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# taz.de -- „Manchmal muss man zuhauen“
> PARALLELWELT „Club Inferno“ heißt das neue Stück der umstrittenen
> Performancegruppe Signa an der Volksbühne. Ein Gespräch mit Signa Köstler
> über die Simulation der Wirklichkeit, Regeln, Macht und Sex im Theater
INTERVIEW ENRICO IPPOLITO
taz: Frau Köstler, Sie sind Teil des Performancekollektivs Signa. Für Ihre
Stücke verlassen Sie die klassische Theaterbühne und kreieren anderswo, oft
an heruntergekommenen Orten, Ihre Paralellwelten, durch die man als
Zuschauer seinen Weg finden muss. Wo findet denn Ihr neues Stück „Club
Inferno“ statt?
Signa Köstler: Da will ich eigentlich nicht zu viel verraten.
Und was ist das Thema?
Der Ausgangspunkt für uns im „Club Inferno“ ist Dantes Inferno. Aber wir
machen keine direkte Impression, ist auch gar nicht möglich mit dem Text.
Wir erzählen die Geschichte von Herbert Godeux’ Casino. Er hat ein Inferno
aufgebaut, das sich in eine hermetisch geschlossene Welt verwandelt hat.
Und die Menschen dort hängen in diesem selbstgestalteten Höllenkreis fest.
Hermetisch abgeriegelte Räume sind ein zentrales Motiv bei Ihren Arbeiten.
Ich weiß nicht, ob ich das so sehe. Es gibt sehr viele soziale Konstrukte
in unserer Gesellschaft, wo verschiedene Regeln gelten. Innerhalb eines
Krankenhauses zum Beispiel oder eines Gerichtssystems oder eines
Nachtclubs. Wir machen das deutlich, diese Transgression in eine andere
Welt, um auch diese Benehmensstruktur und Regeln deutlich zu machen. Wir
erfinden einen Raum, der sehr ähnlich ist. Eine Wirklichkeitssimulation.
Das schafft Reflexion über darunterliegende Machtstrukturen.
Sind Ihre Stücke deshalb so brutal? In „Hades Fraktur“ betritt der
Zuschauer eine übersexualisierte und gewalttätige Unterwelt, in
„Hundsprozesse“ ist der Zuschauer angeklagt und weiß nicht, warum. Ihre
Performances führen nicht bei jedem Zuschauer dazu, dass er sich zum
Nachdenken über sich selbst angeregt fühlt. Wie gehen Sie damit um?
Unsere Stücke sollen eigentlich für jede Art von Publikumsposition flexibel
genug sein. Einige Zuschauer sind leichter als andere, und einige wollen
auch nur das Spiel kaputtmachen.
Sie wollen diese andere, fremde Welt zerstören?
Ja, das ist auch eine Reaktion. Dieses Realer-than-real-Gefühl bringt oft
den Abwehrmechanismus hervor, dass Menschen das durchbrechen wollen, um
sich wieder geborgen zu fühlen. Und manchmal kommen dadurch auch
interessante Situationen zustande, weil die Schauspieler im Charakter
bleiben.
Das ist Ihre wichtigste Regel: „Egal was passiert, im Charakter bleiben.“
Wie vermitteln Sie das Ihren Schauspielern?
Wir haben lange Proben und haben ziemlich viele Regeln und Strukturen, in
die man sich zurückfallen lassen kann. Von außen wirkt es, als ob alles
fließt, aber das erreicht man eben nur mit einer festen Struktur.
Sie beuten also nicht ihre Schauspieler aus? Das ist doch ein Vorwurf, mit
dem Sie oft konfrontiert werden.
Das macht mich wütend. Die meisten haben mit uns sehr oft gearbeitet,
obwohl wir oft nur wenig Geld zahlen können. Dann kommt aber immer das
Argument, wir seien eine Sekte.
Wieso?
Das ist doch logisch. Man sieht sich unsere Stücke an und denkt halt: Das
macht keiner freiwillig – das muss eine Sekte sein. Das ist aber für die
Schauspieler eine große Beleidigung. Wir arbeiten nicht mit durchgedrehten
Menschen. Es ist uns wichtig, dass die Schauspieler, mit denen wir
arbeiten, stark, gesund und belastbar sind. Nur dann kann man auch das
Gegenteil spielen.
Belastbar müssen Ihre Schauspieler auch sein, auch an ihre eigenen Grenzen
gehen. Das zeigte sich vor allem bei „Villa Salò“ in Dänemark. Ihr bis
jetzt härtestes Stück.
Es war ein sehr besonderes Stück und vor allem hart für das Publikum. Wir
arbeiten auch viel mit Tricks. Die erklären wir aber nicht.
Das ist Teil des Spiels.
Wenn eine Lüge funktionieren soll, dann muss auch ein Anteil von Wahrheit
da sein. Natürlich gibt es echte Gewalt, es ist nicht alles gespielt, aber
trotzdem ist es keine Ausbeutung. Die Hierarchie ist nicht so, wie sie
scheint.
Was fanden Sie so interessant an Pasolini?
Pasolini wollte ein ganz unversöhnliches Werk schaffen – aus Verzweiflung
und aus Wut. Wir konnten das nicht „Half-Assed“ machen. Es musste
unerträglich werden – und das wurde es auch.
Wäre die Debatte in Deutschland anders verlaufen? Haben Sie das Gefühl,
dass Ihre Arbeit hierzulande besser verstanden wird?
Ja, das ist eine ganz andere Kultur. Man nimmt hier Theater viel ernster.
Die Kunst in Dänemark ist sehr ironisch, da herrscht immer ironische
Distanz. Viele Dänen fühlen sich dann durch so etwas wie „Salò“ wirklich
provoziert und beleidigt.
Und das war keine Absicht?
Das war vielleicht ein bisschen eine „Fuck you, Dänemark“-Haltung.
In Ihrem Stück wird viel getrunken, und es kursiert der Mythos, dass
Schauspieler mit Zuschauern Sex hatten. Sie leben von diesen Mythen. Warum
ist Sex so wichtig?
Unsere Stücke sind komprimierte Wirklichkeit. Das ist eine Fokussache. Das
Publikum beschäftigt sich damit. Sex ist ein Mittel, das benutzt wird –
auch bei uns. Wir machen keine erotische Kunst im positiven Sinne.
Sie haben einen guten Blick für Gesellschaft und Machtverhältnisse. Doch
das Publikum bleibt am Ende allein, geht zurück in die eigene Wirklichkeit,
während die andere, Ihre Welt weiterläuft.
Ja, wir haben nicht diesen Moment am Ende, wo wir vor das Publikum treten
und uns verneigen.
Das macht es schwieriger für das Publikum.
Im besten Sinne ist es ein „shock to the system“. Die wertvolle Reflexion
findet nachher statt. In der privilegierten Welt muss man halt manchmal
ordentlich zuhauen und die Menschen aus ihrer Wohlfühlzone holen – das ist
ganz wichtig.
8 Mar 2013
## AUTOREN
ENRICO IPPOLITO
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