Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Leider zu alt zum Arbeiten
> Der Schauspieler Rolf Becker, bekannt aus „In aller Freundschaft“ und
> „Tatort“, darf wegen Corona nicht mehr ans Filmset. Warum ihn das traurig
> macht
Bild: Rolf Becker, 85
Von Rolf Becker
Die Nachricht war zunächst eine Freude. Dreharbeiten, infolge der
Coronapandemie Ende März unterbrochen, sollen ab 5. Mai wieder aufgenommen
werden. Verkleinertes Team, Untersuchung aller am Dreh Beteiligten,
Mindestabstände auch bei Dialogen, Beachtung aller vorgegebenen
Verordnungen und Hinweise. Fortsetzung vor Ort in gleicher Besetzung. Mich
ausgenommen, weil ich altersbedingt zur Risikogruppe gehöre.
Da war es mit der Freude vorbei. Meine Rolle auf Telefonate reduziert.
Meine Einwände mit Hinweis auf die besondere Gefährdung älterer Menschen
abgelehnt. Auch wenn bei mir keine Vorerkrankungen festgestellt worden
seien und die vertrauensärztliche Untersuchung eine für mein Alter
ungewöhnliche Belastbarkeit ergeben habe, sei mein Einsatz im Zusammenspiel
mit den anderen Kolleginnen und Kollegen vorerst nicht vertretbar, hieß es.
Ich werde also ausgeschlossen und fühle mich auch so. Andere Erlebnisse aus
meinem Leben fallen mir ein. „Du darfst zur Strafe nicht mit“, ein Satz aus
Kindheitstagen. Als 10-jähriger Schüler in den Nachkriegsjahren, weil ich
unbedingt ein humanistisches Gymnasium besuchen sollte. Deshalb der Wechsel
vom großelterlichen Bauernhof in Schleswig-Holstein „in Pension“ zu einer
mir bis dahin nicht bekannten Familie in einem Vorort der damals in
Trümmern liegenden Hansestadt Bremen. Von einem Tag auf den anderen der
Verlust von Familie, Freunden, Heimat. Erst nach Jahren kam ich leidlich
damit zurecht.
Meine fristlose Entlassung 1969 als Schauspieler und Regisseur am Bremer
Theater, weil wir die Aufführung des Aristophanes-Stückes
„Frauenvolksversammlung“ zu einer Protestkundgebung machten. Protest gegen
ein Theater ohne Brüche, das die gesellschaftlichen Verhältnisse der
Wirtschaftswunderjahre aussparte. Aber war das damals wirklich ein
„Ausschluss“? Die Entlassung, finanziell zwar schmerzlich, habe ich doch
zugleich als Befreiung wahrgenommen vom Widerspruch zwischen meiner
Tätigkeit als Schauspieler im Rahmen des Ensembles und meiner
gleichzeitigen Funktion als Leitungsmitglied der Intendanz.
Anders 1974 die Nichtverlängerung meines Vertrags am Hamburger
Schauspielhaus auf Veranlassung des damaligen FDP-Kultursenators, weil wir
als Gewerkschaftsvertreter das Ensemble erfolgreich zum Solidaritätsstreik
an der Seite der ÖTV aufgerufen hatten. Drei Tage lang standen wir statt
auf der Bühne vor dem Theater. Am Ende der Saison waren wir endgültig
draußen. Entlassung als Quittung unserer Fehleinschätzung
gewerkschaftlicher und kommunaler Kräfteverhältnisse. Bitter, aber
lehrreich.
Bereits vor einigen Jahren wurde mir eine Rolle aus Altersgründen
aufgekündigt, die Titelrolle im „Hamburger Jedermann“. Michael Batz, Autor
und Leiter der Bühne in der Hamburger Hafenstadt, verabschiedete mich mit
der Begründung, ich sei inzwischen für die Rolle zu alt. Und das, nachdem
wir sieben Jahre als Ensemble auf der stets ausverkauften Freilichtbühne
gespielt hatten. Den Ausschluss empfand ich als äußerst schmerzend, nicht
seine Begründung, die mir weder einleuchtete noch glaubhaft erschien.
Michael Batz wollte eine andere Besetzung, warum auch immer. Als Chef der
Bühne sein ungutes Recht, von Jedermann zu respektieren.
Und heute? Wieder wird Bezug auf mein Alter genommen, meine 85 Jahre. Und
auf nichts sonst. Ich kann mich nicht wehren, ich kann mich nicht für oder
gegen eine Aktion – wie etwa Engagement in der Gewerkschaft – entscheiden.
An meinem Geburtsjahrgang 1935 ist nichts zu ändern. Ganz plötzlich bin ich
kein Individuum mehr. Sondern nur noch Teil einer Gruppe.
Selbstverständlich füge ich mich – was bleibt mir auch anderes übrig. Den
Ausschluss zu akzeptieren, einzig begründet mit dem Hinweis auf meine 85
Jahre, ohne meine persönliche Verfassung zu berücksichtigen, fällt mir
schwer. Zu alt: zum ersten Mal in meinen bisherigen Leben diese – mit
Rücksicht erklärte – Entscheidung. Auch wenn mir alle Begründungen durch
Medien und Gespräche geläufig sind, kann mir niemand meine Traurigkeit
nehmen. Das beständige, sich von Tag zu Tag steigernde Gefühl, nicht mehr
dazuzugehören.
Was soll’s, es ist, wie es ist, ich bleibe mit dem, was mich schmerzt und
ärgert, für eine Weile allein. Wartend auf das, was noch folgt. Ich darf –
derzeit – nicht mehr mitspielen. Im wörtlichen und im übertragenen Sinne.
16 May 2020
## AUTOREN
Rolf Becker
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.