# taz.de -- Londoner Sklavenhandel-Museum: Zucker und Sklaverei | |
> Bis vor kurzem schien die brutale Seite des britischen Aufschwungs aus | |
> dem kollektiven Gedächtnis gelöscht. Doch nach Liverpool hat jetzt auch | |
> London ein Sklaverei-Museum. | |
Bild: "Slave Trade": Gravierung nach einem Bild von 1788. | |
Schwarz, mit Zucker. So lautete die süße Verheißung der beginnenden | |
Moderne, gereicht in einer jener verzierten Tassen aus Porzellan, die nun | |
ihren Platz hinter der Glasvitrine des Museums in den Londoner Docklands | |
gefunden haben. Was für viele Briten von 1700 an zu einem alltäglichen, | |
beliebten Genussmittel werden sollte, hatte für andere einen bitteren | |
Geschmack: Schwarz, mit Zucker - das bedeutete für Millionen Menschen aus | |
Westafrika ein Leben in der Sklaverei. An deren Anfang stand eine | |
mörderische Schiffsfahrt in die Karibik. Wer sie überlebte, musste in | |
Übersee für britische Geschäftsmänner in den Kaffee- und Zuckerplantagen | |
arbeiten. Die Londoner Docklands waren nach Liverpool, Bahia und Rio de | |
Janeiro der viertgrößte Umschlagsplatz für Sklaven. Von den Docklands in | |
London aus starteten unzählige Schiffe mit afrikanischen Sklaven nach | |
Amerika, um mit Kolonialwaren für das boomende frühkapitalistischen England | |
wieder zurückzukehren. | |
Heute, 200 Jahre nachdem der Sklavenhandel im Unterhaus per Gesetz | |
abgeschafft worden war, schaukeln Ausflugsschiffe verschiedener Reedereien | |
vor den dunkelbraunen Backsteingebäuden der früheren Lagerhäuser. Sie | |
glänzen, als wären sie frisch poliert. Das Licht der Sonne malt Muster auf | |
die Fassaden der Häuserzeile. In den Erdgeschossen der Gebäude servieren | |
Kellner in den Bars Espresso, an einem Haus flattert das Banner: "Museum". | |
Gegenüber strecken sich Hochhäuser in den Himmel, Türme von Banken und | |
Hotels, denen die auf Transparenz bedachte Postmoderne durchlässige | |
Glasfassaden verordnet hat. Ein perfektes, symbolisches Arrangement: 200 | |
Jahre nach der Abschaffung des Sklavenhandels soll das Areal im Osten | |
Londons ein transparenter Ort der Erinnerung sein. Bis vor kurzem schien | |
die brutale Seite des britischen Aufschwungs zur imperialen Großmacht wie | |
aus dem kollektiven Gedächtnis der Briten gelöscht. | |
Mit der Eröffnung der dauerhaften Ausstellung "London. Sugar & Slavery" im | |
November setzte das Museum in den Docklands nun einen weiteren Kontrapunkt | |
in dieser Geschichte. In Liverpool eröffnete bereits im Sommer das | |
"International Slavery Museum", um des "Abolition Act" von 1807 zu | |
gedenken. Die britische Verstrickung in eines der größten Verbrechen gegen | |
die Menschlichkeit soll künftig fest im kollektiven Bewusstsein der | |
Gesellschaft verankert werden. Im Falle Londons ist das Museums in den | |
Docklands direkt am Standort des einst viertgrößten Hafens für den | |
Sklavenhandel situiert. Die selbsterklärte Absicht lautet: "Londons | |
unerzählte Geschichte offenlegen". | |
Wer die Ausstellung durchläuft, gelangt schließlich in einen | |
rekonstruierten Londoner Straßenzug vom Ende des 18. Jahrhunderts. Über | |
einen Pflastersteinboden geht es vorbei an den Schaufenstern von | |
Handelsbüros und Kneipen. Aus Lautsprechern grölen Stimmen und rattern | |
Wagenräder, die Museumspädagogik verbreitet eine historisch-authentische | |
Atmosphäre. Vorbei an einigen Glasvitrinen und den Porträts einflussreicher | |
Kaufleute finden sich die Museumsbesucher vor einer schwarzen Stellwand | |
wieder. "London. Sugar & Slavery" steht darauf in großer weißer Schrift. | |
Darunter stehen die Namen der Schiffe aufgelistet, die von den Docklands | |
aus nach Übersee starteten. Die Namen der Kapitäne, ihre Fracht und | |
Zielhäfen - und die Zahl der als Sklaven deportierten Afrikanerinnen und | |
Afrikaner. Bis zu 560 versklavte Menschen wurden für einzelne Schiffe | |
gezählt. Doch die Faktenlage ist insgesamt schwierig, für einzelne | |
Schiffspassagen sind keine Dokumente überliefert. | |
Das Intro der Ausstellung erweckt unweigerlich eine Analogie zur | |
Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem in Israel. Ein symbolisch zugespitzter | |
Vergleich, der vor allem auf die Dringlichkeit eines neuen Umgangs Englands | |
und Großbritanniens mit seiner Sklavengeschichte deutet. Zwar vermied der | |
frühere Premierminister Tony Blair 2006 noch eine offizielle Entschuldigung | |
an die Nachfahren der einstigen Sklaven. In Zeitungsberichten ließ er | |
jedoch sein "Bedauern" und seine "Scham" über diesen Teil der | |
Kolonialgeschichte kolportieren. Im März dieses Jahres nutzte Londons | |
gewiefter Labour-Bürgermeister Ken Livingstone die Gelegenheit, die das | |
Gedenkjahr bot, um sich mit einer Entschuldigung zu profilieren. Die | |
anglikanische Kirche, die ebenfalls in Plantagenwirtschaft und | |
Sklavenhandel verstrickt war, erwägt nun sogar Entschädigungszahlungen. | |
Völlig unklar ist jedoch, wer in den Genuss einer solchen Entschädigung | |
kommen sollte. Der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, kündigte eine | |
"intensive Erörterung" der Frage an. Liberale Sonntagszeitungen wie der | |
Observer forderten hingegen "Lektionen, keine Entschuldigungen". Ohne Opfer | |
und Täter genauer zu benennen, drängt man hier auf einen "historic turn". | |
Im Mittelpunkt sollen dabei die Auswirkungen der Geschichte für die heutige | |
Gesellschaft stehen, das multikulturelle Großbritannien. Dies ist aber | |
insgesamt ein neuer Ton in Großbritannien im Umgang mit der | |
Kolonialgeschichte. | |
Bereits die Tatsache, dass die Kuratoren "London. Sugar & Slavery" mitten | |
in eine ansonsten im Museum umfassend und stolz präsentierte Handels- und | |
Aufstiegsgeschichte Londons eingefügt haben, folgt diesem Impetus. Erst der | |
Sklavenhandel habe den damaligen und bis heute anhaltenden Wohlstand des | |
Landes ermöglicht - unter diesem Leitfaden führt die Ausstellung mit | |
Exponaten und erklärenden Schautafeln chronologisch durch die Jahrhunderte | |
des Sklavenhandels, von den ersten Schiffsfahrten im beginnenden 16. | |
Jahrhundert bis hin zur beginnenden Befreiungsbewegung in Großbritannien | |
sowie auf den Plantagen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das | |
Wort "Sklave" bleibt bei all dem politisch korrekt vermieden. Dies wird | |
gleich eingangs klargestellt. Die korrekte Bezeichnung laute: "in Sklaverei | |
gehaltene AfrikanerInnen". Dies schreibe den Menschen nachträglich keinen | |
Warencharakter mehr zu. | |
Neben aller politischen Korrektheit hält die Ausstellung jedoch die Balance | |
zwischen den verschiedenen Aspekten der britischen Sklavereigeschichte. | |
Nicht nur zeitgeschichtliche Dokumente für die Brutalität, mit der Menschen | |
auf den Plantagen zur Arbeit gezwungen wurden, stehen im Fokus - Ketten | |
etwa, die um Hals, Hände oder Füße gelegt wurden, detaillierte Tagebücher | |
von Plantagenbesitzern über Art und Menge der Strafmaßnahmen. Großes | |
Gewicht legen die Kuratoren ebenso auf das demokratische und | |
zivilgesellschaftliche Moment, das die Abschaffung des Sklavenhandels | |
letztlich angestoßen hatte und zu Recht als vorbildlich für die englische | |
Demokratie in kollektiver Erinnerung gehalten wird. | |
Historiker werten sie nach wie vor als frühen Akt des politischen | |
Widerstands, nicht nur von christlichen konservativen Parlamentsmitgliedern | |
der britischen Oberschicht wie William Wilberforce, der die Abschaffung der | |
Sklaverei inner- und außerhalb des Unterhauses forcierte. Vor allem gilt | |
die "abolition" als Initiationskampagne der "grassroot"-Tradition, des | |
außerparlamentarischen Widerstandes einer Bürgergesellschaft. Sowohl | |
Gruppen von in Sklaverei gehaltenen AfrikanerInnen als auch Frauen kämpften | |
in einer breit angelegten und über Jahrzehnte andauernden Kampagne für | |
Menschenrechte und die Gleichberechtigung. Sinnbildlich dokumentiert dies | |
ein historisches Plakat in der Ausstellung: Eine afrikanische Frau mit | |
einer Kette um den Hals kniet gefesselt mit gefalteten Händen und bittet: | |
"Englishman, am I not a woman and sister?" Abgewandelt wurde der prägende | |
Kampagnenslogan auch in der männlichen Form benutzt: "Englishman, am I not | |
a man and brother?" | |
Für einige Minderheiten in der englischen Gesellschaft im Jahr 2007 dürfte | |
diese Frage trotz aller Selbstgewissheit angesichts einer langen | |
demokratischen Tradition immer noch relevant sein. Auch wenn die | |
Distinktionslinien nicht mehr nur ethnisch verlaufen, sondern vermehrt | |
religiös. | |
Nicht zuletzt deshalb dürfte die britische Regierung nun Themen wie die | |
Rolle im transatlantischen Sklavenhandel fest in die Lehrpläne an den | |
Schulen aufnehmen lassen. Ein entsprechendes Gesetz wurde Anfang dieses | |
Jahres verabschiedet. SchülerInnen soll so ein besseres und pluraleres | |
Verständnis "ihrer eigenen Identität" ermöglicht werden, sie sollen in | |
"Toleranz, Respekt, Redefreiheit sowie Gerechtigkeit" geübt werden. In den | |
Worten des Vorsitzenden der "Kommission für Rassengleichheit", Nick | |
Johnson: "Britishness kann für uns alle nur gesellschaftlichen Nutzen | |
haben, wenn es sich um eine bürgerschaftliche Identität handelt und keine | |
ethnisch definierte" - immerhin eine schöne Utopie. | |
11 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Susanne Lang | |
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