# taz.de -- Kolumne Landmänner: Vier Heten auf einen Streich | |
> Nachbarschaftliche Solidarität in Ackerbürgerstadt und Brandts | |
> Ostpolitik. | |
Manchmal braucht man einfach einen Kerl. Und manchmal sind vier sogar | |
besser. Die beiden Wirtinnen aus unserer Stammkneipe in Ackerbürgerstadt | |
hatten sie uns zugeführt. Und nun betrat einer nach dem anderen nach lautem | |
Klopfen unser Haus, gab artig und knochenkrachend die Hand. Ein | |
Untersetzter mit braunen Knopfaugen. Ein Hüne so breit wie ein | |
Wäscheschrank und hoch wie ein solcher. Ein Mittelalter mit Pranken wie | |
Knut und ein Hübscher mit Augen so blau wie das Eismeer. | |
Nun standen Sie in der Küche und schauten uns an, wollten wissen, was nun | |
zu tun sei? "Wir brauchen ein Seil und zwei Balken" sagte mein Mann. Und | |
die Männer nickten. Mein Mann ging voran, und die Männer folgten. Und ich | |
fragte unsere Nachbarin, was ich denn nun machen solle? "Am besten nicht im | |
Weg rumstehen, Bier kalt stellen", sagte sie lebensklug. Und mir ward ein | |
wenig bang. | |
Es ging um Rut Brandts Klavier, das in den ersten Stock sollte. Ein kleiner | |
Schimmel aus den Fünfzigern, der lange auf einen Käufer in einem | |
Klaviergeschäft gewartet hatte. Filigran und ein bisschen verloren stand er | |
nun da - unsere Männer blickten ratlos drein ob seiner Geschichte. Rut | |
Brandts Klavier? Mit Margot Honeckers Nähmaschine hätten sie mehr anfangen | |
können. | |
Sie wäre auch leichter gewesen. Unsere Männer huben nun an, das Klavier zu | |
wuchten. Mit Gurten um die Hüften, Geächze und Gestöhn. Und mit viel gutem | |
Willen. Als sie mit der Gerätschaft durch die Tür kamen, blieben der | |
Untersetzte und der Beprankte stecken - "Mensch, so haben wir ja noch nie | |
gekuschelt" - sagte der Beprankte zum Untersetzten. Und ich wusste nicht, | |
wo ich hingucken sollte. | |
Der Hüne ging als Erster die Treppe hoch und trug die größte Last. Er zog | |
und zerrte, der Beprankte, der Untersetzte und der Hübsche drückten und | |
schoben. Der Hüne wurde ganz rot im Gesicht, und ich traute mich nicht zu | |
schieben, des Hübschen wegen und des Kuschelns in der Enge des | |
Treppenhauses. Stand im Weg rum und störte. Dachte an das Bier, das noch | |
nicht kalt war. | |
Dachte an Rut Brandts Depressionen, dachte an den Westen und das Früher. | |
Dachte daran, wie fremd ich mich oft unter solchen Männern wie diesen | |
gefühlt hatte und wie außenstehend als Westler im Osten. | |
Und dann, endlich, stand Rut Brandts Klavier mit einem Rumms im ersten | |
Stock. Ohne einen Kratzer. Die Männer keuchten erleichtert. Nun endlich war | |
Wochenende. "Feuerwehr", sagte der Hüne und trank einen Schluck lauwarmes | |
Bier. "Landschaftsbau", sagte der Hübsche und rauchte. Der Beprankte und | |
der Untersetzte sagten "Hartz IV". Am Abend würde es ein Live-Konzert im | |
Scheunenviertel geben, freute sich der Beprankte, und ordentlich Biere. Der | |
Hübsche zeigte sein Handgelenk her, "Arthrose, dabei bin ich erst 25." | |
Wir verabschiedeten uns alle knochenkrachend per Handschlag, als das Bier | |
alle war und die Sonne den Mittagsstand erreicht hatte. | |
Am Abend saß ich dann im Sessel und mein Mann spielte zum ersten Mal auf | |
Rut Brandts Klavier. Dachte an das Früher und den Westen. Freute mich über | |
das Neue und den Osten. Der Einzige, der sich verkrampfte Gedanken darüber | |
gemacht hatte, dass vier Handwerker-Heten aus Brandenburg zwei Schwulen ein | |
Klavier schleppen, war ich gewesen. Mehr Demokratie wagen. | |
15 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |