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# taz.de -- Marionettentheater aus Mali: Auf Löwenjagd
> In Mali gilt die Marionette als "Seele des Volkes". Das Puppentheater
> "Sogolon" gastiert im Mühlheimer Theater an der Ruhr. Und erzählt von
> Löwen und der Gesellschaft.
Bild: Wer einen Löwen per Schlinge fängt, ist feige.
Wer kennt schon Mali. Ein Land im Herzen der Sahara, eines der ärmsten und
ältesten, aber demokratischsten Afrikas. Und - man ist schon so weit, das
als Widerspruch zu vermuten - zu 90 Prozent islamisch. Subventionierte
Theater gibt es in Mali nicht. Aber eine große Tradition des Puppenspiels,
und die wollten Rolf Hemke, Kurator des Festivals "Theaterlandschaft
Seidenstraße" im Theater an der Ruhr in Mülheim, und Roberto Ciulli, Leiter
des Theaters und seit Jahrzehnten politischer Kulturbotschafter auf der
sogenannten "Achse des Bösen" zwischen Bagdad, Istanbul und Iran, gerne
vorstellen.
Ihr Gast Yaya Coulibay entstammt einer uralten Puppenspieldynastie. Heute
leitet er das berühmteste Puppentheater des Landes "Sogolon" als
Familienunternehmen. Er ist außerdem Professor und Schriftsteller, an der
Pariser Sorbonne hat er Anthropologie studiert. Er inszeniert im nächsten
Jahr in Nizza eine Oper mit Kindern und 1.000 Puppen und hat mit der
berühmten Handspring Puppet Company aus Südafrika gearbeitet. In seinem
Haus in Bamako, das auch als Theater genutzt wird, befinden sich rund
25.000 Puppen, die teilweise über 100 Jahre alt sind. "Die Marionetten",
sagt er, "machen Mali zum tolerantesten und säkularsten Volk der Welt." In
einem Land, in dem 81 Prozent Analphabeten sind, seien sie eine wichtige
Zivilisationsschule - und Kultinstrument des in Mali weit verbreiteten
Animismus. In jedem Dorf gibt es eine Puppenspielgruppe, die auf Plätzen
und in Schulen, aber vor allem in französischen Kulturzentren spielt. Von
denen gibt es viele, weil Mali bis 1960 französische Kolonie war.
In Mülheim spielen sie eine alte Fabel, "Der Jäger und der Löwe". Weil eine
schöne, ehrgeizige Frau einen repräsentativen Ehemann braucht, soll Koke
einen Löwen erlegen, um im Dorf etwas zu gelten. Er legt eine Falle aus,
die zuschnappt: In der Schlinge verfängt sich eine menschengroße Löwenpuppe
mit Holzkopf und wallender Mähne. Doch ihr Berater, eine kleine, bunt
gekleidete Hyänenmarionette, ist nicht auf den Kopf gefallen: Wer so einen
Löwen fängt, sei kein richtiger Mann, verkündet er. Wer würde da nicht an
der Ehre gepackt. Doch Koke unterliegt im offenen Zweikampf dem Löwen,
liegt gefesselt zu seinen Füßen und wird von den Tieren im Busch verspottet
und beschimpft. Eine Marionette nach der anderen spuckt ihre Vorwürfe gegen
den Menschen aus, der Tiere ausrottet und Bäume fällt, sodass sich die
Wüste immer mehr ausbreitet. Unter den Puppen der Dorfbewohner sind Weiße
und Schwarze, sie tragen traditionelle bunte Kleidung oder Safari-Look.
Rührend sind die kleinen, lebensechten Plastik- und Turnschuhe an den
Füßen.
Auch in "Die Taufe des jungen Löwen" und "Die goldene Kalebasse" geht es um
Löwen, um Wettbewerbe und das Ausgestoßensein aus der Gemeinschaft. Der
Beginn eines jeden Stücks ist ein Trommel- und Gesangskonzert, dann folgen
rasend schnelle Choreografien, in der sich die Tänzer gegenseitig
übertrumpfen. Wenn nach gebührendem Vorlauf die Geschichte beginnt,
wechseln sich Menschen und Marionetten in ihren Auftritten ab. Lebensgroß
sind Antilopen und Pferde, die sich so rasend im Kreis drehen, dass Staub
aufwirbelt.
Das alles ist wunderschön anzusehen. Aber ist es ketzerisch zu sagen, dass
das Trommeln auch nervt, die Fabeln für den westlichen Blick vorhersehbar,
folkloristisch ungebrochen und gänzlich unpolitisch wirken? So bleibt der
Blick nach Mali auch ein Beispiel dafür, dass Theateraustausch an Grenzen
stößt - anders als etwa mit dem Iran, wo sich Theater zu einer subversiven
Ausdrucksmöglichkeit entwickelt hat, die westlichen Augen nahe scheint.
Gewiss ist es wichtig, sich mit der Kulturlandschaft Afrikas
auseinanderzusetzen und zu erfahren, dass die Marionette, laut Coulibay die
"Seele des Volkes", das kulturelle Fundament Malis vor Jahrtausenden gelegt
hat. Schon in vorchristlichen Gräbern wurden in Mali Puppen aus Ton
gefunden, bis nach Japan und Südamerika ist ihr Einfluss zu verfolgen. Es
ist wichtig, sich zu vergewissern, dass es kulturelle Welten gibt, die vom
Westen unbeeinflusst, autonom und großartig für sich stehen. Doch letztlich
kann "Sogolon" in Deutschland nur als etwas gänzlich Fremdes staunend
bewundert werden. DOROTHEA MARCUS
20 Sep 2007
## AUTOREN
Dorothea Marcus
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