| # taz.de -- Kurzgeschichten aus der Silvester-sonntaz: Bingo! | |
| > Ich winselte und krümmte mich zusammen und versuchte mit den Händen | |
| > meinen Kopf zu schützen, ich hatte keine Ahnung, wovon er redete, was für | |
| > einen Mord er meinte. | |
| Bild: Erst am nächsten Morgen begriff ich, worum es ging. | |
| all the bed things I do / will go up in smoke / and so will I (Ikkyū) | |
| Sie haben mich wieder verprügelt, nach dem Abendessen, im Flur, sie haben | |
| mich bespuckt und geschlagen, mir lief das Blut aus Mund und Nase und | |
| tropfte auf den Boden, du dreckiger Mörder, du bringst schwangere Frauen | |
| um, sagten sie, aber ich habe es nicht getan… | |
| Ich habe diese Frau nicht getötet. Ich könnte so etwas gar nicht tun, ich | |
| könnte keinen Menschen töten, ich hatte nur den Wunsch, nach so vielen | |
| Jahren auf der Straße endlich einmal wieder im Warmen und Trockenen | |
| aufzuwachen. Ich habe sie nicht getötet, außerdem war es nicht meine Idee. | |
| An jenem Morgen weckten mich zwei uniformierte Polizisten, der eine trat | |
| auf mich ein, zuerst trat er mir in den Rücken und dann ins Gesicht. | |
| Normalerweise tun sie so etwas nicht, sie interessieren sich nicht für | |
| Obdachlose. Sie können von uns nichts bekommen, und wenn sie uns verhaften | |
| und wegen Landstreicherei einbuchten, können sie das nicht als Heldentat | |
| verbuchen. Wie oft schon sind sie an mir vorbeigelaufen, während ich auf | |
| dem Bürgersteig lag, aber an diesem Morgen drehte der Polizist aus | |
| irgendeinem Grund völlig durch, er schlug mir ins Gesicht und rief: „Du | |
| hast es getan, du hast sie umgebracht, gib es zu, du verfluchtes Schwein.“ | |
| Ich winselte und krümmte mich zusammen und versuchte mit den Händen meinen | |
| Kopf zu schützen, ich hatte keine Ahnung, wovon er redete, was für einen | |
| Mord er meinte, ich hatte weder etwas gesehen noch gehört, ich hatte | |
| geschlafen, wenn ich schlafe, können Panzer an mir vorbeirollen, ich werde | |
| nicht wach davon, und wenn ich irgendwelche Scheiße sehe, tue ich so, als | |
| sähe ich sie nicht, so lebt es sich ruhiger, und ich liebe das ruhige | |
| Leben, aber dieses Mal hatte ich wirklich weder etwas gesehen noch gehört, | |
| ich wusste nicht, worum es überhaupt ging, aber er schrie mich weiter an | |
| und schlug auf mich ein, und dann zog er von irgendwoher eine Pistole, und | |
| ich machte mir vor Angst in die Hosen, ich dachte, dieser Irre würde mich | |
| abknallen, und ich begann zu flennen, er möge nicht schießen, woraufhin er | |
| mir die Pistole hinhielt, und ich nahm sie automatisch, ohne zu wissen, was | |
| ich damit tun sollte, und er zog eine zweite Pistole und begann mich | |
| anzuschreien, ich solle die Pistole wegwerfen, und ich warf sie weg, und | |
| der andere Polizist hob diese Pistole vorsichtig am Lauf auf und steckte | |
| sie in eine Plastiktüte. | |
| Auch jetzt kam mir noch nichts verdächtig vor, ich dachte, ein | |
| Missverständnis, es handelt sich sicher um ein Missverständnis, sie haben | |
| mich mit jemandem verwechselt, alles klärt sich bald auf, sobald sie mich | |
| auf die Wache bringen und mich dort vernünftigere Polizisten übernehmen, | |
| was bin ich doch für ein Idiot, als würde es vernünftige Polizisten geben. | |
| Erst am nächsten Morgen begriff ich, worum es ging. Irgendein Typ schaute | |
| in meine Zelle und sagte: „Hey, du siehst ja gar nicht so gefährlich aus“, | |
| und ich sah ihn verdutzt an: „Wer, ich?“, und er lachte und warf mir eine | |
| Zeitung zu. Auf der Titelseite war ein Foto von mir, sie führten mich | |
| gerade zur Wache ab. Stimmt schon, da stand ein Haufen Journalisten herum, | |
| das war mir schon verdächtig vorgekommen, woher kommen all die | |
| Journalisten, sogar drei Typen mit Fernsehkameras waren da, aber ich hatte | |
| gedacht, dass ständig Journalisten vor den Polizeiwachen und Gerichten | |
| herumstehen, sie leben ja vom Unglück anderer, ich habe häufig genug etwas | |
| über Morde und Unfälle gelesen, aber jetzt, da ich mich selbst in der | |
| Zeitung wieder fand, dämmerte es mir, in welchen Schlamassel ich geraten | |
| war, und es packte mich Angst. | |
| Die noch größer wurde und zu Panik anwuchs, als ich las, dass ich die | |
| schwangere Frau eines Ministers getötet habe. | |
| Ich hatte von diesem Fall gehört, die ganze Stadt sprach davon, die | |
| Menschen waren aufgebracht, sie verlangten nach dem Kopf des Mörders, auch | |
| ich hätte den Mörder einen Kopf kürzer gemacht, wer hätte das nicht getan. | |
| Andererseits sind Morde an Schwangeren in dieser Gegend nichts Neues, der | |
| bekannteste Fall ist der aus Sarajevo, bei dem die schwangere Frau eines | |
| kaiserlichen Thronfolgers getötet würde, deshalb kam es zum ersten | |
| Weltkrieg, und der Mörder, sein Name war Gavrilo Princip, wurde später als | |
| Held gefeiert, und viele Straßen und Schulen im damaligen Staat Jugoslawien | |
| wurden nach ihm benannt. | |
| Aber das hier war etwas anderes, das hatte doch nichts mit Politik zu tun, | |
| hier ging es um Raub, welcher normale Mensch würde schon eine Schwangere | |
| töten? Ich war es sicher nicht, obwohl es so in der Zeitung stand, es | |
| musste ein Psychopath oder ein Junkie gewesen sein, die sind zu allem | |
| fähig, nur um an Stoff zu kommen. | |
| Wie könnte ich außerdem, so dachte ich, eine Frau töten, die ich noch nie | |
| im Leben gesehen hatte? | |
| Aber es nutzte nichts darüber nachzudenken, denn in der Zeitung stand alles | |
| – wie und wo und wann und warum. In den Zeitungen steht immer, was mit uns | |
| geschieht und warum, wir brauchen diesbezüglich unser Gehirn überhaupt | |
| nicht anzuschalten, wir brauchen nur die Zeitungen lesen und die Sachen | |
| kaufen, für die darin geworben wird, und alles ist in bester Ordnung. | |
| Es stand da also, dass ich sie vor drei Tagen getötet habe, in der | |
| Tiefgarage des Shoppingzentrums in Novi Zagreb, dass ich ihr dreimal in den | |
| Kopf geschossen und dann den Geldbeutel aus ihrer Handtasche geklaut habe | |
| und dann abgehauen bin. Die Aufnahmen der Überwachungskamera, die auf den | |
| Tatort gerichtet war, sind auf mysteriöse Weise verschwunden, die Polizei | |
| untersucht gerade, wie das passieren konnte. Aber, so steht es in der | |
| Zeitung, dank der schnellen und gründlichen Ermittlungsarbeit wurde die | |
| Person verhaftet – in Klammern wurden mein Name, Vorname und mein Alter | |
| genannt -, von der man aus guten Grund annehmen kann, dass sie dieses | |
| schreckliche Verbrechen begangen habe und bei der die Waffe gefunden wurde, | |
| mit der das Verbrechen verübt worden war. | |
| Bingo! | |
| Und als ob all das noch nicht reichen würde, kam jetzt der Polizist, der | |
| mich gestern verprügelt hatte, in die Zelle und sagte: „Hör mal zu, du | |
| kannst wählen. Erstens, du gibst alles zu und gehst schön in den Knast. | |
| Zweitens, du streitest alles ab und mit sehr viel Glück spricht dich der | |
| Richter frei, aber sobald du raus kommst, bekommst du eine Kugel verpasst. | |
| Klar?“ | |
| Und weg war er. | |
| Eine Zeit lang saß ich auf meiner Pritsche und starrte auf den Boden. Es | |
| war nicht nötig mir viel zu erzählen, ich hatte schon verstanden, dass ich | |
| in der Patsche sitze, auch wenn ich obdachlos bin, bin ich noch lange nicht | |
| hirnlos, ich sehe, was um mich herum passiert, ich sehe, wer welche Autos | |
| fährt, wer millionenschwere Häuser baut und wer in den Mülleimern | |
| herumwühlt, und mir ist klar, dass Polizei und Richter nicht dafür da sind, | |
| meinen Arsch, die Ordnung und die Gesetze zu hüten, sondern die Ärsche | |
| jener zu beschützen, die Kohle und Positionen haben, und die dieses Land | |
| nach vorne bringen, so wie es in den Zeitungen unter den Fotos dieser | |
| Menschen vermerkt ist. | |
| So wie bei dem, dessen Foto unter meinem abgedruckt war. Er baut ein | |
| Gebäude im Zentrum der Stadt, ich bettle auf der Straße. Er hat | |
| Schwierigkeiten mit dem Bauministerium, ich mit der Polizei. Er schwimmt in | |
| Kohle, ich in der Scheiße. Er wird sein Problem lösen, ich nicht. | |
| Das ist kein Pech. | |
| So ist hier der Stand der Dinge. | |
| Während ich den Boden anstarrte, erinnerte ich mich an jenen Film, in dem | |
| irgendwelche Indianer Menschen opfern, um die Götter und die Masse zu | |
| befriedigen. Ich mochte diesen Film nicht, zu viel Blut, und ich kann Blut | |
| nicht ertragen, wie damals, als ein Auto einen Opa auf den Bürgersteig | |
| schleuderte und Blut aus seinem Kopf schoss, ich fiel in Ohnmacht, so dass | |
| sich die Helfer der Notambulanz um zwei Patienten kümmern mussten, dieser | |
| Film hatte mir also nicht gut gefallen, aber eins war schon richtig: Wenn | |
| irgendein Mist passiert, muss jemand bestraft werden, damit die Götter und | |
| die Masse Ruhe geben. | |
| Und wir wissen, wer die heutigen Götter sind. | |
| Die Masse ist immer dieselbe. | |
| Der Masse ist es egal, wer bestraft wird, es ist nur wichtig, in der | |
| Zeitung zu lesen, dass der Schuldige gefasst und bestraft wurde, und gleich | |
| geben sie Ruhe. Es geht ihnen besser. Sie haben das Gefühl, in einer | |
| normalen Welt zu leben. | |
| Deshalb, aber auch weil ich müde von der jahrelangen Obdachlosigkeit war, | |
| und der Wunsch nach einem Dach über dem Kopf überwog, gab ich zu, dass ich | |
| diese Frau umgebracht habe. Außerdem verstand ich, dass der Polizist es | |
| ernst gemeint hatte. Gefängnis ist immer noch besser als eine Kugel. Das | |
| Einzige, womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass die anderen Insassen | |
| Leute, die Schwangere ermorden, nicht mögen. | |
| Ich bekam zehn Jahre. Sie verprügeln mich jeden Tag. Jeden Tag spucke ich | |
| Blut. Langsam gewöhne ich mich an die Prügel und das Blut. | |
| Draußen ist alles in bester Ordnung. | |
| Die Götter gehen wieder in aller Ruhe ihren Geschäften nach. | |
| Die Masse ist glücklich und zufrieden. | |
| Aus dem Kroatischen von Alida Bremer | |
| 30 Dec 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Edo Popović | |
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