# taz.de -- Krimis aus NRW: Der schwache Mann von Münster | |
> Der Dortmunder Grafit-Verlag hat viele gute Autoren hervorgebracht. Aber | |
> nur Jürgen Kehrers "Wilsberg" schaffte es ins Fernsehen. Was macht seinen | |
> Erfolg aus? | |
Bild: Welch Zufall: Ausgerechnet zu Weihnachten läuft Wilsberg ein Weihnachtsm… | |
Ein selbstmordgefährdeter Weihnachtsmann, eine kriminelle Weihnachtsfrau | |
und ein zweckentfremdeter Weihnachtsbaum sorgen im neuen Wilsberg-Krimi "Oh | |
du tödliche ..." für ziemliches Chaos. Zum Glück zeigt ihn das ZDF einen | |
Tag nach dem vierten Advent, soviel Durcheinander wäre am Heiligen Abend | |
auch Niemandem zuzumuten. Dabei kommt der Plot um Privatdetektiv Georg | |
Wilsberg (Leonard Lansink) rechtschaffend-weihnachtlich diesmal sogar ganz | |
ohne Leiche aus. | |
Es fängt an mit einem Juwelendiebstahl, bei dem passenderweise Wilsbergs | |
Stieftochter Alex zugegen ist, um ein Geschenk für Kommissarin Anna | |
Springer zu kaufen. Der Täter - ein Weihnachtsmann - türmt, gerät dabei auf | |
die Straße und verursacht ein mittleres Verkehrschaos, dem wiederum | |
Wilsberg zum Opfer fällt: Er kracht dem Vordermann hinten rein, dessen | |
Kofferraum springt auf und enthüllt - oh weihnachtliches Wunder - eine | |
liebevoll verpackte Geisel. | |
Dass der falsche Weihnachtsmann natürlich genau in die Kneipe flüchtet, in | |
der Wilsbergs Kumpel Ekki (Oliver Korritke) gerade mit seinen Kollegen vom | |
Finanzamt gelangweilt weihnachtsfeiert, versteht sich da schon von selbst. | |
Und dass es im Endeffekt um die ganz große Liebe geht, erst recht. Auch an | |
absurder Komik mangelt es nicht, und die Spurensicherung darf endlich | |
einmal ganz akribisch einen Weihnachtsbaum vermessen. | |
Seit 1995 ist "Wilsberg" nun schon Bestandteil der deutschen | |
Fernsehlandschaft. Zuerst spielte Joachim Król den privat ermittelnden | |
Antiquar, was nicht allzu gut funktionierte - nach dem Pilotfilm war erst | |
mal drei Jahre Sendepause. Ab 1998 übernahm dann Leonard Lansink die Rolle. | |
Der eigenwillige Ex-Anwalt Wilsberg funktioniert dabei im | |
bieder-bürokratischen Münster als eine Art Anti-Held. Nicht parodistisch | |
überdreht wie das Münsteraner ARD-"Tatort"-Gespann Axel Prahl und Jan-Josef | |
Liefers. Eher ein wenig gebrochen - aber keinesfalls gescheitert. | |
"Als ich 1993 zum ZDF kam, sprach man allseits von starken Frauen, die von | |
da an auch prompt die Fernsehspiele und Krimireihen bevölkerten", sagt der | |
für "Wilsberg" zuständige ZDF-Redakteur Martin R. Neumann. "Getreu dem | |
Motto ,Never follow the crowd' dachte ich mir: Biete doch mal eine | |
Geschichte an, in der ein vermeintlich schwacher Mann im Mittelpunkt | |
steht." Starke Frauen wie die "Kommissarin" (Hannelore Elsner) waren nun | |
wiederum eine Antwort auf Typen vom Schlage eines Horst Schimanski (Götz | |
George) - der schrie, schlug und soff, sinnierte dabei stets unablässig | |
über soziale Ungerechtigkeiten wurde und in den achtziger Jahren schnell | |
zur Personifizierung dessen, was man heute gerne als "sozialkritischen | |
Krimi" bezeichnet. | |
Auch bei "Wilsberg" findet sich einiges, das Schimanski einst etablierte: | |
Themen von sozialer Relevanz, verpackt in humorvolle, gerne auch mal | |
sarkastische Plots vor lokaler Kulisse mit hohem Wiedererkennungswert. | |
"Spannende und humorvolle Milieustudien", sagt ZDF-Redakteur Neumann, | |
machten eben "auch ernstere Gesellschaftsaspekte beim Publikum gut | |
vermittelbar." | |
Ein Ansatz, dem auch Wilsbergs literarischer Vater Jürgen Kehrer etwas | |
abgewinnen kann: "Wilsberg ist eine ambivalente Figur, die als gebrochener | |
Held auftritt", sagt Kehrer, der seine Werke als "unterhaltende | |
Gesellschaftsromane" versteht, die aber bitte nicht "als Krimiparodie | |
gedacht" sind. Dennoch, der Weg vom Buch zum Film verfügt über prägnante | |
dramaturgische Nebeneffekte. "Ein Roman ist grundsätzlich etwas anderes als | |
ein Filmdrehbuch, den kann man nicht 1:1 umsetzen," sagt Neumann. Wilsbergs | |
TV-Mitstreiter Ekki Talkötter kommt im gedruckten Krimi beispielsweise gar | |
nicht vor. Dort regiert die Ich-Perspektive, doch die sei "für die | |
Spannungsdramaturgie der Krimiserie eher hinderlich", so Neumann. | |
Kehrer ist mit der Umsetzung seiner Stoffe und Figuren im Fernsehen | |
zufrieden: "Ich möchte keine Prüfungsinstanz sein und habe keine | |
Konzeptionsbeteiligung bei der Fernsehreihe, werde aber bei bestimmten | |
Entwicklungen zu Rate gezogen." 28 Folgen sind bis jetzt gedreht, immerhin | |
ein Viertel basiert unmittelbar auf Kehrers Romanen, er selbst war bisher | |
an fünf Drehbüchern beteiligt. | |
Kehrers Bücher erscheinen im Dortmunder Grafit-Verlag. Schon in dessen | |
ersten Buchprogramm von 1989 finden sich etliche sozialkritische Krimis, | |
obwohl Verlagsgründer Rutger Booß den Begriff eigentlich nicht sonderlich | |
mag. Er spricht lieber von einer "Art deutschen Schule, die auf das | |
schwedische Autoren-Ehepaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö mit ihrem | |
Krimi-Zyklus ,Roman über ein Verbrechen' zurückgeht". Einer der ersten | |
Autoren bei Grafit war Jürgen Pomorin, der unter dem Pseudonym Leo P. Ard | |
oft gemeinsam mit Co-Autor Reinhard Junge tief ins | |
sozialkritisch-politische Genre eintauchte. Ihre Krimireihe um das "Ekel | |
von Datteln" widmete sich dem kommunalpolitischen Filz im nördlichen | |
Ruhrgebiet. | |
Verfilmt wurden die bis heute erfolgreichen "Ekel"-Bände, anders als | |
"Wilsberg", aber nie. "Vielleicht wollte der WDR der damaligen | |
Regierungspartei nicht ans Bein pinkeln," sagt Pomorin heute - vor rund 20 | |
Jahren regierte in NRW noch unangefochten die SPD, zu der der WDR damals | |
ein ähnliches respektvolles Verhältnis pflegte wie heute zur CDU. | |
Als Drehbuchautor schaffte es Pomorin dafür auf andere Weise ins Fernsehen: | |
Mit Michael Illner schrieb er die RTL-Serie "Balko", die von 1994 bis 2003 | |
produziert und 1995 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. "Balko" | |
funktionierte in erster Linie als überzeichnete Krimi-Komödie mit | |
liebevollen Seitenhieben auf den Einsatzort Dortmund. Doch schon hier wurde | |
die Handlung mit sozialer Relevanz unterfüttert. "Der Trend geht heute mehr | |
als früher in Richtung humorvolle Vermittlung sozialkritischer Themen", | |
sagt Pomorin, man müsse nur "aufzupassen, dass man dabei nicht beginnt, | |
allzu sehr zu konstruieren." Mittlerweile schreibt Pomorin für den | |
Bodensee-"Tatort" und das ZDF, ist aber nach wie vor auch weiter als | |
Romanautor aktiv. | |
Ein anderer, noch größerer Erfolg der regional-engagierten Krimiszene hat | |
es trotz Millionenauflage dagegen bis heute nur ein einziges Mal ins | |
Fernsehen geschaffte: Der ehemalige "Stern"- und "Spiegel"-Journalist | |
Michael Preute, der als Jacques Berndorf mit seinen Eifelkrimis eine ganze | |
Region in den Fokus der Öffentlichkeit brachte. Heute gibt es Eifel- sowie | |
andere Regionalkrimiautoren im Dutzend und alle zwei Jahre findet im | |
Eifelstädtchen Daun ein "Eifel-Krimi-Festival" statt, bei dem auch die | |
TV-Sendergewaltigen von nah und fern gesichtet werden. | |
Berndorf fragt sich bis heute, warum seine Romane bislang nicht verfilmt | |
worden sind. "Dabei sind die Eifelkrimis eigentlich ein ideales | |
Reihenkonzept", sagt auch Grafit-Verleger Booß, der bis 2007 Berndorfs | |
Romane herausgab und sich auch um die Filmrechte kümmerte: "Interesse gab | |
es bei fast allen großen Sendern, doch geworden ist daraus nichts." Beim | |
WDR, der wegen der regionalen Nähe als Eifelkrimi-Produzent prädestiniert | |
gewesen wäre, ist wenig Konkretes herauszubekommen. | |
Und so lief das bisher einzige filmische Gastspiel von Berndorfs | |
Hauptfigur, dem leicht melancholischen Ermittler-Journalisten Siggi | |
Baumeister, vor neun Jahren bei Arte und im ZDF - passenderweise unter dem | |
Titel "Brennendes Schweigen". Die Adaption von Berndorfs Roman | |
"Eifel-Schnee" stieß allerdings beim Autor wie auch beim Publikum auf wenig | |
Gegenliebe, auf Fortsetzungen wartet man auch im Zweiten vergebens. | |
Berndorfs Romane mixen Gesellschaftskritik gekonnt mit einer gehörigen | |
Portion Lokalkolorit, es geht um die Bundeswehr in der Eifel, Müllskandale | |
und Menschenhandel. Der Humor tritt etwas kürzer als bei Kehrers | |
"Wilsberg". Dafür ist er beim Autor selbst ausreichend vorhanden, vor | |
allem, was das Interesse an seinen Büchern bei Film und Fernsehen angeht: | |
"Vor Jahren war mal jemand bei mir, der die Rechte haben wollte," erzählt | |
Berndorf, "der fuhr in einem 500 SL vor und fragte nach zwei Stunden, ob | |
ich ihm einen Hunderter leihen könnte." | |
Nächste "Wilsberg"-Folge am Montag, 21.12., 20.15 Uhr, ZDF | |
20 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
J. Scheper | |
S. Grimberg | |
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