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# taz.de -- Masochismus, der Spaß macht
> „Für eine Handvoll Dollar“ und der ganze Sergio-Leone-Six-Pack im
> Metropolis  ■ Von Dietrich Kuhlbrodt
Sergio Leone selbst war es, der 1965 die ersten Takte von seinem „Für ein
paar Dollar mehr“ pfiff: was Langezogenes und ziemlich allein in der
Totalen. Inzwischen hat jeder die Töne im Ohr. Und die Musik von Ennio
Morricone, dem es nichts ausmachte, vom Barock in den Pop zu wechseln.
Genauso war es Clint Eastwood egal, wofür er das tat, was er tat.
Moralische Instanzen gabs für ihn nicht; der Job als Kopfgeldjäger,
Geldeintreiber, Gangleader war o.k.
Das Metropolis zeigt bis in den April hinein die komplette Leone-
Doppel-Trilogie. Die Dollar-Filme (1964 „Für eine Handvoll Dollar“, 1965
„Für ein paar Dollar mehr“ und 1969 „Zwei glorreiche Halunken“) wurden
Mitte der sechziger Jahre für Europas Jugend das erste politische
Pop-Event. Leones Italowestern kamen gerade richtig, um sich von Hollywoods
Western und überhaupt von den USA abzusetzen. Im selben Jahr, als Leone
„Für eine Handvoll Dollar drehte“, hatten die USA mit dem Krieg in Vietnam
begonnen. Ein Held wie John Wayne, der sich auf Werte und moralische
Instanzen berief, war in Europa unglaubwürdig geworden. Jedenfalls für
alle, die damals noch nicht ahnten, dass man ihnen später nachsagen würde,
zur 68er Generation gehört zu haben.
In Leones Dollar-Filmen, und das war das Ereignis, ging es nicht um Worte.
Es gab Helden, die schwiegen den ganzen Film hindurch und nicht nur, um die
Synchronisation zu erleichtern. Man verstand sich über die Musik, Lee van
Cleef hatte seinen Auftritt wie bei einer Musikgruppe, die Handlung war
nicht weiter interessant. Der Wechsel zwischen Totalen und extremen
Nahaufnahmen war für den Zuschauer ein körperliches Ereignis. Zuschauer und
Filmhelden standen auf dem selben Boden, sie gehörten zusammen, das war,
was wichtig war. Und hätte es den Diederichsen-Spruch schon gegeben, dann
wäre er positiv gewesen: The kids are alright.
Die intellektuellen Worte-Wechsler hatten damals eine traumatische
Erfahrung gemacht. Es gab eine Populärkultur. In der Oktobernummer 1969 der
Zeitschrift „Filmkritik“ entdeckte Klaus Bädekerl im Italowestern
Über-Affirmation, Masochismus, Perversion, Resignation und Terror, alles
zusammen aber doch eine Art Befreiung und einen richtigen Spaß, sich von so
einem Film „wie ein Kind füttern zu lassen“.
Während die USA ihren schmutzigen Krieg führten, gingen Westdeutsche 70
Millionen mal in einen Italowestern. 300 Filme dieses Genres deckten den
unideologischen, a-ber mittelbar politischen Bedarf. Wer das glaubt,
erwerbe das grade in zweiter Auflage im Schnitt-Verlag, Bochum, erschienene
Buch „Um sie weht der Hauch des Todes: Der Italowestern - die Geschichte
eines Genres“ mit einer Auflistung von insgesamt 600 Italowestern.
Und wieso ist „Spiel mir das Lied vom Tod“ heute in die Zuschauer-Identität
integriert? Kompetent, dies zu beschreiben, ist der Hamburger Autor Kai
„Klausner“ Damkowski, dessen autobiografischen Roman „angst sucht hase“,
volkstümlich gecovert von Ernst Kahl, Spaß macht, gelesen zu werden. Der
Titel verballhornt einen Toilettenspruch, zitieren will ich aus dem
Tagebuch: „Wir sitzen im Kino, „Spiel mir das Lied vom Tod“, ... neben mir
sie und in mir drei halbe Bier... ich inhaliere ihr Parfum, das sich mit
dem Geruch von Popcorn mischt ... Henry Fonda steht inzwischen vor dem in
einer Pfütze ersaufenden Gabriele Ferzetti, der sein Leben lang davon
geträumt hat, eine Bahnlinie bis ans Meer zu bauen, und er murmelt
spöttisch: 'Pazifik, hm?' Bei so viel Herzlosigkeit ist es vielleicht an
der Zeit, den Arm doch mal einzusetzen. .. Ich spüre, wie mir die Situation
entgleitet: 'Wusstest du, dass die Originalübersetzung des Filmtitels „Es
war einmal im Westen“ lautet? Er bildet eine Trilogie mit der „Todesmelodie
(Es war einmal die Revolution)“ und Leones letztem Film „Es war einmal in
Amerika“, er wollte damit den märchenhaften Charakter Amerikas, den das
Land im von Hollywood geprägten Blick der Europäer angenommen hat' ... Ich
spüre, das ist es nicht, was sie hören will, sie will in den Arm genommen
werden .. wieso hab ich's im Kino nicht auf die Reihe bekommen?“ -
Erschienen 1998 im Verlag Jens Neumann, Popliteratur.
6 Mar 2000
## AUTOREN
Dietrich Kuhlbrodt
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