| # taz.de -- Männliche Lehrer sterben aus: Nachteil Junge | |
| > Immer weniger Männer arbeiten in Grundschulen. Aber die feministisch | |
| > angehauchte Pädagogenszene tut sich schwer, das Problem überhaupt | |
| > anzuerkennen. | |
| Bild: Eins und eins ergeben zwei Lehrer weniger. | |
| Die Grundschüler aus Agathaberg bei Wipperfürth machten auf ein drängendes | |
| Problem aufmerksam. "Mann, werd' Lehrer!" stand auf selbst gestalteten | |
| Plakaten, die die Viertklässler an Gymnasien und Gesamtschulen im | |
| Bergischen Land aufhängten. Die Arbeitsgruppe "Mentos" (Abkürzung für "Men | |
| to school", Männer an die Schulen) wollte auf diese Weise Abiturienten, | |
| aber auch Betriebspraktikanten in der neunten oder zehnten Klasse für den | |
| Beruf des Grundschullehrers motivieren. | |
| Anlass für die ungewöhnliche Aktion war eine Personalie. Der einzige | |
| männliche Pädagoge der Grundschule Agathaberg wechselte im Sommer 2010 | |
| seine Stelle. "Wir haben nichts dagegen, von Lehrerinnen unterrichtet zu | |
| werden", betonten die Mitglieder der AG Mentos. Aber "ein männlicher Lehrer | |
| kann uns Jungs besser verstehen, wenn wir mal Mist gebaut haben", | |
| erläuterte ein beteiligter Schüler. | |
| Bundesweit gibt es viel zu wenig Männer an den Grundschulen. Der | |
| durchschnittliche Anteil der Lehrer in der Primarstufe sinkt seit | |
| Jahrzehnten. Er liegt inzwischen bei nur noch zwölf Prozent. Die niedrige | |
| Zahl männlicher Studienanfänger für das Grundschullehramt verheißt keine | |
| Trendwende. Viele Schulkollegien freuen sich schon über einen einzigen Mann | |
| - der nicht zufällig oft gleich der Rektor ist. Das liegt auch an der | |
| Bezahlung: Pädagogen an Gymnasien erhalten deutlich mehr Geld als | |
| Grundschullehrer. Entsprechend liegt die Männerquote dort höher, | |
| mancherorts immer noch bei über 50 Prozent. | |
| ## "Dramatisierung des Geschlechts" | |
| Jungen brauchen männliche Vorbilder und Identifikationsfiguren auch | |
| außerhalb der Familie. Mädchen brauchen Männer ebenso, als das | |
| andersgeschlechtliche Gegenüber. Das klingt banal - es wird aber in der | |
| bildungspolitischen Fachdiskussion vernachlässigt oder gar geleugnet. Die | |
| Hamburger Pädagogik-Professorin Hannelore Faulstich-Wieland zum Beispiel | |
| spricht in diesem Zusammenhang von einer "Dramatisierung des Geschlechts". | |
| In das gleiche Horn stößt der Soziologe Marcel Helbig vom | |
| Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Er wendet sich gegen die These von der | |
| "feminisierten Schule". Das Geschlecht der Lehrkräfte habe nur nachrangige | |
| Bedeutung, jedenfalls seien nicht die Lehrerinnen "für den geringeren | |
| Schulerfolg der Jungen verantwortlich". | |
| Feministisch orientierte Erziehungswissenschaftlerinnen spielen den Mangel | |
| an männlichen Lehrern herunter, während das Thema umgekehrt von | |
| maskulinistischen Vereinen aufgebauscht wird. Männerrechtler-Gruppen wie | |
| MannDat und Agens pflegen ihr selbstviktimisierendes Weltbild, sie | |
| betrachten männliche Schüler pauschal als "Bildungsverlierer". Andere | |
| wichtige Einflussfaktoren wie Schichtzugehörigkeit oder | |
| Migrationshintergrund, die eine mindestens ebenso große Rolle spielen wie | |
| das Geschlecht, geraten in den Hintergrund. | |
| ## Die Regeln sind weiblich | |
| Schule hat sich zu einem zentralen Minenfeld der Gender-Debatte entwickelt. | |
| Mit den zugespitzten theoretischen Kontroversen können die pädagogischen | |
| Praktiker oft wenig anfangen. Sie machen ihre konkreten Erfahrungen, und | |
| die sind meist eindeutig. "Viele in der Schule gewünschte Verhaltensformen | |
| sind auf der weiblichen Seite angeordnet", beobachtet Andreas Scholten, | |
| Fachlehrer an der Grundschule Berg Fidel in Münster. "Sich lange mit etwas | |
| beschäftigen, Gefühle zuzulassen, in der Runde was zu sagen: Das sind alles | |
| Anforderungen, die manche Jungs etwas nervös machen können." Männliche | |
| Schüler, glaubt Scholten, würden "nicht gesehen in dem, was ihnen wichtig | |
| ist". | |
| Vor allem bewegungsorientierte Jungen gelten im Unterrichtsalltag als | |
| "Störer" eines von weiblichen Normen bestimmten Regelsystems. Das Ergebnis | |
| sind Disziplinarstrafen und schlechtere Noten. "Frauen wissen nicht, wie | |
| Jungs ticken", überspitzt der Hamburger Lehrer Frank Beuster, Autor des | |
| Buches "Die Jungenkatastrophe". Wenn männliche Schüler auffallen und | |
| schwache Leistungen erbringen, so seine These, könne das mit der klaren | |
| Überzahl der Frauen im Lehrerkollegium zu tun haben. | |
| Ein direkter Zusammenhang lässt sich, da hat WZB-Forscher Helbig recht, | |
| wissenschaftlich nicht nachweisen. Doch das Bemühen darum, einseitige | |
| Schuldzuweisungen an die Pädagoginnen zu vermeiden, lenkt vom Kern des | |
| Problems ab. Es geht nicht um generelle Kritik an der Arbeit von weiblichen | |
| Lehrkräften. Eine nennenswerte Masse von Männern an den Grundschulen würde | |
| - ähnlich wie bei Frauen in Führungspositionen der Privatwirtschaft - | |
| einfach ein wichtiges Korrektiv bilden. Nicht weil Lehrer "besser", sondern | |
| weil sie anders sind und die Schulsituation bereichern. | |
| ## Singen ist nicht peinlich | |
| Was hält männliche Studienanfänger trotz aller Appelle davon ab, sich in | |
| diese Richtung ausbilden zu lassen? Am Verdienst allein dürfte es nicht | |
| liegen - der ist gar nicht so niedrig, wenn man die sichere | |
| Berufsperspektive und die vergleichsweise familienfreundlichen | |
| Arbeitszeiten berücksichtigt. Wichtigere Hemmnisse bilden | |
| Identitätsprobleme und Imagefragen unter Gleichaltrigen. "Wenn ein Mann mit | |
| uns singen muss, dann ist ihm das vielleicht unangenehm", sagt treffend | |
| einer der Schüler aus dem "Mentos-Projekt". Dabei sei das "eigentlich gar | |
| nicht peinlich". | |
| Die Berufswahl vieler junger Männer ist weiterhin von Rollenstereotypen | |
| geprägt. An Autos zu schrauben oder Maschinen zu warten gilt in der Clique | |
| mehr als die Arbeit mit Kindern. Die rein fachlichen Anforderungen | |
| erscheinen in der Primarstufe nicht allzu hoch, der Schwerpunkt liegt eher | |
| in der Didaktik, in der persönlichen Zuwendung und im Herstellen | |
| emotionaler Nähe. Die Debatte um sexuellen Missbrauch der letzten Jahre, | |
| die männliche Pädagogen manchmal pauschal mit Pädokriminellen in Verbindung | |
| brachte, schreckt zusätzlich ab. Da braucht es viel Selbstbewusstsein, | |
| trotzdem unbeirrt seinen Weg zu verfolgen. | |
| Ermunterung in diese Richtung geben will die bundesweite Tagung "Mehr | |
| Männer in die Grundschule? Chancen, Risiken und Perspektiven", die am 7. | |
| Oktober an der Universität Hildesheim stattfindet. An einer der größten | |
| Ausbildungsstätten für Grundschullehrer im Land Niedersachsen diskutieren | |
| Wissenschaftler und Praktiker, wie mehr Männer motiviert werden könnten, | |
| diesen "Frauenberuf" zu wählen. | |
| Die auf der Veranstaltung präsentierten Projekte, etwa in Hamburg und | |
| Bremen, bemühen sich bereits erfolgreich um einen Imagewandel. Mit | |
| Angeboten zum Beispiel am Jungen-Zukunftstag "Boys' Day" wollen sie ein | |
| positives Bild der Pädagogik in der Primarstufe zeichnen. Noch handelt es | |
| sich bei diesen Initiativen um vereinzelte Leuchttürme. Eine | |
| flächendeckende Kampagne für Männer im Grundschullehramt - wie sie das | |
| Bundesfamilienministerium für den Erzieherberuf im Projekt "Mehr Männer in | |
| Kitas" unterstützt - lässt bislang auf sich warten. | |
| 5 Oct 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Gesterkamp | |
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