siebzigseitigen Dokumenten schickte er
endlich „Auszüge“ von je sechs Seiten, in denen von Schlachtung gar nicht
die Rede war. Schließlich schrieb ich, wenn er mir die Leitlinien nicht
zusenden wolle, müsse ich wohl schreiben, dass man sie mir nicht zusenden
wolle. Was ich hiermit getan habe.
Auch der Landesverband der Niedersächsischen Geflügelwirtschaft hat eine
„Transparenzoffensive“ gestartet. Angeblich haben sich etliche Dutzend
Betriebe angemeldet. Allerdings können Interessierte die Termine zur
Hofbesichtigung keineswegs frei vereinbaren, sondern müssen auf die
Bekanntgabe eines Tags der offenen Tür warten. Da ist es für die Betreiber
natürlich nicht schwer, vorher schön aufzuräumen, frischen Sand reinzugeben
und vor allem sehr junge Tiere bereitzuhalten, die entsprechend gut
aussehen. Masthühner in einem Alter von mehreren Wochen, die aufgrund ihres
abnormalen Wachstums vornüber fallen, sich kaum bewegen können,
Ballenabszesse und entzündete Stellen haben, bekommt man da wohl eher nicht
zu Gesicht.
Den neuesten Schritt zum Aufhübschen der Fleischindustrie hat ausgerechnet
der Deutsche Tierschutzbund getan: mit dem Tierschutzlabel, im Bereich der
Schweinemast bisher nur in ungefähr zwanzig Ställen des Großkonzerns Vion
umgesetzt. Mit der Transparenz ist es da ganz ähnlich: Bisher bekamen
sämtliche Journalisten stets dieselben drei Ställe zu Gesicht. Ich bestand
darauf, einmal einen anderen Betrieb zu sehen. Wochenlang hatte ich bei
Vion-PR-Chef Karl-Heinz Steinkühler keinen Erfolg. Dann schrieb ich, ich
müsse wohl schreiben, dass man nur die Vorzeigebetriebe zeigen wolle. Am
selben Abend erhielt ich Antwort, er werde mir zwei andere Betriebe zeigen
und „alle Türen öffnen“. Nur jetzt gerade habe er keine Zeit. Er meldete
sich nie wieder.
Ein Team von Tierrechtsaktivisten (Ariwa) hat einen dieser Vorzeigebetriebe
nachts mit der Kamera besucht, als gerade kein Vorzeigen geplant war. Sah
nicht gut aus. Der entsprechende Landwirt, daraufhin von einem
SWR-Redakteur zur Rede gestellt, erklärte, von Ariwa sei nur ein Prozent
seines Stalls so ungünstig gefilmt worden. Allerdings weigerte er sich, dem
SWR-Team die anderen 99 Prozent zugänglich zu machen. Der Tierschutzbund
steht trotz der Bilder hinter dem Landwirt und zu dem Konzept und
überrascht mit dem Einwand: „Die Aufnahmen fanden nachts, für die Tiere
unvorbereitet, statt.“
## Die Kuh-Kuhle stört
Unvorbereitet ist natürlich nicht gut. Wobei man sich fragt, wie viel Rouge
die Schweine sonst so auflegen, bevor ein Kamerateam daherkommt. Obwohl:
Bei Kühen wird das ja tatsächlich gemacht. Die professionelle Kuhfotografie
(für Kataloge, Werbung, Deko) arbeitet mit allen Mitteln und gleicht die
Kuhle im Rückgrat der Kuh mit angeklebten Haaren aus.
Doch zurück zum Tierschutzfleisch, wie es salopp genannt wird. Man sollte
meinen, in dem Moment, wo ein Tier als Steak auf dem Teller liegt, sei wohl
der letzte Beweis erbracht, dass es nicht hinreichend geschützt wurde.
Sonst wäre es ja nicht geschlachtet worden. Geschlachtet heißt: gewaltsam
getötet. Trotz all der notwendigen Kritik an Haltungsbedingungen, bei all
dem Gerede von glücklichen Tieren (die ja tatsächlich gar nicht glücklich,
sondern nur ein wenig weniger unglücklich sind), sollte man nicht
vergessen: Auch ein glückliches Tier will leben. Es zu töten ist Unrecht.
## Wenigstens ein bisschen helfen
Mangelnde Transparenz ist also nur das eine Problem. Das grundsätzliche:
Sollen Tierschützer Siegel vergeben für Fleisch, das man angeblich mit
gutem Gewissen kaufen darf? Ich bin ja nicht grundsätzlich gegen Reformen.
Das große Umdenken, durch das alle Tiere aus ihrer von Menschen
verursachten Qual erlöst werden, wird möglicherweise erst spät oder
vermutlich nie kommen. Bis dahin müssen wir uns wohl fragen: Wie können wir
den heute lebenden Tieren wenigstens ein bisschen helfen?
Doch wie groß ist denn jeweils dieses bisschen? Beim Tierschutzlabel ist es
klitzeklein. Dessen Ferkel stammen aus der konventionellen Ferkelmast. In
der Einstiegsstufe haben sie gerade mal ein Drittel mehr Platz als
konventionell. Sogar das (betäubungslose!) Kupieren der Schwänze soll erst
innerhalb von zwei Jahren eingestellt werden. Solch lange Übergangsfristen
sind der Fluch der Tiere: Die Bestimmungen lesen sich nett, doch ihr Leben
bleibt elend.
Hilft man also den Tieren – oder hilft man den Menschen, mit gutem Gewissen
Tiere zu essen? Das Tierschutzlabel helfe den Erzeugern, sich „einen
wichtigen Markt zu erschließen“, sagte Ilse Aigner auf der Grünen Woche.
Spätestens bei solch einer Aussage müsste jeder engagierte Tierschützer
dazwischenrufen: Moment mal, neue Fleischmärkte zu erschließen, ist
eigentlich nicht unser Ziel! Keine Tiere einsperren. Keine töten! Dieses
eigentliche Ziel des Wegs muss immer sichtbar bleiben. Zu kleine
Schrittchen dorthin sind keine Reformen, sondern faule Kompromisse.
6 Mar 2013
## AUTOREN
HILAL SEZGIN
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