# taz.de -- #MeToo-Debatte: Nach dem Shitstorm | |
> An der Kunsthochschule für Medien in Köln prallen die Netzdebatte #MeToo | |
> und die Sehnsucht nach Eindeutigkeit auf die Vielschichtigkeit der | |
> Realität. Der der sexuellen Belästigung beschuldigte Gebhard Henke ist | |
> juristisch unschuldig und sozial tot. | |
Bild: #MeToo-Porträt aus drei Köpfen: Ex-WDR-Redakteur Gebhard Henke und die … | |
Von SUSANNE LANG | |
Die Botschaft der Studierenden an Gebhard Henke ist unmissverständlich. | |
»Tritt zurück!«, steht in Großbuchstaben auf einem Streifen aus Pappe, | |
»hast doch echt genug Geld.« Darunter hängt ein Zettel: »Kein Sexismus, | |
kein Machtmissbrauch.« Die Parolen sind mit neon-pinkem und -gelbem Tesa an | |
eine Wand in der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) geklebt. Es ist | |
Mitte Oktober 2019, das Wintersemester hat gerade begonnen. Im Fachbereich | |
Film- und Fernsehen soll die erste Sitzung des Seminars KI – von Menschen, | |
Maschinen und MenschenMaschinen – wer programmiert hier wen? stattfinden. | |
Dozent: Professor Gebhard Henke. Etwa zwölf Studierende haben sich vor dem | |
Seminarraum versammelt, wie Anwesende berichten, um gegen diesen Henke zu | |
protestieren. | |
Seit 2001 ist Henke, 64, nebenberuflicher Professor an der KHM mit dem | |
Fachgebiet »Kreative Produktion/Redaktion«. Bis April 2018 leitete Henke | |
beim WDR den Programmbereich Fernsehfilm, Kino und Serie. Dann nimmt seine | |
Karriere ein jähes Ende: Aufgrund von Hinweisen auf Vorwürfe wegen | |
sexueller Belästigung und Machtmissbrauchs stellt ihn der WDR frei, die | |
Kündigung folgt. Im Juli 2018 einigen sich Henke und der WDR in einem | |
Vergleich auf die Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses. Zu einem Prozess | |
kommt es nicht. An der KHM bleibt Henke Professor, dort werden keine | |
Vorwürfe gegen ihn erhoben. Für etliche an der Hochschule bleibt das | |
trotzdem ein Skandal. Sie fordern den Rücktritt, der sei »unvermeidlich« | |
und eine Frage des Anstands. | |
Henke wartet im Seminarraum auf Teilnehmer. Es ist unklar, ob überhaupt | |
jemand das Seminar besuchen wird. Einige der Protestierenden betreten den | |
Raum, starren ihn an und schweigen. So lange, bis Henke sie fotografieren | |
will. Dagegen verwehren sie sich, das sei illegal. Ein Gespräch findet | |
nicht statt. Dafür sprechen die Plakate an den Wänden im Flur: »Ich fühle | |
mich unwohl mit einem machtmissbräuchlichen Sexisten an der Hochschule, | |
bitte geh einfach!« steht darauf. Oder: »Bleib zu Hause, niemand will dich | |
hier«. | |
## Solidarität mit betroffenen Frauen vs. rechtsstaatliche | |
Unschuldsvermutung | |
Intervention nennt die Gruppe von Studierenden Aktionen wie diese. Es ist | |
nicht die erste, seit die #MeToo-Debatte die Kunsthochschule vor eineinhalb | |
Jahren mit voller Wucht erreicht hat. Und es wird nicht die letzte sein, | |
solange Gebhard Henke an der KHM lehren wird. Soviel ist sicher. Alles | |
andere in der Auseinandersetzung um einen möglichen Täter an der Schule | |
wirft mehr Fragen auf als den Beteiligten selbst lieb sein mag. | |
Wie lässt sich Solidarität mit Frauen, die Opfer von sexueller Belästigung | |
und Machtmissbrauch wurden, vereinbaren mit der rechtsstaatlichen | |
Unschuldsvermutung, die auch für alte weiße Männer gilt? Das ist eine | |
Frage. Wie kommt man in einer polemischen Welt aus 280-Zeichen-Botschaften | |
in einen differenzierten Dialog, wenn es um Gleichberechtigung geht? Das | |
ist eine andere. Wie findet man objektive Bewertungsmaßstäbe für | |
Kunstwerke, die immer auch subjektivem Geschmack unterliegen? Wie lässt | |
sich Machtmissbrauch in öffentlichen Förderstrukturen vermeiden? Das sind | |
die speziellen Fragen einer Filmbranche, die nicht nur anfällig ist für | |
Eitelkeiten und Narzissmus, sondern offensichtlich auch für sexualisierten | |
Machtmissbrauch. Der Fall von Gebhard Henke zeigt, wie groß die Sehnsucht | |
nach Antworten ist und wie schwer es auszuhalten sein muss, dass es diese | |
nicht in Form von einfachen Lösungen und Wahrheiten geben wird. | |
Alles beginnt mit einem anonymen Flugblatt, das rechts oben den | |
Eingangsstempel des Bayerischen Rundfunks trägt, datiert auf den 23. April | |
2018. »#MeToo« steht darauf fett, darunter in holprigem Deutsch »Wenn es | |
einen deutschen Weinstein gibt, dann doch der Fernsehspielchef des WDR und | |
Professor an der Kunsthochschule für Medien Köln.« Zahlreiche | |
Schauspielerinnen, junge Produzentinnen und Filmstudentinnen würden seit | |
Jahren unter ihm leiden, in der Branche sei das ein offenes Geheimnis, aber | |
niemand würde sich trauen, in die Öffentlichkeit zu gehen. Das Flugblatt | |
endet mit einem Appell: »Bitte, liebe Redaktion, gebt #MeToo ein deutsches | |
Filmgesicht!« | |
## Henke wird als deutscher Harvey Weinstein dargestellt | |
Der WDR beherzigt dies. Zumal im Haus bereits schwerwiegende Vorwürfe gegen | |
andere Mitarbeiter vorliegen und dem Sender mangelnde | |
Aufklärungsbereitschaft vorgeworfen wird. Ein deutscher Harvey Weinstein – | |
für die einen ist das ein Super-GAU, für die anderen eine sehr gute | |
Geschichte. Dem US-amerikanischen Filmproduzent haben seit Oktober 2017 | |
mehr als 80 Frauen sexuelle Übergriffe vorgeworfen, darunter namhafte | |
Schauspielerinnen. In New York ist er wegen Vergewaltigung, krimineller | |
sexueller Handlungen und räuberischer sexueller Übergriffe angeklagt. In | |
Hollywood war sein Gebaren kein Geheimnis, »Besetzungscouch« war die | |
gängige Chiffre dafür. Ebenfalls angeklagt ist seine Firma, die Weinstein | |
Company. Sie habe die Mitarbeiter nicht vor sexueller Belästigung, | |
Einschüchterung und Diskriminierung geschützt. Ronan Farrow hatte die | |
Vergehen im New Yorker publik gemacht, nachdem etliche Frauen sich auch von | |
ehemaligen Mossad-Offizieren nicht mehr einschüchtern ließen, die unter | |
anderem auf sie angesetzt waren. | |
Gebhard Henke war Leiter des Programmbereichs Fernsehfilm, Kino und Serie | |
beim WDR sowie Tatort-Koordinator der ARD. In dieser Funktion hatte Henke | |
tatsächlich Macht, denn in seinen Verantwortungsbereich fällt die | |
finanzielle Förderung von Filmen, auch Debütfilmen Studierender. Spricht | |
man mit Leuten aus der Branche, beschreiben viele Henke als einen | |
zuverlässigen, disziplinierten Redakteur, der sich Respekt erarbeitet hat, | |
unter anderem mit Serien wie Babylon Berlin oder Filmen wie Lola rennt und | |
Good Bye Lenin!. Für den Nachwuchs hat er eine eigene Reihe geschaffen: | |
Avanti Debütanti. | |
Am 29. April 2018, nachdem das anonyme Flugblatt längst in diversen | |
WhatsApp-Gruppen der Filmbranche geteilt und an zwei Professoren der KHM | |
geschickt war, stellt der WDR Gebhard Henke frei. Sein Anwalt lässt | |
mitteilen, dass Henke entschieden bestreite, sich jemals so verhalten zu | |
haben. 16, später 30 Frauen aus der Film- und Fernsehbranche melden sich | |
nach der Freistellung auf Initiative der Agentin Heike Melba-Fendel und | |
Regisseurin Feo Aladag in einem offenen Brief zu Wort und fordern eine | |
differenzierte Auseinandersetzung mit den Vorwürfen »im Rahmen einer | |
sorgfältigen Wahrheitsfindung und Meinungsbildung«. Sie verstehen den Brief | |
nicht als Verteidigung von Henke, sondern als Plädoyer für einen | |
verantwortungsvollen Umgang mit ihm. | |
## Der Spiegel berichtet über die Vorwürfe, Henke klagt auf Unterlassung | |
Am 5. Mai erscheint schließlich der Spiegel mit einer Recherche zu Gebhard | |
Henke, Titel: Das Bärchen. Sechs Frauen erheben darin Vorwürfe wegen | |
sexueller Belästigung im Zeitraum zwischen 1990 und 2015. Vier bleiben | |
anonym aus Angst vor negativen Folgen für ihre Karriere, unter anderem eine | |
ehemalige künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kunsthochschule | |
für Medien in Köln. Zwei äußern sich namentlich: Schauspielerin Nina Petri | |
und die Autorin und Moderatorin Charlotte Roche. Sie schildert, wie Henke | |
ihr bei einer Werkstattlesung zu Beginn der Arbeiten an der Verfilmung | |
ihres Romans Schoßgebete im März 2013 in Köln bei der Begrüßung »die linke | |
Hand fest mitten auf den Po« gelegt habe – in Anwesenheit von Zeugen, die | |
den Vorfall jedoch nicht bestätigen können. Petri berichtet von | |
regelmäßigen Begrüßungen mit »Na Süße« oder »Hast du wieder hohe Schuhe | |
an«. Eine der anonymen Frauen berichtet von einer Situation in einem Hotel | |
in Marl, wo Henke spätnachts an ihrer Tür geklopft habe und sich, nachdem | |
sie ihn hereingelassen hätte, auf dem Bett hin und her gerollt habe, mit | |
den Worten: »Ich bin ein kleines Bärchen, ich möchte gekuschelt werden.« | |
Der Spiegel kommt zum Schluss: »Bewiesen ist nichts, das Bild aber | |
stimmig.« Gebhard Henke reicht Klage auf Unterlassung ein: gegen den | |
Spiegel wegen unzulässiger Verdachtsberichterstattung und gegen Roche wegen | |
Behauptung falscher Tatsachen. | |
Zu einer Verhandlung vor Gericht wird es jedoch nie kommen. Nach einem | |
Auftritt von Charlotte Roche in der Fernseh-Talkshow von Markus Lanz, bei | |
dem sie nochmals ausführlich beschreibt, wie Gebhard Henke damals | |
übergriffig geworden sei, und seine Klage erwähnt, melden sich weitere | |
sieben Frauen, die ähnliche Erfahrungen mit ihm gemacht hätten. Den | |
kausalen Zusammenhang zwischen Talkshow und weiteren Unterstützerinnen | |
stellt Roche selbst her, ein Artikel auf Spiegel online zitiert sie damit. | |
Gebhard Henke zieht die Klage daraufhin zurück. Die Öffentlichkeit wertet | |
es als Schuldeingeständnis. Henke selbst sagt, er habe dem immensen Druck | |
nachgegeben, der auf ihn auch im persönlichen Umfeld ausgeübt worden sei. | |
Einige Frauen hätten ihm signalisiert, dass sie ihn öffentlich fertigmachen | |
wollten, falls er Charlotte Roche wirklich verklage. Er habe gehofft, dass | |
mit Rückzug der Klage Ruhe einkehre. | |
## Der Rückzug ins Private bestimmt seither Henkes Leben | |
Trotz großer Bedenken, wie es ihm ausgelegt werden könnte, sagt Gebhard | |
Henke ein Treffen in Köln zu. Bei ihm zu Hause. In der KHM will er sich | |
nicht treffen, ein Café wäre als öffentlicher Ort unpassend für die | |
Thematik. Der Rückzug ins Private bestimmt sein Leben seit den Vorwürfen. | |
Im Gespräch geht es um seine Perspektive auf die Situation. Nicht nur, aber | |
auch um die Frage, wie es sein kann, dass sechs, später noch mehr Frauen | |
sich anders an die Situationen erinnern als er selbst. Darauf hat er selbst | |
keine Antwort, aber er denke viel darüber nach. Er spielt Situationen | |
nochmals durch, erzählt, wie er sie erlebt hat. Sein Tonfall bleibt ruhig, | |
manchmal klingt er resigniert. Nur wenn es um den großen Vorwurf des | |
Machtmissbrauchs geht, wird er lauter. Den hält er bis heute für besonders | |
absurd. | |
In einer bürokratischen Sendeanstalt habe er keine Möglichkeiten gehabt, | |
einzelne Projekte im Alleingang ohne gute Begründung zu bewilligen oder | |
abzusagen. »Dieser Vorwurf diskreditiert eine ganze Redaktion, als wäre es | |
im WDR wie in einer Bananenrepublik zugegangen.« An einem Projekt | |
arbeiteten immer mehrere Leute, auch externe: Produzentinnen oder | |
Produzenten, Producer, Drehbuchautoren, Regisseure, Redaktionsleitung und | |
ein Redakteur oder eine Redakteurin. »Wenn eine Schauspielerin im Casting | |
nicht gut ist, könnte man ihr als Chef im Alleingang auch keine Rolle | |
verschaffen – in Deutschland gibt es eben keinen Harvey Weinstein«, sagt | |
Henke. Der Vergleich bleibt trotzdem die Folie, auf der die | |
Auseinandersetzung verläuft. | |
Eine engagierte Gruppe Studierender an der Kunsthochschule für Medien in | |
Köln glaubt den Frauen, die sich im Spiegel zu Wort gemeldet haben. Zu oft | |
schließlich wurden Frauen schon als Lügnerinnen abgetan, wenn es um | |
Übergriffe geht. Von der Hochschulleitung sind sie enttäuscht, sie hätten | |
ein offizielles Statement der Solidarität mit den Frauen erwartet. In ihrem | |
internen Mail-Verteiler beschließen sie, ein eigenes Statement zu | |
verfassen, das davon ausgeht, »dass diese sechs Frauen die Wahrheit sagen | |
und sich nicht zu einer Verschwörung zusammengetan haben«. In diesem | |
Zusammenhang kommt zum ersten Mal die Idee auf, Charlotte Roche als Zeichen | |
der Solidarität eine Professur anzubieten. Natürlich könne man den Einwurf | |
verstehen, dass man warten müsse, bis sich die vielen Vorwürfe bestätigt | |
hätten. »Ich persönlich«, schreibt ein Student, »hab halt einfach keine | |
Zweifel, dass der Henke dass gemacht hat.« Zu diesem Schluss kommt er, | |
nachdem er »einige Rückmeldungen erhalten« und »Gespräche geführt« hätt… | |
»Aber alles in allem, es könnte noch ein bisschen mehr sein, oder? Come on | |
people, Arsch hoch! (sonst habts den Henke dran kleben).« | |
## Die Fronten bleiben verhärtet | |
Der Ton der Auseinandersetzung ist gefunden, er hat sich bis jetzt nicht | |
groß verändert. Obwohl der Rektor Hans Ulrich Reck auf die Vorstöße | |
zunächst scharf reagiert und »Schmutz- und Diffamierungskampagnen dieser | |
Art« verurteilt, bleiben die Fronten verhärtet: Studierende, die aus | |
Gründen der Solidarität mit belästigten Frauen davon ausgehen, dass Henke | |
ein Täter ist, der die Schule verlassen muss. Ein Professor, gegen den an | |
der KHM keine Vorwürfe vorliegen. Ein Kollegium, das offiziell schweigt und | |
sich nur im kleinen Kreis zu der Situation verhält. | |
Dabei stößt die Auseinandersetzung auch konstruktive Prozesse an: | |
Studentisch organisierte Vollversammlungen werden einberufen – die ersten | |
in der Geschichte der Kunsthochschule. Hochschulmitglieder diskutieren | |
gemeinsam Maßnahmen, um die Situation für potenziell Betroffene von | |
Machtmissbrauch oder sexualisierter Gewalt an der KHM zu verbessern. Eine | |
externe Ombudsstelle wird eingerichtet, eine AG-Diskriminierung einberufen. | |
Sogar Briefkästen werden aufgestellt, in die jede und jeder anonymisiert | |
Beschwerden einwerfen kann – mit dem Ergebnis: Sexuelle Belästigung war und | |
ist kein Thema an der KHM. Eigentlich eine gute Nachricht, möchte man | |
meinen. | |
Dennoch entsteht parallel dazu ein Klima, das als unerträglich beschrieben | |
wird. Geklagt wird über Einschüchterungsversuche, Mobbing, Gerüchte, | |
Verdächtigungen, Diffamierungen bis hin zu übler Nachrede – auf allen | |
Seiten. Einen Raum, in dem sich Menschen frei zu sprechen trauen, stellt | |
man sich anders vor. Viele geben daran auch den Medien mit ihrer | |
Berichterstattung über den Fall eine Mitschuld. Das Rektorat etwa stand | |
nach langen Verhandlungen für diese Recherche am Ende doch nicht für ein | |
Gespräch zur Verfügung. Man habe das »Hochjazzen einseitiger Standpunkte | |
und Aspekte leid«. Auch von den Studierenden, die sich zum Gespräch bereit | |
erklären, will niemand namentlich sprechen. Zu groß ist die Sorge, den | |
Ärger auf sich zu ziehen. Kommuniziert wird an der KHM seit den Vorfällen | |
weniger miteinander als übereinander. Gibt es doch Versuche, ein Gespräch | |
zwischen Henke und den Mitgliedern der Hochschule in Gang zu bringen, so | |
lässt man sich von externen Mediatoren begleiten – oder gleich von | |
Anwälten. | |
## Mitte 2018 eskaliert die Auseinandersetzung | |
Perspektivisch dürfte das nicht einfacher werden. Denn ab dem | |
Wintersemester gibt es einen prominenten Neuzugang an der KHM: Charlotte | |
Roche hat tatsächlich eine nebenberufliche Professur angetreten. Sie wird | |
das Seminar Das Gespräch im Fernsehen anbieten. Ob sie sich auch an der | |
Gender-#MeToo-Debatte in der KHM beteiligen wolle und wie sie sich die | |
Zusammenarbeit mit Professor Henke in der Fächergruppe Film- und Fernsehen | |
vorstelle – diese Fragen wollte Roche auf Anfrage nicht beantworten. Aus | |
zeitlichen Gründen. | |
Wie verfahren die Situation insgesamt ist, zeigt der Fall einer ehemaligen | |
Studentin, der die Auseinandersetzung Mitte 2018 eskalieren lässt. Zunächst | |
heißt es, sie habe bei einem Professor Rat gesucht, da sie von anderen | |
Studierenden zur Aussage gedrängt worden wäre, dass Gebhard Henke bei einer | |
Veranstaltung sexuell übergriffig geworden wäre. Henke erfährt davon, | |
wendet sich an das Rektorat, aber auch an die Öffentlichkeit. In einem | |
Interview mit der Zeit spricht er von Mobbing gegen ihn an der KHM. Der | |
Rektor und viele andere an der Schule halten das für einen absoluten | |
Affront und sind nachhaltig verärgert. Bei einer anschließenden | |
Vollversammlung meldet sich die bis dahin anonym gebliebene ehemalige | |
Studentin zu Wort und verneint »jegliche Anstiftung zur Denunziation«, wie | |
es in einer studentischen Broschüre zum Fall Henke heißt. | |
Wer nun an welchem Punkt die Unwahrheit sagt oder sich im besten Fall nur | |
anders erinnert und Dinge falsch verstanden hat, lässt sich nicht | |
rekonstruieren. Das Misstrauen jedoch wirkt nach. Eine »konstruktive | |
Zusammenarbeit«, wie sie sich das Rektorat in einem offenen Brief Anfang | |
dieses Jahres wünschte, befördert dies nicht. | |
## Das Misstrauen wirkt nach | |
Und das an einer Schule, die eigentlich für ihren Ruf einer besonders | |
offenen und freien Atmosphäre bekannt ist. Es gibt keine | |
Anwesenheitspflicht, keine Scheinvorgaben und keine strenge | |
Regelstudienzeit. Verlängerungen für die Abschlussarbeiten sind nichts | |
Ungewöhnliches. Wer mit einem Lehrenden nicht gut auskommt, kann das | |
Seminar wechseln. Sogar die Studienrichtung ist nicht festgeschrieben: Wer | |
als Filmstudierender beginnt, kann theoretisch problemlos in das Fach Musik | |
wechseln. Für diese Freiheiten schätzen die KHM viele, auch die Lehrenden. | |
Eine von ihnen hat sich nun trotzdem zurückgezogen. Die Produzentin Bettina | |
Brokemper war bis zum Sommersemester 2019 ebenfalls als nebenberufliche | |
Professorin im Fachbereich Film- und Fernsehen tätig und bot zusammen mit | |
Gebhard Henke Seminare an. Es war nicht das erste gemeinsame Seminar. Aber | |
nun sollte sie sich zum ersten Mal dafür rechtfertigen. Studierende | |
bestreikten zum Auftakt das Seminar, die Aktion galt Gebhard Henke, doch | |
der war zu diesem Zeitpunkt krankgeschrieben. So entspann sich eine | |
Diskussion mit Brokemper, die sie in der Rückschau als skurril bezeichnet. | |
»Ich hatte angeregt zu definieren, was Machtmissbrauch bedeutet und was als | |
Übergriff empfunden wird«, sagt sie. »Daraufhin wurde es sehr persönlich.« | |
Sie wüsste ja gar nicht, wie es wäre, wenn man Machtmissbrauch ausgeliefert | |
wäre. | |
Brokemper ist Ende vierzig und seit gut 27 Jahren in der Filmbranche tätig. | |
2003 gründete sie die Produktionsgesellschaft Heimatfilm. Gerade kommt sie | |
aus einem langen Meeting, das nächste ist bereits angesetzt. Für ein | |
ausführliches Telefonat zur Situation an der KHM nimmt sie sich dennoch | |
Zeit. Sie sagt, sie wisse ganz genau, wie in der Branche gearbeitet werde. | |
»Ich solidarisiere mich wirklich mit Opfern und bin schon oft an Sets | |
eingeschritten«, sagt sie. »Man findet Unterstützung, wenn man sich allein | |
nicht traut.« Sie würde lieber über die Frage sprechen, wie man angstfreie | |
Räume schafft, als sich für die Zusammenarbeit mit Gebhard Henke | |
rechtfertigen zu müssen. Das lehne sie ab. | |
## Katastrophales Krisenmanagement der Hochschulleitung | |
In einem Statement nach dem bestreikten Seminar, das im internen | |
Mail-Verteiler veröffentlicht wurde, begründete sie es so: »Ich bin eine | |
Anhängerin der Unschuldsvermutung und werde mein Verhalten nicht von | |
Aussagen und Gegenaussagen abhängig machen, solange diese unbewiesen im | |
Raum stehen.« Daher wolle sie sich in der »Causa Henke« nicht | |
positionieren: »Weder möchte ich mich als Sympathisantin verstanden wissen | |
noch werde ich in den Chor derer einstimmen, die vollmundig ›raus mit ihm‹ | |
fordern und vollendete Tatsachen schaffen wollen.« | |
Nach dem Statement habe sie überwiegend positive Rückmeldungen erhalten, | |
sowohl von Studierenden als auch von Kollegen, erzählt Brokemper. »Sie | |
fanden gut, dass jemand Ruhe reinbringt, aber geäußert haben sich alle nur | |
in Privatnachrichten, es hat keiner laut gesagt.« | |
Dass sie ihren befristeten Vertrag als Dozentin nicht mehr verlängern | |
wollte, liegt an diesem Klima, weniger an den Studierenden, deren Wut sie | |
zum Teil sogar nachvollziehen könne, so Brokemper. »Sie hatten einfach auch | |
Gesprächsbedarf, da niemand mit ihnen darüber geredet hat.« Das | |
Krisenmanagement der Hochschulleitung sei katastrophal gewesen. Während das | |
Seminar bestreikt wurde, hatte sich keiner aus Leitung oder Kollegium | |
eingeschaltet. Erst im Nachhinein seien Einzelne auf sie zugekommen. »Wer | |
solche Kollegen hat, braucht keine Feinde.« Mit einer Eindrittelstelle | |
könne sie dieses intransparente, feige Klima nicht verändern, dafür müsse | |
man präsent sein, sagt sie. Daher habe sie die Vertragsverlängerung | |
abgelehnt. | |
## Neben juristischen und moralischen Fragen steht die Frage nach | |
Herrschaftsstrukturen | |
Die engagierten Studierenden bewerten die Zusammenarbeit von Brokemper mit | |
Henke nach wie vor als heikel. »Das ist eine Form der Stellungnahme«, sagen | |
drei von ihnen, die sich zu einem Skype-Gespräch bereiterklärt haben. »Sie | |
kann Menschen das Gefühl geben, man solidarisiere sich mit einem möglichen | |
Täter.« Selbstverständlich gälte Meinungsfreiheit an der KHM, auch für Frau | |
Brokemper. »Wir als Studierende sehen aber einen argumentativen Widerspruch | |
in der Solidaritäts- und Glaubensbekundung Brokempers mit den betroffenen | |
Frauen und der gleichzeitigen Zusammenarbeit mit Henke und der von ihr | |
formulierten Unschuldsvermutung ihm gegenüber«, erklären sie. »Die | |
Unvereinbarkeit dieser beiden Positionen erschwert es aus unserer Sicht, an | |
der Hochschule einen Raum zu schaffen, in dem sich Frauen und Betroffene | |
generell trauen zu sprechen.« Darum aber gehe es: Sichtbarmachung, nicht | |
nur an der KHM, sondern in der gesamten Kulturbranche. | |
Ihr Ziel unterscheidet sich also nicht so sehr von dem Bettina Brokempers. | |
Der Weg dahin allerdings schon. Die Studierenden sehen Gebhard Henke als | |
Hindernis. »Er hat nicht nur dem Spiegel und Charlotte Roche, sondern auch | |
Mitarbeiter*innen der Hochschule mit juristischen Schritten gedroht, wenn | |
sie sich gegen ihn äußern«, sagen sie. »Solche Handlungen eines Professors | |
in einer Machtposition an einer Hochschule sowie mit sehr guter Vernetzung | |
in der Film- und Fernsehwelt sorgen dafür, dass sich Leute nicht trauen, | |
die geschaffenen Angebote wahrzunehmen.« | |
Dass der Rechtsstaat auch die Möglichkeit einräumt, sich juristisch gegen | |
Aussagen über die eigene Person zu wehren, werten die Studierenden als | |
Einschüchterungsversuche. Neben juristischen und moralischen Fragen müsse | |
man schließlich die Frage nach Macht- und Herrschaftsstrukturen stellen und | |
den Fall Henke in einem größeren Kontext, nicht als Einzelfall betrachten: | |
»Wenn man den Frauen glaubt, die sich im Spiegel und vor Gericht gemeldet | |
haben, dann muss man die Konsequenz daraus ziehen, dass ein Professor, der | |
über Jahre sexualisierten Machtmissbrauch betrieben hat, hier nicht mehr | |
lehren darf«, finden sie. Es könne doch nicht sein, dass mehrere Menschen | |
Vorwürfe gegen eine Person erheben und sich diese Person trotzdem | |
unantastbar weiterhin in einer Machtposition an einer öffentlichen | |
Hochschule bewege. | |
## Ein Machtkampf, der über die Moral ausgetragen wird | |
Als unantastbar empfindet sich Gebhard Henke längst nicht mehr. Sein Umfeld | |
hat sich nach den Vorwürfen auf das Private reduziert, seine Familie und | |
enge Freunde. »Beruflich bin ich verbrannt«, sagt Henke. Niemand seiner | |
Vorgesetzten habe nach seiner Freistellung jemals noch ein Wort mit ihm | |
gewechselt. Selbst zwischen dem Rektorat der KHM und Henke sei mehr oder | |
weniger Funkstille. Er erzählt von Studierenden, die ihn außerhalb der | |
Hochschule treffen, um sich zu entschuldigen, dass sie nicht mehr in seine | |
Seminare kommen oder ihre Diplomarbeit von ihm betreuen lassen wollen. Aber | |
der Druck der anderen Studierenden sowie einiger Lehrenden sei zu groß. Man | |
wolle keinen Shitstorm im Mail-Fach erleben. »Ich bin zur Projektionsfläche | |
für den weißen, alten Mann geworden«, sagt Henke, »der Inkarnation des | |
Bösen«. | |
Wenn Henke schildert, wie er die Situation erlebt, fühlen sich nicht wenige | |
provoziert. Er solle sich nicht als Opfer stilisieren, ausgerechnet er, der | |
Täter. Entweder ist man für ihn oder gegen ihn. Auf der richtigen oder | |
falschen Seite. Es ist ein Machtkampf, der über die Moral ausgetragen wird | |
– in der Hoffnung, dass sich die Gesellschaft dadurch ändert. | |
Die leiseren Stimmen bezweifeln, dass das der richtige Weg ist. | |
27 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Susanne Lang | |
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