# taz.de -- Luisa Neubauer in taz FUTURZWEI: The Long Goodbye | |
> Wer „nach Corona“ Neues anfangen will, muss mit Altem aufhören. Aber wir | |
> können einfach nicht aufhören. Mit nichts. Deshalb wählen wir | |
> Weitermachen. | |
Bild: »Exnovation – das Wort kennt man nicht, denn wir machen es nicht.« | |
Von LUISA NEUBAUER | |
Vor der Krise war auch Krise, sagt Naomi Klein, wenn sie in ihrem | |
superaufgeräumten Arbeitszimmer Zoomreden hält. Und das kann Klein ganz | |
wunderbar verargumentieren, man nickt, ja, genau so war das mit der | |
Normalität, die war auf Papier eher Upfuck. Ökologischer Ausverkauf, | |
Hyperbeschleunigung, eine Normalität auf Pump, die sich durchsetzen konnte, | |
weil die wahren Kosten der Zukunft dem Ausland oder marginalisierten | |
Gesellschaftsgruppen überlassen wurden. Entblößung ist eine der | |
Kernkompetenzen der Corona-Krise, und es wird alles entblößt, was an | |
systemischen Instabilitäten aufzufinden ist. Gnadenlos. | |
Kein Problem, sagt man, ein »zurück zur Normalität« wird es so nicht geben, | |
dafür rüttelt Corona zu sehr am Fundament. Und es ist logisch, Krisen | |
erzeugen Schocks, abrupter Wandel ist seitdem nicht mehr undenkbar, sondern | |
wahrscheinlich. Deshalb reden wir von einer Welt nach Corona, einer neuen | |
Normalität. Das »es wird nie wieder so sein wie früher«, hallt bei einigen | |
melancholisch. In der progressiven Ökoecke geht das gelassener, prima, | |
Wandel, nehmen wir. | |
So weit, so gut, diese Erzählung. Ich glaube nur noch nicht dran. Ja, die | |
Normalität war radikal, abgedreht und unverantwortlich. Und wir werden | |
alles tun, um zu ihr zurückzukehren. | |
## Rückkehr zu Gewohntem statt positiver Veränderung | |
Dabei muss man zunächst bedenken, dass wir mit Corona endlich eine Krise | |
kennenlernen, die politisch bewältigt werden kann. Dabei bedeutet | |
Bewältigung, Stabilität organisieren. Die muss nicht mal mehr stabil sein, | |
nur stabil wirken, und die Normalität vor Corona ist offensichtlich die | |
Scheinstabilität, mit der wir uns am besten auskennen. | |
Selbstverständlich wird man ein paar Korrekturen vornehmen, Krankenhäuser | |
besser ausstatten, Reiseregulationen einrichten, eine Corona-App ganz | |
pfiffig mit anderen Anreizen verknüpfen, um Gesundheit zu optimieren. | |
Ja, mehr Resilienz will man. | |
Aber die Welt besser zu machen, kommt im Arbeitsauftrag | |
»Corona-Bewältigung« nicht vor. Das interpretiert man da nur gerne hinein. | |
Man wird alles tun, um eine Normalität zu kreieren, die so normal sein soll | |
wie irgend möglich, nicht besser oder gerechter oder nachhaltiger. Darum | |
können sich andere, zu einem anderen Zeitpunkt kümmern. | |
## Neuanfänge setzen Abschied von Altem voraus | |
Keine einfache Ausgangslage für die Weltverbesserungsfraktion. Um da noch | |
reingrätschen zu können, so der offensichtliche Schluss, müsste einem schon | |
was RICHTIG Gutes einfallen. Ein Normalitätsentwurf, der es aufnehmen | |
könnte mit dem bestechlichen Charme des Vertrauten. Okay, kriegen wir hin, | |
die Milliardenprogramme und Punktpläne und Krisenkataloge sprießen | |
schließlich wie ein junger Fichtenwald in der Mark Brandenburg. | |
Richtig. Der entscheidende Punkt ist nur der: Wie gut, schön, gerecht, wie | |
viel besser diese neue Normalität sein wird, hängt nicht von der Anzahl | |
neuer Ideen ab. Nicht mal mehr zwangsläufig davon, wie gut sie sind (nicht | |
erst seit der ersten Abwrackprämie wissen wir, wie weit es wirklich | |
schlechte Ideen bringen können). Entscheidend ist etwas anderes. Ob | |
bereichernde Ideen fruchten, hängt davon ab, inwieweit wir bereit sind, uns | |
von alten Ideen zu lösen. | |
Dafür gibt es sogar ein Wort, es lautet Exnovation, es ist das Gegenteil | |
von Innovation. Man kennt es nicht, denn wir machen es nicht. Das Problem | |
mit dem Exnovieren ist für uns nämlich, dass Abschied, also die Beendigung | |
einer politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Praxis durch unser | |
offensichtlich (und nachvollziehbarerweise) kompliziertes kulturelles | |
Selbstbild, mit Ablehnung und vor allem mit Abwertung konnotiert wird. | |
Hören wir mit etwas bewusst auf, impliziert man, dass es falsch war. | |
## Die Energie- und Mobilitätswende wird verschleppt | |
Dabei ist Abschied von früheren Innovationen nichts anderes als die | |
Anerkennung, dass selbst die beste Idee irgendwann aus der Zeit fällt. Das | |
geht auch wertschätzend, ich glaube nicht, dass man die (letzte) | |
Abschiedsfeier der Steinkohlekumpel Ende 2018 ohne Gänsehaut verfolgen | |
konnte. Feierlich und friedlich wurde ein Ende zelebriert, würdevoll und | |
dankbar für eine Industrie, die Deutschland lange bereichert hat. Was jetzt | |
hingegen mit dem Verbrennungsmotor angestellt wird, grenzt an Häme. | |
Unnachgiebig treibt man ihn in ein Jahrhundert, das ihn ehrlicherweise | |
nicht will, hält an ihm auch jetzt noch fest, wo man ganz geschmeidig Au | |
revoir sagen könnte. Ruhestand für den Verbrenner, und dann im Tesla in den | |
Sonnenuntergang fahren. Machen wir aber nicht. Und genau dieser Mechanismus | |
setzt sich fort. | |
Wir finden es gut, Erneuerbare zu fördern, aber kommen nicht klar mit der | |
Idee, uns von Kohle zu verabschieden. Das Resultat ist ein Kompromiss, der | |
eigentlich keiner ist, man begrüßt Neues, ohne Altes konsequent zu | |
verabschieden, und kommt es hart auf hart, gewinnt Gestern. | |
Gewohnheitsrecht. Der Kohlekompromiss illustriert es, man zeichnet zwar ein | |
Ende in den Horizont, zieht es aber so in die Länge, dass die Innovation, | |
also die Erneuerbaren, keine Chance haben, sich so zu entwickeln, wie sie | |
das müssten. Man verschleppt die Energiewende, am Ende wird man bei Gas | |
landen, das können die großen Konzerne nämlich auch ganz gut, und die | |
müssen ja glücklich gemacht werden, Gewohnheitsrecht. Damit sowas | |
funktionieren kann, muss man schon kreativ werden, nur so kommen wir zu | |
verqueren Ideen wie einem Solardeckel. Wäre die Normalität nicht so | |
merkwürdig, hätte man den schon längst ins Museum der Skurrilitäten | |
gestellt. Und weil sich niemand traut, irgendwo mal einen Schlussstrich zu | |
ziehen, wird eine Energiewende zu einem großen Chaos, in dem man immer | |
mehr, immer weiter macht. | |
## Wir können nicht aufhören mit dem Nichtaufhören | |
Die Innenstädte stehen gerade leer, wir finden es total innovativ, ein paar | |
Fahrradstreifen dahin zu malen. Aber ohne, dass wir uns dazu bewusst von | |
der Idee zugestellter, zugeparkter, emissionsverseuchter, lärmender | |
Innenstädte, also ungezügeltem Autoverkehr verabschieden, bleiben | |
Pop-up-Lanes ein weiterer Verdichtungsfaktor überfüllter Verkehrsräume. | |
Auch deshalb gibt es keine Mobilitätswende, sondern einfach immer mehr | |
Verkehr. | |
Gegen Innovation hat Exnovation keine Chance, mit neuen Ideen machst du dir | |
Freunde, ausmisten möchte niemand. Auch lässt sich das nicht verkaufen, das | |
wählt niemand. Das versteht man auch in der Politik (mittlerweile). Deshalb | |
gibt es in Kantinen vegetarische Angebote und keine fleischfreien Tage, | |
deshalb fördert man Frauen, aber hört nicht auf, Abtreibungen zu | |
kriminalisieren, deshalb bekennt man sich zu Friedensbemühungen, aber | |
liefert weiterhin Waffen in die Regionen. So sind Suffizienz-Konzepte zum | |
Scheitern verurteilt; um weniger zu machen, müsste man mit irgendwas in | |
großem Maße aufhören. | |
Und auch mit dem Nichtaufhören können wir nicht aufhören, weil wir uns | |
nicht nur schwertun, Goodbye zu Maschinen und Gesetzen zu sagen, sondern | |
auch zu politischen Gewohnheiten. Um nicht endgültig mit irgendwas | |
aufzuhören, sind wir bereit, (fast) alles zu tun. Und weil Bewährtes | |
mächtiger ist, bleiben die guten neuen Ideen ein Beiwerk, zur dröhnenden | |
Normalitätsmaschinerie, die in ihrer rücksichtslosen Sperrigkeit den | |
Gegenwartsraum einnimmt. | |
## Die teure Wiederbelebung einer maroden Wirtschaft | |
Genau dieser Mechanismus verhindert, dass aus Corona-Politik mehr wird als | |
eine sehr teure Wiederbelebung einer maroden Wirtschaft. Man erhält alles, | |
was es schon lange gab. Und hat irgendwer eine neue Idee, verspricht man im | |
besten Falle noch mehr Geld, wir wollen ja Innovationen fördern. Auf die | |
Idee aber, dass Innovationen Platz brauchen, kommt man nicht, und wenn | |
doch, expandiert man nach oben (Flugtaxen), nach unten (Fracking) oder nach | |
rechts und links (gestatten, Exportnation). Deshalb wird das coronabedingte | |
Konsumtief nicht als erster Schritt Richtung zukunftsfähiges | |
Einkaufsverhalten gewertet, sondern als Aufforderung verstanden, über | |
Einkaufsgutscheine zu fantasieren. Hier wird nicht aufgehört, hallt da mit, | |
auch nicht mit dem Überflusseinkaufen. Deshalb verspricht man veralteten | |
Industrien Milliarden, statt zu überlegen, ob die künstliche | |
Arbeitsplatzsicherung nicht spätestens jetzt ein Ende finden sollte, um die | |
Türen zu öffnen für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Meinetwegen können | |
wir das auch Lebensinnovationsprämie nennen. | |
Um gegen all das noch anzukommen, muss man jetzt richtig hochfahren. Unter | |
anderem die jungen Generationen sind gefragt, die am längsten von | |
sinnvollen Schlussstrichen profitieren würden, und am längsten unter allem | |
anderem zu leiden hätten. Das sage ich ganz selbstkritisch. Breite | |
Allianzen müssen sich jetzt bilden. Doch das dauert, die Lage ist | |
unübersichtlich, Menschen haben andere Sorgen. | |
Die Lobby für ein anderes Morgen ist dummerweise auch noch mit Heute | |
beschäftigt. Eine Entscheidungsphase im Bundestag clasht auf eine | |
Orientierungsphase der politischen Öffentlichkeit. Selten war die | |
Machtungleichheit zwischen Gesellschaft und Politik größer. Die Lobby, die | |
am Start ist, ist also die für gestern, für Autos, Flugzeuge, große | |
Industrien, die kennen sich aus, denn man hat es ja schon immer so gemacht. | |
## Eine Normalität ohne Zukunft | |
Ohne Ende kein Anfang, und wer eine schöne neue Welt will, muss auch | |
irgendeiner Welt den Rücken kehren. Weil wir das Aufhören nicht können und | |
nicht wollen, weil niemand Aufhörer wählt, sondern Macher, müssen wir | |
weitermachen. Und dieses »weiter so« wird uns nach Corona in eine | |
Normalität verfrachten, die soweit es nur irgendwie geht, der ähneln wird, | |
die wir vor Corona kannten. | |
Diese Rückkehr zur Normalität wird kostspielig. Wir konnten uns diese | |
Normalität noch nie so richtig leisten, heute ist sie unbezahlbar. | |
Warum erzähle ich das? Wer die Hürden vor einem nicht anerkennt, läuft | |
irgendwann gegen eine Mauer. Die Tatsache, dass wir bereit sind, ein | |
Vermögen auszugeben, um in eine Normalität zurückzukehren, die schon lange | |
keine Zukunft mehr hat, sagt nichts darüber, ob das gelingen wird. Denn | |
Menschen fangen an, die Sinnfrage zu stellen. Und eine Normalität, die | |
immer mehr zu einem Sammelsurium an mehr oder weniger guten Ideen wird, die | |
sich gegenseitig im Weg stehen, wird mit jedem weiteren Euro | |
Erhaltungskosten schwerer zu rechtfertigen. Da muss man ansetzen. | |
LUISA NEUBAUER ist Klimapolitikaktivistin. Unlängst erschienen – mit | |
Alexander Repenning: [1][Vom Ende der Klimakrise] (Tropen-Verlag) | |
18 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Luisa Neubauer | |
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