# taz.de -- MEDIATION: Der Knast der Gefühle | |
> Seit 25 Jahren bemüht sich der Täter-Opfer-Ausgleich um Wiedergutmachung. | |
> Dass es dabei nicht um Bestrafung geht, sieht man in der Justiz noch | |
> immer mit Skepsis. | |
Bild: Die Strafjustiz will strafen. Ein Täter-Opfer-Augleich kann dafür eine … | |
Als Wiedergutmachung hatte er Parfüm mitgebracht – so viel weiß ich noch. | |
Auf den Termin beim Täter-Opfer-Ausgleich hatte ich keine Lust. Ein paar | |
Freunde und ich waren beim Grillen am Uni-See von anderen Jugendlichen | |
angegriffen worden, grundlos. Die Polizei hatte zwei von ihnen gefasst. | |
Später saßen sie uns zerknirscht gegenüber, flankiert von zwei | |
MitarbeiterInnen des Täter-Opfer-Ausgleichs. Die Angreifer hatten um den | |
Termin gebeten. Ich meinte, mich eigentlich ganz ordentlich gewehrt zu | |
haben. Dass die beiden nun noch eine Anzeige am Hals hatten, war mir | |
peinlich. Eine Freundin von mir aber sah das anders und wollte dort nicht | |
allein auftauchen, also ging ich mit. Das ist Jahre her. | |
Den Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) gibt es in Bremen seit 25 Jahren. „Es geht | |
häufig um Scham“, sagt Frank Winter, Fachlicher Leiter des TOA, zu meinem | |
Fall. „Am Anfang ist es vor allem das Opfer. Wenn wir fertig sind, schämen | |
sich alle Beteiligten.“ Der Bremer TOA war einer der ersten in Deutschland. | |
Winter ist seit 23 Jahren dabei. Die sozialen Konflikte hätten zugenommen, | |
bunter allerdings sei es auch geworden, „die Herkunft spielt keine Rolle | |
mehr“, so Winter. Mittlerweile gebe es 17 Schlichtungsstellen, in die die | |
BürgerInnen von sich aus kommen sollen, um Probleme zu lösen. Das | |
funktioniere: „Wir erfüllen eine soziale Funktion, die in der Anonymität | |
der Städte verloren geht.“ | |
Seit 1990 ist der außergerichtliche Ausgleich Teil des Jugendstrafrechts, | |
seit 1994 des Strafgesetzbuchs. Eine Wiedergutmachung kann für den Täter | |
die Strafe mildern oder sogar ganz abwenden. Etwa 900 Fälle hat der TOA in | |
Bremen 2012 bearbeitet, es ging um Raub, Körperverletzung oder Nötigung. | |
Voraussetzung ist, dass die Schuldfrage geklärt ist. Sogar in einem | |
Tötungsdelikt wurde bereits ein Gespräch betreut, ein Einzelfall, auf | |
Wunsch der Angehörigen des Opfers. | |
In den ersten Jahren habe die Staatsanwaltschaft gar keine Fälle | |
überstellt. „Uns wurde vorgeworfen, wir würden die Täter hofieren“, sagt | |
Winter. Dabei stünden die Opfer im Mittelpunkt. Die zweifelten oft daran, | |
was es ihnen nütze, wenn ein Täter im Gefängnis lande. „Das Strafbedürfnis | |
der Strafjustiz ist höher als das der Bürger“, sagt Winter. | |
Helmut Kellermann kennt das von der anderen Seite. Er ist Richter am | |
Landgericht Bremen und im TOA-Vorstand. „Der Grundgedanke des Strafrichters | |
besteht darin, nach ordnungsgemäßer Feststellung der Schuld zu strafen“, | |
sagt Kellermann. Zu erreichen, dass Staatsanwaltschaft und Strafrichter | |
davon abrücken und mehr Fälle an den TOA überweisen, das sei schwer. „Es | |
bedeutet ein ständiges Bemühen um die Köpfe.“ | |
Bei meinem Ausgleich mussten alle offen sagen, was ihnen auf der Seele | |
brannte. Dass ich kein Parfüm mag, brachte ich nicht über die Lippen. Mein | |
Gegenüber wirkte weit weniger bedrohlich als in der Nacht am Uni-See. Wir, | |
Opfer und Täter, fanden im Gespräch schnell eine Gemeinsamkeit: Keiner von | |
uns hatte Lust, zu viel über eigene Gefühle zu reden – nun saßen wir alle | |
in einem Boot. Die Erleichterung, die in dem abschließenden Händedruck lag, | |
war ehrlich. | |
9 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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