# taz.de -- Matthias Frings über Ronald M. Schernikau: "Er suchte stets seinen… | |
> Schwulenszene, Kommunistenszene, Literaturszene: Ein Gespräch mit | |
> Matthias Frings über sein Buch und die vielen Leben des schillernden | |
> Autors Ronald M. Schernikau. | |
taz: Herr Frings, Haben Sie das Gefühl, Sie haben Ronald Schernikau mit | |
Ihrem Buch enträtseln können? | |
Matthias Frings: Der lässt sich nicht enträtseln. Dafür war er viel zu | |
klug. Er ist noch komplexer geworden. | |
Und widersprüchlicher? | |
Ja. Einerseits war Schernikau eine Queen. Er wollte berühmt sein und hat | |
das auch so gesagt. Er liebte den großen Auftritt. Alles an ihm war | |
auffällig - wie er gesprochen hat, wie er sich angezogen hat, wie | |
unverschämt er war. Wie er einfach immer ins Zimmer gekommen ist, ohne | |
anzuklopfen. Das alles hat nicht in die DDR gepasst, in die er ja von | |
Westberlin aus zurückgegangen ist. Andererseits konnte er ein echter Asket | |
sein. Er hatte keine Ahnung vom Essen, legte auch keine Wert auf Kleidung. | |
Und dann ist ihm in seiner Leipziger Zeit der Westen zunehmend auf die | |
Nerven gegangen. Er mochte das ruhige und konzentrierte Leben in Leipzig. | |
Noch 1989 ließ sich Schernikau in die DDR einbürgern. Weil er an das Land | |
glaubte oder weil er dort nach Jahren des Darbens im Westen endlich | |
ökonomisch abgesichert war? | |
Beides. Er wollte in einem Land leben, wo er mitmachen konnte. Er war | |
dafür, dass alle in die Partei gehen und sie von unten aufmischen, das war | |
sein Konzept. Seine Idee von Sozialismus war anarchisch. Außerdem hat | |
Schernikau aber auch nach einem Fleck in der Welt gesucht, wo er keine | |
Drecksarbeit machen musste, sondern wo er vom Schreiben leben konnte. Das | |
war sein Traum. In der DDR hatte er sein Stipendium, und wenn die Mauer | |
nicht gefallen wäre, hätte er danach auch vom Schreiben leben können. | |
Aber die DDR, von der Schernikau träumte, gab es damals schon gar nicht | |
mehr. Macht ihn das zur tragischen Figur? | |
Schernikau kannte die Oppositionsbewegung. Aber er hat sich nicht für sie | |
interessiert. Er hat seine Idee von der DDR so geliebt, dass er diese | |
Entwicklungen überhaupt nicht ernst genommen hat. Die DDR war sein | |
Traumland. Er hat sich das Land zurechtgeschrieben, wie er es gern gehabt | |
hätte. Das war sein literarisches Verfahren: Wenn man will, dass etwas | |
zustande kommt, muss man es erst einmal behaupten. | |
Ihr Buch beginnt mit den Worten: "Mein Name ist Helmut Frings, so stand es | |
jedenfalls 1980 noch in meinem Pass. Ich war siebenundzwanzig Jahre Jahre | |
alt, arm und bester Laune." Ein ziemlich gewagter Satz für eine Biografie, | |
die nicht die eigene ist, finden Sie nicht? | |
Ich habe den Satz gar nicht geschrieben. Den hat mein Füller geschrieben. | |
Auf den ersten 50 Seiten des Buches habe ich so gut wie nichts dazu getan. | |
Der Ton war da, die Art und Weise der Montage, alles war da. Trotzdem war | |
es mir zuerst sehr unangenehm, so viel über mich zu schreiben. Aber dann | |
habe ich gemerkt, dass dadurch Dynamik und Humor in das Buch kommt. Und | |
auch das geheime Hauptthema des Buches: Freundschaft. | |
Auch die Passagen über Ellen, Ronald Schernikaus Mutter, bewegen sich sehr | |
weit weg von ihm und erzählen ihre ganze Geschichte, vor allem die ihrer | |
Republikflucht, als Ronald noch ein Kind war. Außerdem sind sie in einem | |
ganz anderen Stil geschrieben. | |
Schernikau und seine Mutter waren sehr symbiotisch. Ohne die Geschichte | |
seiner Mutter wäre er gar nicht zu verstehen. Ellen schaut aus ihren | |
eigenen Augen auf die Geschichte: anpackend, sachlich, unsentimental. Ich | |
habe sie im Vorfeld bestimmt 30 Mal getroffen und erzählen lassen, habe | |
Stunden um Stunden aufgenommen. Ich wollte alles wissen: Wie sahen die | |
Leute damals aus? Was hatten sie an? Wie haben sie geredet? Was haben sie | |
gekocht und gegessen? | |
Manche Szenen im Buch wirken fast erfunden, so plastisch sind sie. Zum | |
Beispiel der heiße Sommernachmittag im Bett mit seinem Lebensgefährten | |
Thomas. | |
Es ist alles recherchiert. Es gibt keine ausgedachten Szenen. Es gibt auch | |
keinen einzigen Satz von Ronald, der fiktiv ist. Ronald hat sehr viele | |
Notizen hinterlassen. Aus Eitelkeit hat er von allen Briefen, die er | |
geschrieben hat, den Durchschlag aufgehoben. Und in seinen Büchern bleibt | |
er auch sehr nah an der Wirklichkeit, an seiner Lebenswirklichkeit, auch | |
wenn das natürlich immer mit Vorsicht zu genießen ist. Ich habe nichts | |
erfunden. Es war irre viel Arbeit. | |
Im Nachwort schreiben Sie, dass Ihnen Ronald jahrelang auf den Schultern | |
gesessen habe, bis sie endlich dieses Buch geschrieben haben. Das klingt, | |
als wäre auch viel Schwere im Spiel gewesen. | |
Ich habe oft gedacht, ich bin überhaupt nicht gut genug, das alles | |
aufzuschreiben. Es ist schwer, vor einem wie Ronald zu bestehen. | |
Andererseits: Der kann sich ja nicht mehr wehren. Ich wollte aber auch vor | |
seinem Lebensgefährten, seiner Muter bestehen, vor seinen | |
Schriftstellerkollegen. Ich konnte mich abends oft gar nicht mehr von dem | |
Buch trennen, habe oft davon geträumt. Ich kriegte es nicht mehr von der | |
Haut. | |
Der Titel verspricht aber alles andere als Schwere. | |
Der Titel war von Anfang an da. Ich glaube, er hätte Ronald gar nicht | |
gefallen. Erstens war er ja gar nicht der letzte Kommunist. Zweitens war | |
sein Leben alles andere als traumhaft. Aber ein Titel muss sich verkaufen. | |
Er muss gut im Ohr sitzen. Und außerdem: Mein Buch hätte das traurigste | |
Buch der Welt werden können, ist es aber nicht geworden. | |
Ronald Schernikaus Geschichte ist die des schlechten Timings, der | |
fortgesetzten Niederlagen, eine Geschichte des Scheiterns. | |
Ich wollte das Buch trotzdem so leicht und so heiter schreiben, wie es | |
geht. Wenn man über Ronald schreibt, kann man gar nicht anders. Er war | |
gegen Gejammer jedweder Art allergisch. Außerdem wollte ich mich auch | |
unterhalten. Ich habe viel Lebenszeit geopfert und hatte keine Lust, | |
jahrelang heulend am Schreibtisch zu sitzen. Ich möchte beim Schreiben | |
lachen. Und ich möchte auch, dass die Leute beim Lesen Spaß haben. Ich war | |
immer eine Unterhaltungskuh, schließlich war ich beim Fernsehen, beim | |
Privatfernsehen, ich habe die Hölle von innen gesehen. | |
Wollten Sie den Leser für Ronald Schernikau einnehmen, auch für seine | |
liebenswerten Verirrungen? | |
Was denn sonst? Ich wollte ihn preisen und loben. Und man kann nur jemanden | |
preisen und loben, wenn man auch seine Schwächen beschreibt. | |
Ihr Buch ist nicht nur ein Buch über Ronald Schernikau, seine Mutter und | |
Sie selbst, sondern auch ein Buch über Westberlin, das schwule Kreuzberg | |
der Achtzigerjahre. War das Absicht? | |
Das ist eine Rückmeldung, die habe ich noch gar nicht verdaut, mit der kann | |
ich noch gar nicht umgehen. Mir wurde schon jetzt von einigen Lesern | |
gesagt, ich hätte ihre Jugend beschrieben. Der Anfang der Achtziger war für | |
mich tatsächlich Sex, Liebe, Drogen, alles, was Spaß macht. Ab Mitte der | |
Achtzigerjahre wurde es für mein Gefühl viel zu ironisch und zynisch. Alles | |
drehte sich nur noch ums Geld. Daher verfolge ich den Kult um die | |
Achtziger, der heute so oft betrieben wird, gar nicht so. Ich habe manchmal | |
in der Bar neben Iggy Pop gesessen oder bin David Bowie begegnet, ich habe | |
Blixa Bargeld hinterm Tresen arbeiten sehen, aber Nostalgie interessiert | |
mich überhaupt nicht. | |
Wie würde Ronald Schernikau wohl das Berlin von heute gefallen? | |
Ich glaube, er würde in Weißensee wohnen. Bestimmt nicht in Prenzlauer | |
Berg. | |
Und warum leben Sie heute im bürgerlichsten Stadtteil Berlins, in | |
Prenzlauer Berg? | |
Das ist Zufall. | |
Fahren Sie manchmal noch nach Kreuzberg? | |
Wenn ich zu meinem Zahnarzt gehe, zum Chamissoplatz. Da fühle ich mich | |
schon manchmal sehr verbandelt. | |
Und lesen Sie noch die taz, für die Sie Ende der Achtzigerjahre Kolumnen | |
geschrieben haben? | |
Ich habe die taz abbestellt, als Roy Black gestorben ist. Damals wurde in | |
dieser Zeitung so viel Häme über diesen Mann ausgeschüttet, dass ich | |
dachte, ich würde nie wieder eine Zeile lesen, die in dieser Zeitung | |
abgedruckt ist. | |
Sind Sie dabei geblieben? | |
Ich bin dabei geblieben. | |
21 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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