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# taz.de -- Kommentar Solschenizyn: Erinnern wir uns?
> Für die westliche Linke war der Gulag ein beschwiegener Ort - bis
> Solschenizyn darüber schrieb. Im heutigen Russland ist die Erinnerung
> wieder begraben.
Bild: Ein Begräbnis, das keine trauernden Massen anzog: Totenwache am Sarg von…
Der Gulag, das sowjetische System der Zwangsarbeitslager, war für die
westliche Linke ein gemiedener, beschwiegener Bezirk - bis zur
Veröffentlichung der Werke Alexander Solschenizyns in den späten 60er- und
frühen 70er-Jahren. "Der Archipel Gulag" und vor ihm schon "Ein Tag im
Leben des Iwan Denissowitsch" waren nicht nur große Literatur. Sie öffneten
den Blick auch vieler Linker bei uns auf ein Universum der Ausbeutung und
Unterdrückung, das jeder sozialistischen Idee hohnsprach. Gewiss,
Solschenizyn zeigte sich schon bald als konservativer,
christlich-russischer "Patriot", der die westliche Zivilisation als Boten
der Verderbnis und des Wertezerfalls ablehnte. Aber die Wahrheit über den
Gulag ließ sich mit dem Verweis auf die reaktionäre Grundhaltung des Autors
nicht leugnen. Obwohl dies vielfach versucht wurde.
Im "Archipel Gulag" finden sich die Leidensgeschichten vieler Opfer,
darunter die wichtiger Autoren, etwa die von Lew Kopelew oder von Warlam
Schalamow, dessen monumentales Buch über das sibirische Lager Kolyma erst
jetzt das deutsche Publikum erreicht. Aber die eigentliche historische wie
moralische Bedeutung des Werks von Solschenizyn liegt darin, dass den
insgesamt 17 Millionen Sowjetbürgern und Angehörigen von zig anderen
Nationalitäten, die in den Lagern inhaftiert waren, ein literarischer
Erinnerungsort errichtet wurde.
Aber wie funktioniert diese Erinnerung? Im heutigen Russland ist sie wie
begraben. Irina Scherbakowa, Historikerin und Aktivistin der russischen
Gruppe Memorial, spricht von einer "Gedächtniskatastrophe" bei der jungen
Generation Russlands. Im Westen aber findet der Gulag in der
Erinnerungskultur ebenfalls kaum Berücksichtigung. Weshalb Nationen wie die
polnische, die estnische und die litauische, die unter sowjetischer
Besatzung hunderttausende von in den Gulag Verschleppten zu beklagen
hatten, von einem gespaltenen europäischen historischen Gedächtnis, von
Nichtachtung ihrer Opfer sprechen.
Es ist diese Kritik, vor deren Hintergrund die Bedeutung des "Archipels
Gulag" auch für heute zu sehen ist. Als Aufforderung, sich mit allen Opfern
gewalttätiger Regime zu solidarisieren.
4 Aug 2008
## AUTOREN
Christian Semler
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