# taz.de -- „Mach dich grade“ | |
> Mehr als bloß Retro-Appeal: Heute startet in Anwesenheit des Regisseurs | |
> mit „Paul“ eine große Schau der Filme von Klaus Lemke, die Metropolis und | |
> B-Movie gemeinsam ausrichten | |
von VERENA DAUERER | |
Es gibt in dem Film Rocker von Klaus Lemke eine bezeichnende Szene: Zum | |
Soundtrack der Rolling Stones hat sich die Rockergang in losen Grüppchen | |
neben ihren Motorrädern zusammengefunden. Sie stehen in ihrer Lederkluft | |
eng beieinander und tauschen sich aus, konspirativ. Ein Rudel, das im | |
nächsten Moment unberechenbar auf was losgehen könnte. Ihr einziger | |
Körperkontakt untereinander ist entweder ein herzhaft kräftiges Umarmen mit | |
Schulterklopfen oder ein neckisches Raufgehabe. Sie werden von einer | |
bewegten Kamera beobachtet, die nie klarstellt, ob das jetzt Doku sein soll | |
oder Fiktion. | |
Seit den 60er Jahren dreht der Münchner Filmemacher Klaus Lemke um ein | |
Drehbuch herum improvisierte Spielfilme, die er fast ausschließlich mit | |
Laiendarstellern besetzt. In Brandstifter über die RAF von 1969 oder in der | |
Komödie Arabische Nächte von 1979 wurden Leute wie Cleo Kretschmer und | |
Wolfgang Fiereck, Iris Berben oder Dolly Dollar erst zu Schauspielern | |
erklärt. Lemke beweist aber auch fröhliche Selbstexperimente wie bei Never | |
go to Goa von 2001, wo sich das Filmteam nach dem Bestätigen der gängigen | |
Klischees von Goa nur noch mit sich selbst beschäftigt. Oder sein neues | |
Projekt Last Minute Jamaika vom vergangenen Jahr über zwei Mädchen, die | |
sich den Machismo der männlichen Einwohner nicht mehr bieten lassen. | |
Rocker, gedreht 1971, war Lemkes Drive in diese Richtung: In einer rigiden | |
Gesellschaft geht es um den Rocker Gerd, einem handgreiflichen Macho-Rüpel, | |
gerade aus dem Knast entlassen, den Jungen Hans-Jürgen und seinen großen | |
Bruder, den Autos klauenden Provoziervogel Ulli. Dessen Tod rächt der | |
Kleine mit Hilfe des Rockers. Drum herum viele Fahrten über den Kiez und | |
vor allem moderne Einsichten, wie Mädchen mit Jungs umgehen und umgekehrt. | |
Nicht nur durch seinen Retro-Appeal ist Rocker kultig. Es gibt einen | |
Fanclub ([1][www.mach-dich-grade.de]), eine Fanband und | |
Open-Air-Aufführungen mit unterhaltsamstem Mitgegröhle der Sprüche. | |
Und die Sprüche, überhaupt die Hamburger Sprache ist das, was Lemke auf | |
sein Konzept brachte. „Ich verdanke Hamburg alles. 1971 dachte ich wie alle | |
meines Alters, dass nichts auf Deutsch annähernd so sexy sein könnte wie | |
englisch. Bis ich die Hells Angels traf. Da ist Hamburg eingeflossen in | |
mich, einen arroganten Lümmel aus München“, sagt er. Sprache als | |
Identitätsfindung, und Sprache, die um nichts viel Gelaber machen muss. | |
Lemke: „Ich wollte rücksichtslos weg vom Hochdeutsch, und dieser Impetus | |
kam durch die Rocker. Das änderte meine ganze Karriere, die daraus bestand, | |
Mädchen auf der Straße zu sehen und mit ihnen einen Film zu machen, um die | |
Leute zu ärgern. Wenn es wirklich um was geht, sind nur Laien authentisch.“ | |
Die Voraussetzung zum Dreh dieser Art war eine schwere 35mm-Kamera, die für | |
die improvisierten Szenen getragen wurde und ständig um die Darsteller | |
kreiste, als würde sie ein Video drehen. Ein mühsames Unterfangen, und das | |
Jahrzehnte vor der handlichen Digitalkamera und den Ideen der | |
Dogma-Bewegung Mitte der 90er. Lemke über seine Herangehensweise: „Es gibt | |
keine Proben. Es geht auch nicht darum, einfach draufzuhalten. Ziel ist, | |
die Leute zu reizen, dass sie das wollen, was ich will.“ | |
Die Rocker von den Hells Angels haben sich allerdings nichts sagen lassen. | |
Trotzdem war es die beste Zeit seines Lebens, „mit Leuten, die | |
bedingungslos nicht älter als 17 werden wollten“, sagt er. Aber: „Wenn man | |
denen ein paar Mark gegeben hat, wurden die in Drogen umgesetzt. Ich war | |
für die jemand, der abends das Bier gezahlt hat. Zum Schluss hat mir dann | |
einer eine Lederjacke geschenkt.“ Später sind die meisten in Amerika | |
umgekommen, als Teil der amerikanischen Hells Angels, erzählt Lemke. Einer | |
ist hier im Puff gestorben. | |
Idole: morgen, 19.30 Uhr, Rocker: morgen, 21. 15 Uhr, Metropolis (beide | |
Filme am 17.5. im B-Movie), weitere Filme siehe [2][www.b-movie.de] und | |
[3][www.metropoliskino.de] | |
8 May 2003 | |
## LINKS | |
[1] http://www.mach-dich-grade.de | |
[2] http://www.b-movie.de | |
[3] http://www.metropoliskino.de | |
## AUTOREN | |
VERENA DAUERER | |
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